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Fahrbericht: Jaguar XE 2.0 Diesel - Kleine Katze mit großen Krallen

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  • 24. April 2015, 12:30 Uhr
  • Peter Maahn/SP-X

Im Juni startet der lang erwartete kleine Jaguar XE. Er tritt gegen den 3er-BMW und die beiden anderen deutschen Mittelklasse-Limousinen an und will vor allem mit seiner ausgeprägten Sportlichkeit trumpfen. Ganz nebenbei senkt der XE den Eintrittspreis für die Jaguar-Welt um rund 10.000 Euro. Das Basismodell ist schon ab 36.450 Euro zu haben.

Der süddeutsche Dreier-Klub ist seit Jahren eine geschlossene Gesellschaft, teilt Gunst und Geld zahlungskräftiger Kunden unter sich auf und schien auf ewig  unangreifbar. Audi A 4, Mercedes C-Klasse oder der 3er von BMW blockten alle Attacken gegen ihre Alleinherrschaft souverän ab. Doch es droht Ungemach, die ruhigen Zeiten könnten sich ab Juni schnell ändern. Eine angriffslustige Raubkatze aus England wird aus dem Trio ein Quartett machen, kommt mit Rasse und Klasse und vor allem mit einem großen Namen: Der Jaguar XE will nichts weniger als die sportlichste aller Sportlimousinen sein.

Seit gut sechs Jahren hat Jaguar in der begehrten Mittelklasse kein Modell mehr am Start.  Der X-Type, damals noch auf Basis eines Ford Mondeo, ist nur noch eisernen Fans in Erinnerung. ,,Wir haben vor vier Jahren auf dem berühmten weißen Blatt begonnen", erinnert sich Designer Adam Hatton an die Geburtsstunde des neuen XE. ,,Alles ist neu", ergänzt Chefingenieur Nick Miller: ,,Das Auto, die Motoren und sogar die Fabrik". Er spricht von der hohen Messlatte, die ,,die besten Autos der Welt in dieser Kategorie" gelegt haben, und von dem Anspruch mit dem XE ein neues Zeichen zu setzen.

Nachdem der 4,67 Meter lange Viertürer das Schaulaufen auf vielen Messen erfolgreich hinter sich gebracht hat, geht es jetzt um die alles entscheidende Frage: Wie fährt er sich? Kann er wirklich mit der Perfektion einer C-Klasse mithalten, der Sportlichkeit eines 3er-BMW oder der Eleganz eines Audi A 4? Showdown im Baskenland, auf leergefegten Bergstraßen, die mit EU-Mitteln geglättet wurden. Auch schnelle Runden auf einer Rennstrecke stehen im Testprogramm.

Doch langsam: Sportlichkeit hin, Jaguar-typische Bissigkeit her - der erhoffte deutsche Kunde ist nur selten auf dem Nürburgring zu treffen, tobt nur in Ausnahmefällen um Serpentinen im Harz oder den Voralpen. ,,95 Prozent werden sich für eine der beiden Diesel-Versionen des XE entscheiden", sagt der deutsche Jaguar-Chef Peter Modelhardt. Also steht der schneeweiße Test-XE mit dem Zweiliter-Diesel und 132 kW/180 PS im Mittelpunkt der Neugier auf den Neuen von der Insel. Er steht inklusive Achtgang-Automatik ab exakt 39.000 Euro in der Preisliste, liegt damit in etwa auf dem Niveau eines BMW 320 d oder eines C 220d von Mercedes.

Ein kurzer Druck auf den Startknopf, der neu entwickelte Dieselmotor meldet sich deutlich vernehmbar. Kein Nageln, aber doch etwas rauer, als es von den deutschen Vorbildern her vertraut ist. Auch später auf der Landstraße schnurrt die Diesel-Katze zwar wohlig, aber doch akustisch nachhaltig. Werten wir es als Untermalung der versprochenen Sportlichkeit. Denn dieses Kapitel beherrscht der XE in fast unnachahmlicher Weise: Dank des konsequenten Leichtbaus (75 Prozent der Rohkarosse bestehen aus Aluminium) bietet er eine Mixtur aus Leichtfüßigkeit und satter Präsenz auf der Straße. Letzteres ist der Steifigkeit der Karosse zu verdanken, auf die die Jaguar-Ingenieure besonders stolz sind. Hinzu kommt eine ebenfalls neue elektromechanische Lenkung, die spurgenaues Dirigieren in jeder erfahrenen Lebenslage garantiert.

Der Achtgang-Automat ist schon aus anderen Jaguar-Modellen bekannt und passt sich schnell an die Gemütslage des Fahrers an. Die Sitzposition hinter dem aus dem Sportwagen F-Type stammenden Lenkrad mutet an, als hätte der Designer den Fahrer ins Auto hineinkonstruiert. Der Mensch als Teil des Ganzen, umgeben von Technik und unterkühlter Eleganz dank edler Materialien. Die Armaturen liegen in tiefen Höhlen, unsichtbar für den Beifahrer. Der silberne Drehknopf auf der Konsole erledigt die Wahl der Fahrstufen, der vergleichsweise klein geratene Touchscreen-Monitor mittig auf Augenhöhe steht auch dem Co-Piloten zur Verfügung. Niemand fühlt sich beengt, sondern passgenau eingebettet.

