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Smart City Expo in Barcelona - Blaupause für schlaue Städte

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  • 23. November 2015, 12:38 Uhr
  • Alexandra Felts/SP-X

Weltweit sind Städte im Stresstest. Immer mehr Menschen, immer mehr Verkehr. Wie die urbane Infrastruktur diesen Problemen mit intelligenten, technologischen Lösungen begegnen kann, zeigen Beispiele einer Fachmesse in Barcelona.

In grauer Vorzeit, als das Internet laufen lernte, schwärmten die Propheten einer neuen Zeit von der Datenautobahn. Längst verlaufen die Datenströme aber nicht mehr nur linear. Der technologische Wandel verändert Kommunikation, Mobilität und Information, datenbasierte Prozesse steuern komplexe Systeme. Aus der Einbahnstrasse ist ein digitaler Organismus geworden, dessen Vorteile für urbane Zentren immer brisanter werden, denn die Mehrheit der Menschen lebt schon jetzt in Städten. Die Infrastruktur muss sinnvoll mitwachsen, Lebensqualität erhalten und nachhaltig gewirtschaftet werden. Zum fünften Mal trafen sich Experten aus aller Welt zur Smart City Expo und World Congress - diesmal in Barcelona - um zu diskutieren, wie eine intelligente Stadt, die modernste Technologien nutzt, gestaltet werden kann. Gleichzeitig präsentierten auch führende Unternehmen und Start-ups ihre zum Teil schon umgesetzten Ideen.

Über 500 Städte so unterschiedlich wie Berlin, Dubai, Istanbul, Helsinki, Kansas City und Kyoto folgten der Einladung in die Messehalle in Barcelona. Bei einem Rundgang durch diese smarte Weltstadt auf Zeit entdeckte man intelligente Straßenlaternen aus Berlin, die Mobilitätsangebote machen und an denen sich auch Elektroautos aufladen lassen. Auf den US-amerikanischen und mexikanischen Ständen wurden beispielsweise die Apps gezeigt, die auch in immer mehr anderen Städten Angebote der öffentlichen und individuellen Fortbewegung auf dem Smartphone veranschaulichen. Frankreich wurde durch Vivapolis, eine Initiative der Bürgermeister der Großstädte, vertreten, die an Hand von Beispielen in Paris, Nantes oder Mulhouse zeigten, wie sie Big Data - die Analyse erfasster riesiger Datenmengen - einsetzen, um den Verkehrsfluss zu verbessern, mehr Dienstleistungen für Bürger anzubieten und in Neubaugebieten Ressourcen wirtschaftlicher bereitzustellen.

Die meisten kennen Jerusalem als Schnittpunkt von drei Religionen und als Hot Spot im Nahen Osten. Doch die Millionenmetropole besitzt dank des engagierten Bürgermeisters Nir Barkat eine eigene fortschrittliche Agenda 2020. "Seit drei Jahren bauen wir ein innerstädtisches Trambahnnetz aus", erzählte Tamir Dayan, verantwortlich für wirtschaftliche Entwicklung der uralten Stadt. "Durch den chronischen Stau in den engen Straßen sind zunehmend Unternehmen und qualifizierte Mitarbeiter weggezogen." Die Bahn verbindet arabische, ultra-orthodoxe jüdische und moderne Viertel miteinander. Für viele erleichtert sich dadurch der Weg zur Arbeit und zur Schule. Gleichzeitig wird das alte Herz der Stadt zum Fußgängerzentrum, in dem nur die Stadtbahn verkehrt. "Es soll keine Stadt der Trennungen bleiben, sondern der Chancen werden."

Doch wie kann sich eine Stadt als Smart City neu erfinden? Bei diesem Prozess rücken die sogenannten Stakeholder, die Verantwortlichen, die ein Interesse an einer umfassenden vernetzten Entwicklung haben, zusammen. Im Rahmen der Expo stellte auch Audi ein Projekt vor, das unter dem spröden Titel DIN SPEC Vertreter von Städten wie München und Düsseldorf, Wissenschaftler und die Industrie an einen Tisch bringt. Bei dieser Dialogplattform geht es unter anderem darum, wie städtische Infrastrukturen für die Zukunft des automatisierten Fahrens vorbereitet werden. "Es sind zunächst ganz elementare Punkte, die wir hier sprechen", erklärte Klaus Illigmann, Münchens Leiter des Referats für Stadtplanung und Bauordnung bei einem Gespräch. "Zuallererst müssen wir nämlich eine gemeinsame Sprache finden, ehe wir über einheitliche Standards verhandeln können."

