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Tradition: 40 Jahre Volkswagen Golf GTI - Vom Phantom zum Phänomen

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  • 23. November 2015, 15:06 Uhr
  • Wolfram Nickel/SP-X

Am Anfang spukte er als Sport-Golf in geheimen Überlegungen der Entwicklungsingenieure. Dann aber brauchte VW einen Knüller für die Frankfurter IAA und aus dem Sport-Golf wurde ein roter Renner namens GTI - limitiert auf lediglich 5.000 Einheiten. Schließlich konnte keiner ahnen, dass dieser GTI einer ganzen Klasse seinen Namen geben würde.

Auf den Punkt brachten es führende deutsche Automanager anlässlich der IAA 1975: ,,Der Erfolg des Golf hat uns total überrascht!" Einen ersten Eindruck seiner Durchschlagskraft hatte der Kompakte schon im Oktober des Vorjahres gegeben, als vom Golf auf dem Heimatmarkt mehr Einheiten verkauften wurden, als etwa von der gesamten Opel-Palette zusammen. Auf der Frankfurt Autoschau aber konstatierten Marktanalysten gar ,,neue Dimensionen des Wettbewerbs", ausgelöst von einem marsrot leuchtenden Kraftpaket namens Golf GTI. Drei Buchstaben, die für geringes Gewicht, sportliche 110 PS Leistung und 182 km/h Spitze standen. Hatte schon die 50 oder 70 PS leistende Golf-Basis mit quer eingebautem Motor, Frontantrieb und Schrägheck mit großer Klappe alle Standards der unteren Mittelklasse von Opel Kadett und Ford Escort hinweggefegt, löste der GTI nun einen neuen Urknall aus.

Ganz ohne Kriegsbemalung und Spoilerwerk wie Ford RS oder Opel Rallye demokratisierte der schnellste Wolfsburger die Überholspur der Autobahn und wurde Vorbild einer neuen Klasse kompakter Sportler. Das rot gehaltene Typenkürzel für Gran Turismo Injection wurde zum Schreck aller etablierten kleinen Powerpakete, aber auch für große Sechszylinder-Businessliner. Denn der flinke und langstreckenhungrige GTI begeisterte nicht nur die Fraktion der Sport-, sondern sogar berufliche Vielfahrer. Kein Wunder, dass aus der ursprünglich geplanten Auflage von 5.000 GTI zwölf Monate später 50.000 und bis heute rund zwei Millionen Spaßmacher in sieben Generationen wurden - mit Alleinstellung durch ein eigenes Festival am Wörthersee.

Entstehen konnte die schnellste Art des Golfsports wahrscheinlich nur in Norddeutschland, beherrscht doch kein anderer Autobauer die Kunst des klassenlosen Kompakt- bzw. Kleinwagens so vollkommen wie Volkswagen. Nicht einmal die legendären BMW 1502 bis 2002 tii sind deshalb echte GTI-Vorläufer, kauften die Kunden der oft ,,golf-gelb" lackierten 02er doch stets das abgehobene BMW Image, während sich die Kanonenkugel namens GTI äußerlich kaum von der knauserigen Golf-Basis mit 50 PS differenzierte. Seinen Schafspelz legte der Golf erst auf Renn- und Rallyepisten ab, hier fuhr er mit extremen Verbreiterungen und wilden Beklebungen die Konkurrenz oft genug in Grund und Boden und gewann spätestens ab 1981 so ziemlich alle denkbaren Meistertitel.

