Tradition: 40 Jahre Mercedes-Benz W 123 (Typen 200 bis 300 Turbodiesel)

Tradition: 40 Jahre Mercedes-Benz W 123 (Typen 200 bis 300 Turbodiesel) - Der Marathon-Mercedes

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  • 5. Oktober 2015, 13:04 Uhr
  • Wolfram Nickel/SP-X

Ihr Stern überstrahlt alle: Die Mercedes W-123-Modelle verkauften sich sogar besser als der Golf und auch bei den Oldtimer-Zulassungszahlen müssen sich diese Limousinen, Coupés und Kombis nur dem Käfer geschlagen geben. Kein Wunder, gelten die konservativen Chrom-Kreuzer doch als fast unzerstörbare Festung.

Mehr als drei Jahre Lieferzeit für ein Massenmodell und Gebrauchtwagennotierungen, die noch oberhalb der bereits stolzen Neuwagenpreise liegen, das haben bundesdeutsche Autokäufer bislang nur einmal akzeptiert: Die Ende 1975 in Serie gegangenen Mercedes-Benz-Modelle der Baureihe W 123 waren begehrter und mit 2,7 Millionen gebauten Einheiten erfolgreicher als bis dahin alle anderen Stuttgarter Sternträger.

Was machte die gehobene Mittelklasse der Vier- und Sechszylinder-Benziner 200 bis 280 E und der Vier- und Fünfzylinder-Selbstzünder 200 D bis 300 D so unwiderstehlich? Und für Hardcore-Fans sogar derart einzigartig, dass sie sich am Ende der immerhin elfjährigen Bauzeit noch einen Neuwagen beiseite stellten? Es war der betont bürgerliche Auftritt aller 123er, ihr gediegener Chromglanz ohne Protz, vor allem aber ihre einzigartige Verlässlichkeit. So ermittelte eine Fachzeitschrift, dass die Fahrer eines 200 Diesel rein rechnerisch über 850.000 Kilometer fahren mussten, um von einer Panne betroffen zu sein. Eine Prüforganisation bescheinigte 1984 sogar noch acht Jahre alten 123ern Platz eins unter den Mängelzwergen bei der gesetzlichen Hauptuntersuchung.

Natürlich gab es auch Schwachstellen bei den damals stattliche 4,73 Meter messenden Mercedes-Modellen. Allerdings Trivialitäten gegenüber den Themen Rost und Pannen, von denen viele Wettbewerber geplagt wurden. Weshalb die Untertürkheimer Diesel und Benziner etwa als einzige Pkw den harten arktischen Alltag auf den Geröll- und Eispisten Spitzbergens nahe des Nordpols bewältigten. Und als altgediente Gebrauchtwagen oft genug einen harten Auslandsjob in afrikanischen Wüsten oder Steppen annahmen. Kein Wunder, dass die gleichermaßen langlebigen wie genügsamen 123er später ihren Vorgängern, den sogenannten Strichacht-Modellen (1968 bis 1976), folgten und zum Kultfahrzeug der Klassikerszene avancierten. Heute sind sie sogar zweithäufigster Oldtimer nach dem Käfer.

,,Das neue Maß der Mittelklasse", lautete die Werbebotschaft zur Markteinführung der Limousinen, die optisch der S-Klasse W 116 ähnelten. Auf ihre Mission als qualitativ beispielhafte Marathonläufer hatten sie sich durch eine außergewöhnlich lange Entwicklungszeit von acht Jahren vorbereitet. Und waren deshalb gemäß Presseinformation auch ,,hinsichtlich Sicherheit, Fahrkultur, Komfort und Dynamik einmalig". Was sich zum Beispiel in der neuartigen Sicherheitslenksäule spiegelte, die beim Frontalaufprall seitlich wegknickte und in der Vorbereitung für Airbags, die ab 1982 lieferbar wurden.

Oder im ab 1980 verfügbaren ABS-Bremssystem. Überhaupt bezog der W 123 gleich verschiedene Bauteile aus der S-Klasse, so unter anderem die Doppelquerlenker-Vorderradaufhängung. Auch in den Preisen konnte es ein voll ausgestatteter 280 E leicht mit Autos der Sonderklasse aufnehmen. Kostete der 280 E ,,nackt" nur 26.895 Mark waren es mit Extras bis zu 62.000 Mark. Dafür gab es alternativ auch einen Zwölfzylinder-Jaguar, einen Lamborghini Jarama oder gleich zwei Exemplare der 3,0-Liter-BMW-Spitzenmodelle.