Wie General Electric, Microsoft und SAP so ist auch Siemens als Dienstleister auf dem Weg zur Smart City mit einem großen Stand auf der Expo vertreten. Mit dem interaktiven City Performance Tool, das unter anderem bereits von Wien eingesetzt wird, können Städte Ziele in Bereichen wie Energieverbrauch, Reduktion der Emissionen, Luftqualität oder Mobilität und Verkehr definieren und quasi an den elektronischen Stellschrauben der Software drehen, um zu sehen, wann welche Lösungen welche Resultate erzielen. Erhöht man zum Beispiel den Mix an alternativen Antrieben und Bike- und Carsharing-Angeboten, berechnet das Programm um wie viel der CO2- und Stickoxide-Anteil sinken kann.

Und dann gibt es die vielen Detailansätze, die zum Großprojekt Smart City ihren Beitrag leisten können. Die Firma Optifill hat ein Überwachungssystem für kluge Müllcontainer entwickelt, die dem Server signalisieren, wann sie befüllt und bereit zum individuellen Abtransport sind. Mobile Eye, einer der Hauptzulieferer für Kollisionswarner hat mit Shield + ein Kamerasystem entwickelt, dass in öffentlichen Bussen und in Lkw wirksameren Schutz für Fußgänger und Radfahrer, die sich im toten Winkel befinden, verspricht. Derzeit wird die Technologie in New York erprobt, wo sich die tödlichen Unfälle beim Abbiegen häufen. Aufgrund einer Datenanalyse hat man festgestellt, weshalb manche städtischen Punkte so neuralgisch sind. Manchmal, so der Assistenzsystemespezialist, genügte eine breitere Fahrradspur oder eine Verlegung des Zebrastreifens, um dem Busfahrer mehr Übersicht zu gewähren. Mit geringen Mehrkosten.

ThyssenKrupp hat mit Multi sozusagen den Aufzug neu erfunden. Vor dem Hintergrund, dass der Raum für Immobilien immer teurer wird, hat das Unternehmen eine Technologie entwickelt, die aus einem innovativen Mix aus klassischem Paternoster und Transrapid besteht. Das Schienensystem, das derzeit in Rottweil in der Erprobung ist, kommt ganz ohne Seilzug aus und erlaubt folglich die Fahrt von mehreren Kabinen gleichzeitig. Das spare Raum und erhöhe die Frequenz. Multi bewegt sich aber nicht nur vertikal, sondern kann auch auf die horizontale Ebene umgelenkt werden.

Es ist eine spannende urbane Vision, die in Barcelona entwickelt wird. Aber beim parallel stattfinden Smart City World Congress wurde bei einem internationalen Forschergespräch auch an die wachsende Brisanz des Datenschutzes und der Datensicherheit erinnert. "Städte sind trunken vor Daten", warnte die Software-Expertin Carmela Troncoso. "Daten sind kostbare Devisen, die auf einem neuen Markt gehandelt werden können, weil durch die technologischen Fortschritte, die das urbane Leben angenehmer machen und Dienstleistungen verbessern, Menschen ihre Wege, ihre Gewohnheiten und ihr Einkaufsverhalten preisgeben." Beim Forum Virium in Helsinki arbeitet man an einer Plattform mit Namen My Data, die es Usern erlaubt, den Zugang zu ihren elektronischen Fußspuren wirksam zu anonymisieren. Aber mit Big Data und dem Internet der Dinge werden die Bürger mündiger wie ein Beispiel aus London zeigte. Sogenannte "Spy Bins" - smarte Abfallbehälter - sollten eigentlich nur messen, wie Menschen sich zu bestimmten Tageszeiten in der Stadt bewegten. Doch leider griffen die schlauen Mülleimer auch persönliche Daten ab. Die Empörung war groß und London verabschiedete sich von diesen unbeabsichtigten Überwachern.

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