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Silvretta Classic Rallye - Ganz oben

  • In AUTO
  • 3. Juli 2015, 10:22 Uhr
  • Peter Weißenberg/SP-X

Besser geht''s nicht: Bei der diesjährigen Silvretta Classic strahlt die Bergsonne mit den automobilen Träumen um die Wette - und im Rolls-Royce von 1957 gewinnt der Fahrer auf jedem Fall das Finale der Glücksgefühle.

Noch drei Spitzkehren, dann ist die Bielerhöhe erreicht. 2.037 Meter über Meereshöhe auf der Silvretta-Hochalpenstraße, eine der klassischen Traumrouten durch Österreichs Bergwelt. 25 Grad, pralle Sonne - gut, dass der Fahrer behütet ist.

Behütet, versteht sich - ein profanes Basecap wäre nun auch wirklich ein Stilbruch. Denn wir sitzen hinter dem Volant eines automobilen Traums, der eher selten wahr wird: ein Rolls Royce Silver Cloud Drophead von 1957. Nur 21 weitere dieser Cabrios gibt es rund um den Globus noch - falls nicht in den letzten Tagen ein Scheich oder Oligarch einen der 5,40 Meter langen Rechtslenker in den Sand oder die Tundra gesetzt hat. Es ist also Weihestimmung angesagt beim Erklimmen der Bergeshöhen. Und Panama-Hut.

"Erklimmen" trifft es aber auch nicht. Der fast 60 Jahre junge Rolls gleitet beinahe mühelos die Anstiege herauf, wenn die Möglichkeiten der Viergang-Automatik gezielt auf die Wahl der ersten beiden Gänge eingeschränkt wird. Da hat manch jüngerer Peugeot 404 oder Ford Fiesta I deutlich sichtbarere Mühen - oder eigentlich unsichtbare. Der Drophead mit seinem geöffneten Verdeck stiehlt diesen Teilnehmern der Oldtimer-Rallye Silvretta Classic natürlich oft die Show.

Da kann bestenfalls noch ein Bentley 4 1/2 Litre von 1928 mithalten, dessen 4,5 Liter großer Reihen-4-Zylinder zwar 110 PS mobilisiert - die braucht er aber auch, um Kehre um Kehre des steilen Aufstiegs zu nehmen. Unser Rolls hat 45 PS mehr, war allerdings damals auch schon ein Auslaufmodell:  Er ist einer der letzten, die noch mit einem Reihensechszylinder-Motor ausgeliefert wurden. Der 4,9 Liter große und 155 PS starke Antrieb ist 1959 mit dem Erscheinen der zweiten Generation des Silver Cloud durch ein V8-Triebwerk abgelöst worden.

Am Rand einer Zeitenwende bewegt sich unser Rolls aber auch, weil er zwar schon die integrierten Kotflügel und die fließende Linienführung aufweist, die seither alle neueren adligen Briten auszeichnet. Aber wie nach Altväter Sitte sind Rahmen und Karosserie noch getrennt - sonst hätten wir wohl keinen freien Ausblick aufs Bergpanorama Vorarlbergs und Liechtensteins. Denn dadurch konnten die Kunden ihren damals 5.078 Pfund teuren Silver Cloud noch mit Aufbauten nach Gusto veredeln lassen.

So konnte der Karrossenbauer H. J. Mulliner & Co. in London den - natürlich rechtsgesteuerten - Silver Cloud mit seiner Drophead-Mütze versehen. Schön für die Sommerfrischler auf der Rückbank. Und ihrem Chauffeur auf der Lederbank für die Bediensteten konnte die Arbeit auf Wunsch ab 1956 sogar mit einer Servolenkung erleichtert werden.

Erleichterung kann er gebrauchen. Denn hinter dem großen dünnen Lenkrad wird schnell klar, warum die angestellten Fahrer stets Lederhandschuhe trugen. Die Richtung muss feinjustiert werden, wenn die angetriebene Starrachse hinten an ihren Längsblattfedern gefordert wird. Vor allem bei höheren Geschwindigkeiten von deutlich mehr als 100 Stundenkilometern zieht es den 1,90 Meter breiten Rolls mal links, mal rechts Richtung Böschung oder Abgrund. Die vier hydraulisch betriebenen Trommelbremsen werden zwar schon durch einen mechanischen Verstärker unterstützt, wollen aber energisch getreten werden. Fast zwei Tonnen Gewicht schieben schließlich beim Abstieg nach Gaschurn kräftig an.

Die Herausforderung der glutheißen Sonne in diesen Tagen der Silvretta Classic macht dem Rolls übrigens nichts aus. Sein Kühler-Tempel lässt ja auch reichlich Luftzufuhr zu. Und so lange der Chauffeur das Tanken nicht vergisst - schließlich rauschen rund 30 Liter pro 100 Kilometer durch den Motor - wird er uns auch als automobiler Senior nie im Stich lassen. Da sind wir sicher - anders als der ein oder andere Veteran jüngerer Baujahre, den die Hitzeschlacht in die Knie zwingt. Zumindest zeitweise. Gewiefte Klassiker-Fahrer haben ja einen etwas umfangreicheren Ersatzteil-Vorrat an Bord.

Auch auf sekundengenauen Wertungsprüfungen oder schneidigen Serpentinen-Sammlungen zwischenFurkajoch und Faschinajoch macht sich ihre Majestät zwar durchaus beachtlich. Die Ebene zwischen Piz Buin und seinen Brüdern ist aber sein eigentliches Metier. Dann gleitet der kaum hörbar blubbernde Rolls seidig durch die automatische Gangwahl - und die Passanten spiegeln sich lächelnd im zartblauen Teint des Lacks. Entschuldi?ung - nicht zartblau - sondern "Wedgwood Blue", nach der typischen Farbe dieser englischen Porzellanmanufaktur.

Da stört es auch nicht, wenn ein hektischer Dodge Challenger R/T aus den Siebzigern die 425 PS seiner sieben Liter Hubraum an uns vorbeischießen lässt - oder der Audi Sport Quattro von 1984 ganz andere Rallye-Gefühle neben dem Rolls auslebt. Sollen sie doch. Auch wenn sie dreimal schneller die 336 Kilometer des zweiten Tages der Silvretta Classic absolvieren können, dem 2.383 Meter hohen Flüela-Pass fast entgegenfliegen, im Rolls Royce sind wir jenseits von Eile und Wettkampf längst schon ganz oben.

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