Die billigsten Mercedes-Typen 200 und 200 D begannen bei Preisen von knapp 19.000 Mark, also auf dem Niveau von BMW 520, Volvo 244 oder gut ausgestatteten Ford Granada 2.0. Auch die anderen Vierzylinder mit Stern (230, 220 D und 240 D) waren nicht wesentlich teurer. Keine Überraschung deshalb, dass Mercedes seine marktbeherrschende Stellung im Taxigeschäft mit dem W 123 weiter ausbaute, aber auch für Privatkunden populärste Marke der oberen Mittelklasse war. Mit einer Sensation machten die Schwaben erst Schlagzeilen, als die 123er in allen Karosserievarianten, also mit Coupé, Kombi T-Modell und Limousine mit langem Radstand verfügbar waren: Im Jahr 1980 musste der traditionelle Tabellenführer VW Golf erstmals Mercedes den Königsthron des meistverkauften deutschen Autos überlassen.

Tatsächlich hatte Mercedes kurzzeitig sogar ein praktisches Karosseriekennzeichen der Kompaktklasse für seine Erfolgsmodelle erwogen: Eine Fließheckvariante, auf die dann aber 1977 zugunsten des ersten Mercedes-Kombis aus Werksproduktion verzichtet wurde. Erst dieses im neuen Werk Bremen gebaute T-Modell (,,T" steht für Tourismus und Transport) machte die Laster endgültig lifestylefähig, weshalb Audi (1983) und BMW (1985) schließlich nachzogen. Noch einen mutigen Meilenstein setzte Mercedes im Jahr 1977. Kaum waren die eleganten Hardtop-Coupés 230 C, 280 C und 280 CE eingeführt, ergänzte der 300 CD als weltweit erstes Selbstzünder-Coupé in Großserie das Programm. Zur Enttäuschung vieler europäischer Coupé-Liebhaber gab es den 59 kW/80 PS-Fünfzylinder allerdings nur in den USA, wo diese Diesel-Offensive das Ziel verfolgte, den Flottenverbrauch von Mercedes auf die gesetzlichen Vorgaben zu reduzieren.

In Europa zählte dagegen vor allem Leistung, wie sich auch in Vergleichstests bestätigte, wo der Mercedes 280 etwa dem BMW 528 trotz größeren Komforts unterlag. Wichtiger waren den Fachleuten die besseren Fahrleistungen des BMW. Die Tuningbranche wusste die Angebotslücke zu nutzen, denn AMG, Brabus oder Lorinser schärften die 123er motorisch nach. Mercedes selbst beendete 1977 eine selbstauferlegte 22-jährige Motorsportpause und schickte mehrere überraschend seriennahe 280 E auf die 30.000 Kilometer lange Marathon-Rallye von London nach Sidney. Das Super-Ergebnis: Plätze eins, zwei, sechs und acht.

Ganz in Beschaulichkeit übten sich dagegen die Piloten - meist Taxifahrer - des anfangs nur 40 kW/55 PS bereit haltenden Ölbrenners 200 D. Endlose 31 Sekunden benötigte der Diesel bis die Tachonadel die 100-km/h-Marke passierte, als Belohnung für die Geduld gab es einen Weltrekord in Sparsamkeit. 8,3 Liter Diesel auf 100 Kilometer lautete der Normwert, bescheidener war kein anderer Selbstzünder. Meistverkaufter Rußwolkenmacher war jedoch der 240 D, dessen Langlebigkeit Legende war. Eine halbe Million Kilometer waren für den 48 kW/65 PS leistenden Vierzylinder fast schon Pflicht. Nicht nur in Limousine und T-Modell, sondern auch in der 1977 lancierten Langversion, die über einem um 63 Zentimeter vergrößerten Radstand verfügte. Hotels schätzten diese mit dritter Sitzreihe lieferbare Limousine ebenso wie Staatsführungen, die den langen Benz als relativ billige Repräsentationslimousine einsetzten. Dann aber eher als Sechszylindertyp 250 oder 300 D.

Damit war die Modellpalette des 123ers übrigens noch nicht komplett. Nicht vergessen werden dürfen die Fahrgestelle für Pickups, Krankenwagen, Bestattungsfahrzeuge und andere Sonderaufbauten, die diesen Mercedes so vielseitiger machten als alle seine Vorgänger. Zwei Modellpflegen und motorische Aktualisierungen genügten, um die mittelgroße Mercedes-Familie frisch zu halten bis der Ende 1984 vorgestellte Nachfolger W 124 seine zahlreichen Kinderkrankheiten auskurieren konnte. Wahrscheinlich war es auch diesem etwas unglücklichen Auftakt der neuen Generation von 200 D bis 300 E zu verdanken, dass der W 123 seinen Nimbus als Mercedes aller Mercedes festigen konnte.