Womit der GTI die ursprüngliche Mission seiner geistigen Väter erfüllte, die ihn als Sport-Golf erdacht hatten. Ausgerechnet im denkwürdigen Jahr 1973 begann die GTI-Geschichte. Damals sorgte der Käfer als aggressiv bemalte Sonderserie ,,gelb-schwarzer-Renner" gemeinsam mit noch frecheren Wildfängen wie Ford Escort RS und Simca 1000 Rallye und dem verwegenen BMW 2002 turbo für eine Aufregung, die sogar den Bundestag erreichte. Was die muskulösen Kleinen für die Kunden jedoch nur begehrlicher machte, daran änderte letztlich auch die im Spätherbst des Jahres einsetzende Ölkrise mit Sonntagsfahrverboten und Tempodiskussionen kaum etwas. Für den kleinen motorsportbegeisterten Kreis aus VW-Versuchsingenieuren, Marketing- und Kommunikationsspezialisten, die dem Projekt EA 337 - also dem künftigen Golf - einen Breitensportler an die Seite stellen wollten, jedoch Anlass, umsichtig vorzugehen. Weshalb sich ein erster Prototyp auf Scirocco-Basis mit kompromisslosem Sportfahrwerk, brüllendem Rennauspuff sowie durch Registervergaser auf über 100 PS gebrachtem 1,5-Liter-Aggregat auch nicht wirklich zur Vorstellung beim Vorstand eignete.

In zurückhaltenderer Form wurde der Versuchsträger im Frühjahr 1975 dann aber doch von der Konzernführung freigegeben. Dies verbunden mit dem Auftrag, eine sportive Version des Golf zu entwickeln, die es nicht an Understatement und Effizienz missen ließ. Nun musste alles ganz flott gehen, schließlich sollte der schnellste Volkswagen aller Zeiten schon im September als Superstar der Frankfurter IAA gefeiert werden. Da passte es gut, dass die Konzerntochter Audi einen neuen 81 kW/110 PS starken 1,6-Liter-Vierzylinder mit Bosch K-Jetronic bereitstellen konnte, der unter dem damaligen Audi-Entwicklungsvorstand Ferdinand Piëch für den 80 GTE konstruiert worden war. Während die Ende August versendete erste Pressemitteilung umständlich vom ,,zurückhaltend gestalteten, gebrauchstüchtigen, kompakten Reisewagen mit hohen Fahrleistungen bei niedrigem Kraftstoffverbrauch" sprach, wandte sich das Marketing sofort ,,an alle Motorsport-Fans: Der Golf GTI beschleunigt in von 0 auf 80 km/h in 6,1 Sekunden. Von 0 auf 100 km/h in satten 9,0 Sekunden".

Was für eine Ansage in einer Zeit als sich ein Standard-Golf noch 16,5 Sekunden gönnte. Nicht einmal Sportwagen wie Porsche 924, Renault Alpine A110 oder Triumph TR7 konnten dieser Vorgabe des GTI Paroli bieten. Allein der soeben erneuerte Ford Escort RS 2000 nahm es mit der Wolfsburger Sturmspitze auf und auch das Coupé Kadett GT/E war nur unwesentlich langsamer. In einer Disziplin war der Wolfsburger seinen altbackenen Kölner und Rüsselsheimer Rivalen mit Hinterradantrieb und Starrachse sogar unterlegen: Bei Showeinlagen durch spektakuläre Driftwinkel in Kurven auf losem Untergrund. Im Alltag aber war der moderne Golf der schnellste, sparsamste und praktischste Sportler des Trios, wie Fachpresse und Käufer konstatierten. Was die Sparsamkeit betraf, war der GTI sogar gut für eine Sensation: Mit 8,0 Litern Normverbrauch konsumierte der 110-PS-Sprinter nicht mehr als der 50-PS-Knauser-Golf.

So gesehen gelang dem GTI die Quadratur des Kreises: Ein praktischer Kompakter im optischen Tarnkleid, der das Potenzial des sportlichen Siegertyps mitbrachte. Wer nach noch mehr Leistung oder mehr Exklusivität für seinen GTI suchte, auf den wartete die Armada der Tuningindustrie. Artz, Abt, Mahag, Nordstadt, Oettinger oder Zender befriedigten die Lust nach Luxus oder mehr Leistung zu teils exorbitant hohen Preisen. 64.000 Mark verlangte etwa Nordstadt für einen Golf GTI mit 92 kW/125 PS, Telefon, Fernseher - und erhielt angeblich eine ganze Serie an Bestellungen von frustrierten Porsche-911-Fahrern, die die Frage leid waren, ob ihr Auto über oder unter 80.000 Mark gekostet habe. In den von Sozialneid geprägten Siebzigern keine Seltenheit.

