New Mobility

mid im Interview zur Elektromobilität

  • In NEW MOBILITY
  • 1. Juli 2015, 09:59 Uhr
  • Jutta Bernhard (vm)

Zuletzt war die Bundesregierung merklich vorsichtiger geworden, wenn es darum ging, konkrete Ziele in Sachen Elektromobilität zu nennen. Aktuell sind knapp 25 000 Elektroautos auf Deutschlands Straßen im Einsatz. Bis 2020 sollen es eine Million werden.

Zuletzt war die Bundesregierung merklich vorsichtiger geworden, wenn es darum ging, konkrete Ziele in Sachen Elektromobilität zu nennen. Aktuell fahren knapp 25.000 Elektroautos auf Deutschlands Straßen. Bis 2020 sollen es eine Million werden.

Die Branche blickte mit doppelter Spannung auf die Nationale Konferenz Elektromobilität in Berlin Mitte Juni 2015. Was brachte die Konferenz wirklich? Viel zu wenig, findet Michael Tschakert, Direktor Consulting & Management bei PP:AGENDA und Berater im Bereich Elektromobilität. Nach mehreren Initiativen zur Förderung nachhaltiger Mobilität ist er einer der relevanten Köpfe der Branche. Die Maßnahmen gehen laut Tschakert am eigentlichen Bedarf vorbei. Mit Michael Tschakert sprach mid-Redakteurin Jutta Bernhard.

mid: Es sollten einmal eine Million Elektroautos auf Deutschlands Straßen bis 2020 sein. Jetzt sind es noch immer knapp 25.000. Können wir zufrieden sein mit dem, was die Regierung jetzt zu bieten hatte?

Michael Tschakert: Ganz klar: Nein. Besonders die Rede der Kanzlerin, die mit Spannung erwartet worden war, erwies sich als eine waschechte Enttäuschung. Statt wegweisende Entscheidungen zu treffen und die Weichen der Förderung neu zu stellen, begnügte sich die Regierung mit halbherzigen Bekenntnissen. Lediglich eine mögliche Sonderabschreibung für gewerblich genutzte Fahrzeuge und eine Forcierung der Entwicklung der Brennstoffzellentechnologie wurden in Aussicht gestellt. Dabei gilt nun mehr denn je: Die Zeit des Lamentierens muss endlich vorbei sein. Wir brauchen jetzt wirkungsvolle Maßnahmen zur Akzeptanzsteigerung, um den Absatz von Elektrofahrzeugen anzukurbeln. Sonst verspielen wir unseren globalen Wissensvorsprung im Bereich Automobil. Vom Topthema "Nachhaltige Mobilität" profitieren dann andere.

mid: Wo liegt das Problem?

Michael Tschakert: Bisherige Maßnahmen wie die Schaufenster Elektromobilität oder auch das Elektromobilitätsgesetz geben zwar punktuell Impulse - sie bringen aber für sich alleine kein einziges Elektroauto zusätzlich auf die Straße. Unterhält man sich mit den Bürgerinnen und Bürgern, hört man, dass Elektromobilität noch immer nicht als alltagstauglich wahrgenommen wird. Hier liegt das eigentliche Problem. Elektroautos sind bereits heute zuverlässig und günstig im Verbrauch. Was nach wie vor fehlt, ist die Erfahrbarkeit und Erlebbarkeit im täglichen Leben. Die Akzeptanz wird in Deutschland in der Masse nur gesteigert werden, wenn die Menschen selbst konkrete Erfahrungen machen können. Aktuelle Studien zeigen, dass die Akzeptanz der Elektromobilität vor allem in jüngeren Zielgruppen sinkt. Das ist erschreckend und das Resultat verfehlter Politik.

mid: Geht es nicht eher um finanzielle Unterstützung? In Norwegen funktionieren diese Anreize, wie man an den Zulassungszahlen erkennen kann. Teilweise führt dort der Tesla S sogar die Zulassungstabelle an.

Michael Tschakert: Das ist richtig, allerdings lässt sich der sehr überschaubare norwegische Markt nur bedingt mit Deutschland vergleichen. Norwegen ist uns aber sicherlich dahingehend voraus, dass es bereits ein sehr einfaches und transparentes Fördersystem eingeführt hat.

mid: Also doch Kaufprämien?

Michael Tschakert: Nein, diese Lösung halte ich im Privatkundenbereich für falsch. Eine Untersuchung des Fraunhofer-Institutes für System- und Innovationsforschung kommt zu dem Ergebnis, dass die Ziele der Bundesregierung unter günstigen Rahmenbedingungen bis 2020 sogar ohne Kaufförderung erreicht werden können. Im gewerblichen Bereich, der rund 30 Prozent der potenziellen E-Auto-Käufer ausmacht, sollte der Hebel beispielsweise mit einer 50 Prozentigen Sonderabschreibung des Anschaffungspreises im ersten Jahr für Elektroautos angesetzt werden. Studien zeigen, dass sich Elektromobilität besonders im gewerblichen Kontext schon heute ganz klar lohnt. Richtung Bürgerinnen und Bürger sind daher Kampagnen effektiver, die am vorhin skizzierten Problem ansetzen: Elektromobilität für sich sprechen zu lassen und einfach im Alltag erlebbar zu machen. Dafür müssen sich die Hersteller mit der öffentlichen Hand zusammentun, um gemeinsam wirkungsvolle Initiativen zu verwirklichen. Dass das funktioniert, wissen wir: Unsere Initiativen - beispielsweise ePendler - elektromobil unterwegs - zur Förderung der Akzeptanz von Elektroautos in bisher vier Bundesländern stießen auf großes Interesse. Mehr als 12.000 Menschen bewarben sich darum, Elektroautos ausprobieren zu können. Die Probanden legten mehr als 50.000 Kilometer elektrisch zurück und sparten bei jeder Aktion mehr als zwei Tonnen Kohlenstoffdioxid.

mid: Für wen eignen sich solche Initiativen?

Michael Tschakert: Besonders gut geeignet sind Elektroautos für die große Gruppe der Berufspendler. Mehr als 80 Prozent der Berufspendler legen heute weniger als 50 Kilometer am Tag zurück. Für solche Strecken sind heutige "Stromer" besonders gut geeignet. Momentan läuft unter der Marke eFlotte - elektromobil unterwegs -- eine Initiative in Hessen, die kleine und mittlere Unternehmen anspricht. Mehr als 1600 Firmen bewarben sich. In Mecklenburg-Vorpommern startet als nächstes ein breitenwirksamer Test für Pendler. Auch hier erwarten wir großen Zuspruch. Eines ist klar: Wir benötigen für verschiedene Regionen verschiedene kommunikative Ansätze, da die Anforderungen und Bedingungen unterschiedlich sind. Wer die Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt, muss sie selbst ans Steuer lassen. Nur so schaffen wir in Deutschland mit E-Autos eine Erfolgsgeschichte. Momentan droht uns China den Rang abzulaufen - von den Vorreitern wie Norwegen ganz zu schweigen. Stagnation in Berlin bringt keine E-Autos auf die Straße. Die Kräfte aller Beteiligten müssen jetzt durch breit angelegte Kampagnen gebündelt werden.

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