Das allerdings gilt nicht für Hinterbänkler: Wie auch beim deutschen Trio ist vorne die Business-Class, hinten nur Economy. Die Kniefreiheit ist eingeschränkt, hochgewachsene Fond-Passagiere müssen das Haupt stets etwas neigen, zu dritt nebeneinander wird´s auch richtig kuschelig. Der Kofferraum ist mit seinen 450 Litern ebenfalls nur Mittelmaß. Aber die sportlichen Limousinen werden ohnehin nur selten als Langstreckenauto für komplette Familien genutzt. Insofern keine Punktabzüge für den XE.

Ein dickes Plus dagegen für den Diesel. Dank der Durchzugskraft von 430 Newtonmetern wechselt der XE vom souveränen, entspannten Gleiten schnell in den Angriffsmodus, fährt die Krallen aus und macht das Überholen zum Kinderspiel. Dabei bedient er sich nicht exzessiv aus dem 56-Liter-Tank. Sieben Liter auf 100 Kilometer meldet der bordeigene Verbrauchsrechner. Natürlich mehr als der Normverbrauch (4,2 Liter), aber durchaus akzeptabel. Später einmal auf deutschen Autobahnen ohne Blick auf den Diesel-Konsum kann er sich übrigens einer Spitze von 228 km/h rühmen, wenn´s denn gefragt ist. Übrigens: Die Testrunden auf der Rennstrecke im fast 55.000 Euro teuren S-Modell mit seinem Dreiliter-Sechszylinder (250 kW/340 PS) waren eine nette Erfahrung, haben aber mit den Bedürfnissen der Mehrheit deutscher XE-Interessenten wenig zu tun.

Großes Zittern in München, Ingolstadt oder Stuttgart? Sicher nicht, denn der XE ist zwar der erste ernsthafte Rivale, doch Jaguar ist (noch) zu klein, um zum Macht der Big Three zu gefährden. Freiberufler wie Zahnärzte, Anwälte oder Unternehmensberater haben jetzt aber  endlich eine Alternative. Und dürfen sich je nach finanzieller Potenz in der dicken Preisliste bedienen und ihren Neuen auch richtig teuer machen. Serienmäßig ist übrigens eine Art Rundum-Sorglospaket. Da sind in den ersten drei Jahren auch die Inspektionen gratis.

Jaguar XE  - Technische Daten
Viertürige Mittelklasse-Limousine, Länge: 4,76 Meter, Breite: 1,85 Meter, Höhe: 1,42 Meter, Radstand: 2,84 Meter, Kofferraumvolumen: 450 Liter
Vierzylinder-Dieselmotor, 1.999 ccm, 132 kW/180 PS, maximales Drehmoment: 430 Nm bei 1.750 - 2.500 U/min, Manuelles 6-Gang-Getriebe/Achtgang-Automatikgetriebe, Heckantrieb. Vmax: 228 km/h, 0-100 km/h in 7,8 s, Normverbrauch: 4,2 l/100 km, CO2-Ausstoß: 109 g/km
Preis ab 39.000 Euro
 
Weitere Motorisierungen:
Vierzylinder-Dieselmotor, 1.999 ccm , 120 kW/163 PS, maximales Drehmoment: 380 Nm bei 1.750 - 2.500 U/min, Manuelles 6-Gang-Getriebe/Achtgang-Automatikgetriebe, Heckantrieb, Vmax: 227 km/h, 0-100 km/h in 8,4/8,2 s, Normverbrauch: 3,8 l/100 km, CO2-Ausstoß: 99/104 g/km
Preis ab 36.500 Euro
 
Vierzylinder-Turbobenziner, 1.999 ccm , 147 kW/200 PS, maximales Drehmoment: 280 Nm bei 1.750 - 4.000 U/min, Achtstufen-Automatikgetriebe, Heckantrieb, Vmax: 237 km/h, 0-100 km/h in 7,7 s, Normverbrauch: 7,5 l/100 km, CO2-Ausstoß: 179 g/km
Preis ab 36.450 Euro
 
Vierzylinder-Turbobenziner, 1.999 ccm , 176 kW/240 PS, maximales Drehmoment: 340 Nm bei 1.750 - 4.000 U/min, Achtstufen-Automatikgetriebe, Heckantrieb, Vmax: 250 km/h, 0-100 km/h in 6,8 s, Normverbrauch: 7,5 l/100 km, CO2-Ausstoß: 179 g/km
Preis ab 39.750 Euro
 
V6-Kompressorbenziner, 2.995 ccm , 250 kW/340 PS, maximales Drehmoment: 450 Nm bei 4.500 U/min, Achtstufen-Automatikgetriebe, Heckantrieb, Vmax: 250 km/h, 0-100 km/h in 5,1 s, Normverbrauch: 8,1 l/100 km, CO2-Ausstoß: 194 g/km
Preis ab 54.600

Kurzcharakteristik:
Warum: Weil man nicht zum Mainstream der 3er- und C-Klasse-Kollegen gehören möchte und schon immer auf den kleinen Unterschied Wert legt
Warum nicht: Weil man immer noch glaubt, so ein Jaguar sei ein Luxusprodukt, das doch nur Neid auslöst.
Was sonst: Die drei üblichen Verdächtigen aus süddeutschen Landen. Oder vielleicht doch  ein Lexus IS oder ein kleiner Cadillac?

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