Seinen Vorsprung gegenüber allen Rivalen konnte der Golf GTI aber vor allem in der Serienversion ausbauen, sogar als Ford Escort und Opel Kadett auf Frontantrieb umgestellt wurden. Dazu erhielt der Volkswagen 1982 einen 1,8-Liter-Benziner mit 82 kW/112 PS und wenig später folgte das sagenumwobene Sondermodell Golf GTI Pirelli mit einem Nimbus ähnlich wie der legendäre Pirelli-Kalender. Insgesamt 10.500 Einheiten Pirelli-Golf wurden von Mai bis Oktober 1983 zu Preisen ab 20.282 Mark verteilt. Wobei junge Gebrauchte sogar oft über den Neuwagenpreisen gehandelt wurden, vor allem wenn sie in den Sonderfarben Lhasametallic und Heliosblaumetallic glänzten. Ein furioses Finale, mit dem die erste, 462.000-mal gebaute GTI-Generation den Weg frei machte für bis heute sechs weitere Golf-Generationen. Und über 100 Nachahmer anderer Marken, die allzu gerne das Kürzel GTI gebrauchen.
Chronik - Der Weg des ersten Golf GTI:
1969: Volkswagen-Chef Kurt Lotz besucht mit Vorstandskollegen den Turiner Automobilsalon und lässt eine Liste mit den sechs interessantesten Fahrzeugen erstellen. Vier davon tragen eine von Giorgetto Giugiaro gezeichnete Karosserie. Daraufhin wird Giugiaro nach Wolfsburg eingeladen, um über den Entwurf einer neuen Volkswagen-Produktfamilie zu verhandeln
1970: Im Januar einigen sich Kurt Lotz und Giugiaro über den Entwurf eines Käfer-Nachfolgers, mit dem Platzangebot des Käfers. Parallel bestellt VW auch bei anderen Designern Entwürfe. Am 12. August wird jedoch Giugiaros Entwurf ausgewählt und realisiert
1971: Am 12. Oktober verabschiedet Volkswagen bei einer Vorstandssitzung den Marktstart des Entwicklungsauftrags 337 (Golf) für August 1974
1973: Im März gibt es erste Überlegungen und Planungen zu einem sogenannten Sport-Golf, der später als GTI in Serie geht. Grundlage dafür ist eine am 18. März verfasste interne Mitteilung des Versuchsingenieurs Alfons Löwenberg an Kollegen aus der Abteilung Forschung und Entwicklung. Löwenberg gibt die Anregung zu einem konsequent sportlichen Modell auf Basis des Projekts EA 337 (interner Code des künftigen Golf)
1974: Im Mai erfolgt die Pressevorstellung des Golf. Der Golf übernimmt zunächst die Motoren aus den Modellen Audi 50 (1,1 Liter mit 50 PS) und Audi 80 (1,5 Liter mit 70 PS)
1975: Mit Ausnahme des Jahres 1980 führt der Golf I von nun an während seiner ganzen Laufzeit die deutsche Zulassungsstatistik an. Im Frühjahr wird das Projekt Sport-Golf dem Vorstand gezeigt, Ende Mai startet die finale Entwicklung. Am 28.August kündigt Volkswagen die Vorstellung des GTI mittels Pressemitteilung an. Seine Weltpremiere feiert der GTI ab 11. September auf der Frankfurter IAA. Der Prototyp unterscheidet sich in Details noch vom späteren Serienmodell, so verfügt das Lenkrad noch nicht über den kultigen, sogenannten Spucknapf, die GTI-Schriftzüge sind klobiger und der Frontspoiler ist etwas kleiner gehalten. Das Messepublikum reagiert so euphorisch auf den GTI, dass der Bau einer Sonderserie von 5.000 Exemplaren beschlossen wird