Chronik:
1968: Kurz nach Marktstart der sogenannten Strichacht-Modelle erfolgt bereits der Entwicklungsbeginn für die Nachfolgereihe W 123
1975: Im November erfolgt der Produktionsstart für die neue Baureihe W 123, wenig später die Pressevorstellung
1976: Am 28. Januar feiert der W 123 als Limousine sein Debüt in den Schauräumen der Mercedes-Händler. Anfangs sind vier Dieselmotoren (200 D mit 55 PS, 220 D mit 60 PS, 240 D mit 65 PS und 300 D mit 80 PS) lieferbar sowie fünf Benziner (200 mit 94 PS, 230 mit 109 PS, 250 mit 129 PS, 280 mit 156 PS und 280 E mit 177 PS). Die großen Sechszylinder 280 und 280 E erhalten Rechteckscheinwerfer, während alle anderen Typen an Doppelscheinwerfern, sogenannten Ochsenaugen, zu erkennen sind 
1977: Auf dem Genfer Salon feiern die Coupévarianten 230 C, 280 C und 280 CE Weltpremiere. Produktionsbeginn im Juni. Bereits im Herbst 1977 ergänzt in den USA der 300 CD das Programm mit dem 80-PS-Fünfzylinder-Diesel als weltweit erstem Großserien-Selbstzünder-Coupé. Diese Diesel-Offensive verfolgt das Ziel, den Flottenverbrauch von Mercedes so zu reduzieren, dass die amerikanischen Vorgaben eingehalten werden. Nach einer weiteren Reduzierung der US-Grenzwerte für den Flottenverbrauch wird der 300 CD im Jahr 1981 durch den 300 CD Turbodiesel ersetzt. Auch dieses Coupé wird nicht in Europa eingeführt. Im August wird die Langversion der W 123-Limousine vorgestellt (240 D, 300 D und 250) und auf der Frankfurter IAA debütiert im September das T-Modell als neuer Kombi. ,,T" steht für Tourismus und Transport. Ein 280 E siegt bei der Langstreckenrallye London-Sydney
1978: Bei der 30.000-km-Rallye ,,Vuelta a la Americana Sud" belegen 280 E die Plätze drei und fünf. Im April beginnt im Werk Bremen die Serienproduktion des T-Modells
1979: Im März entfällt der 60 PS starke 220 D, zugleich Leistungssteigerung des 200 D von 55 PS auf 60 PS. Der 240 D leistet nun 72 statt 65 PS, der 300 D erstarkt von 80 auf 88 PS. Der separate Start-Stopp-Zug zum Vorglühen der Diesel entfällt, alle Funktionen nun über den Zündschlüssel. Vierter Platz bei der East African Safari für den 280 E. Im September Modellpflege mit neuen Ausstattungen und mehr Leistung für 300 D / TD und 250 / T. Im einzelnen modifiziert werden die Lackfarben, dasLenkrad entsprechend der S-Klasse W 126, die Polsterstoffe und Kopfstützen, Edelholzeinlagen bei Coupés in Zebrano statt Wurzelnuss, neue pneumatische Leuchtweitenregulierung und Bremssystem. Hinzu kommen verlängerte Wartungsintervalle
1980: Neuer Drei-Liter-Turbodiesel. ABS ist auf Wunsch erhältlich. Im Juni neue Vierzylindermotoren (Typ M 102) für Typen 200 (109 PS) und 230 E (dieser Einspritzer ersetzt den 230-Vergaser). Ab August Coupés nur noch als 230 CE und 280 CE
1982: Airbags sind optional bestellbar. Mercedes-Benz 200 mit bivalentem Autogas-Antrieb bestellbar, der LPG-Gastank befindet sich unter dem Kofferraumboden. Im September große Modellpflege mit neuen Motoren und Breitbandscheinwerfern für alle. Weitere Modifikationen sind neue Polsterungen und Lackierungen, Vordersitzbezüge komplett in Stoff, Servolenkung bei allen Typen serienmäßig. Fensterkurbeln und Türverkleidungen mit Stoffeinlagen, Zebrano-Holzdekor im Armaturenbrett bei allen Typen und Verbrauchstendenz-Anzeige im Kombiinstrument  
1983: Versuchsfahrzeuge mit Elektroantrieb und Prototyp Mercedes 280 TE mit Wasserstoffantrieb 
1984: Im November läuft die Produktion des Nachfolgers W 124 an
1985: Im August endet die Fertigung der Coupés. Insgesamt 99.884 Fahrzeuge dieser Karosserieform entstanden, davon 15.509 mit Dieselmotor. Im November läuft die Produktion der Limousine aus. Die Fertigung der anderen Versionen wird teilweise fortgesetzt
1986: Im Januar endgültiges Produktionsende für die Baureihe W 123
2006: John Lennons weißer 300 TD aus dem Jahre 1979 wird für 124.000 US-Dollar versteigert
2013: In der deutschen Zulassungsstatistik der Oldtimer mit H-Kennzeichen belegt der Mercedes-Benz W 123 erstmals den zweiten Platz hinter dem VW Käfer
2015: Insgesamt 15.523 Mercedes-Benz W 123 verfügen bereits über ein H-Kennzeichen  
 
Ausgewählte Preise:
200/8-Vorgängerbaureihe (1976): ab 16.705 Mark
200 (1976): ab 18.382,00 Mark
230 (1976): ab 19.203,00 Mark
280 E (1976): ab 26.895,00 Mark
200 D (1976): ab 18.870,00 Mark
300 D (1976): ab 22.311,00 Mark
200 (1979): ab 19.857,60 Mark
230 (1979): ab 20.910,40 Mark
280 E (1979): ab 29.422,40 Mark
200 D (1979): ab 20.484,80 Mark
300 D (1979): ab 24.404,80 Mark
230 C (1979): ab 26.252,80 Mark
280 CE  (1979): ab 33.342,40 Mark
240 TD (1979): ab 26.420,80 Mark
280 TE (1979): ab 33.756,80 Mark
200 (1984): ab 26.881,20 Mark
230 E (1984): ab 30.153,00 Mark
280 E (1984): ab 37.882,20 Mark
200 D (1984): ab 27.417,00 Mark
300 D (1984): ab 31.692,00 Mark
230 CE (1984): ab 35.967,00 Mark
280 CE  (1984): ab 42.636,00 Mark
240 TD (1984): ab 33.379,20 Mark
300 TD Turbodiesel (1984): ab 42.579,00 Mark
280 TE (1984): ab 41.291,20 Mark
Wichtige Motorisierungen:
Mercedes-Benz 200 D mit 2,0-Liter-Vierzylinder-Dieselmotor (40 kW/55 PS bzw. mit 44 kW/60 PS),
Mercedes-Benz 220 D mit 2,2-Liter-Vierzylinder-Dieselmotor (44 kW/60 PS),
Mercedes-Benz 240 D / 240 TD mit 2,4-Liter-Vierzylinder-Dieselmotor (48 kW/65 PS bzw. mit 53 kW/72 PS),
Mercedes-Benz 300 D / 300 CD / 300 TD mit 3,0-Liter-Fünfzylinder-Dieselmotor (59 kW/80 PS bzw. mit 65 kW/88 PS),
Mercedes-Benz 300 D Turbodiesel / 300 CD Turbodiesel / 300 TD Turbodiesel mit 3,0-Liter-Fünfzylinder-Dieselmotor (92 kW/125 PS),
Mercedes-Benz 200 / 200 T mit 2,0-Liter-Vierzylinder-Benziner (69 kW/94 PS bzw. mit 80 kW/109 PS),
Mercedes-Benz 230 / 230 C / 230 T mit 2,3-Liter-Vierzylinder-Benziner (80 kW/109 PS),
Mercedes-Benz 230 E / 230 CE / 230 TE mit 2,3-Liter-Vierzylinder-Benziner (100 kW/136 PS),
Mercedes-Benz 250 / 250 T mit 2,5-Liter-Sechszylinder-Benziner (95 kW/129 PS bzw. 103 kW/140 PS),
Mercedes-Benz 280 / 280 C mit 2,75-Liter-Sechszylinder-Benziner (115 kW/156 PS),
Mercedes-Benz 280 E / 280 CE / 280 TE mit 2,75-Liter-Sechszylinder-Benziner (130 kW/177 PS bzw. 136 kW/185 PS).
 
Ausgewählte Produktionszahlen:
Insgesamt wurden 2.696.915 Fahrzeuge der Baureihe 123 produziert (1975 bis 1986). Davon 2.375.440 Limousinen, 199.517 Einheiten des T-Modells, 99.884 Coupés (davon 15.509 mit Dieselmotor), 13.700 Limousinen mit langem Radstand sowie 8373 Fahrgestelle für Sonderaufbauten.
Von den Limousinen wurden
454.780 Einheiten als 240 D (erfolgreichster Einzeltyp) verkauft,
378.138  Einheiten als 200 D,
56.736 Einheiten als 220 D,
331.999  Einheiten als 300 D,
158.772 Einheiten als 200 (94 PS),
217.315 Einheiten als 200 (109 PS),
196.185 Einheiten als 230,
245.882 Einheiten als 230 E,
122.864 Einheiten als 250 (129 PS),
33.206 Einheiten als 280,
126.375 Einheiten als 280 E.

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