1976: Der Golf wird Produktionsmillionär. Am 1. Juni erfolgt der Serienanlauf des GTI, der vorerst nur als Dreitürer lieferbar ist und dies in den Farben Marsrot oder Diamantsilber. Später ergänzen die Farben Schwarz und Alpinweiß die Palette. Schnell zeigt sich, dass 5.000 Einheiten nicht genügen. Der 110 PS starke und 182 km/h schnelle GTI erobert eine neue Klientel und begründete die GTI-Klasse. Aus 5.000 Exemplaren werden schon in den ersten fünf GTI-Generationen mehr als 1,7 Millionen. Kein anderer kompakter Sportwagen der Welt ist ähnlich erfolgreich
1979: Im März Weltpremiere des Golf Cabriolets auf dem Genfer Salon. Markteinführung im Juni mit 1,5-Liter-Benziner (51 kW/70 PS) und 1,6-Liter-Benziner (81 kW/110 PS) aus dem Golf GTI. Neu für den GTI ist ein Fünfganggetriebe
1980: Im Herbst zum Modelljahreswechsel Modifikationen für den Golf, optisch erkennbar an größeren Rückleuchten und neuer Armaturentafel (bisher schon im Jetta). Außerdem ist der GTI ab sofort optional als Fünftürer bestellbar
1981: Alfons Stock und Paul Schmuck werden auf Golf GTI Deutsche Rallyemeister. Zum Modelljahr 1982 wird der GTI mit 4+E-Getriebe ausgeliefert, die Höchstgeschwindigkeit erreicht der GTI dabei im vierten Gang. Auf Wunsch gibt es weiterhin das konventionelle Fünfganggetriebe. Außerdem neues Lenkrad mit großem, rechteckigem Pralltopf
1982: Im März debütiert auf dem Genfer Salon der Golf GTD mit Abgasturbolader. Optisch orientiert sich dieser 70 PS starke Diesel am GTI. Im Juli ersetzt ein 1,8-Liter-Benziner mit 82 kW/112 PS Leistung das 110-PS-Triebwerk im GTI und Golf GLI Cabrio
1983: Im Mai wird das Sondermodell Golf GTI Pirelli (offiziell ,,Sondermodell Golf GTI", u.a. spezielle Felgen) angeboten, das rasch Kultstatus erlangt. Insgesamt 10.500 Einheiten Pirelli-Golf werden von Mai bis Oktober gefertigt mit markanten Doppel-Scheinwerfern und 14-Zoll-Rädern mit Pirelli-P6-Bereifung. Neben den Lacktönen Marsrot und Alpinweiß gibt es die Farben Lhasametallic und Heliosblaumetallic. Im August wird der Golf II eingeführt. Vom Golf I wurden in Deutschland über sechs Millionen Einheiten produziert, davon immerhin 462.000 GTI
1984: Im Januar läuft die Produktion des Golf II als GTI an. Außerdem ist der Golf mit 1,8-Liter-Benziner Vorreiter bei Einführung des geregelten Drei-Wege-Katalysators
1985: Der GTI wird optisch nachgeschärft mit zwei Zusatzscheinwerfern für das Fernlicht und roten Linien auf Schutzleisten und Stoßstangen sowie neuem Doppelauspuff. Im Mai wird der GTI 16V mit 16 Ventilen angekündigt
 
Wichtige Motorisierungen Golf GTI Generation 1:
Volkswagen Golf GTI (ab 1976) mit 1,6-Liter-(81 kW/110 PS)-Vierzylinder-Benziner, 0-100 km/h: 9,0 s, Vmax: 182 km/h, Normverbrauch: 8,0 Liter/100 Kilometer;
Volkswagen Golf GTI (ab 1981) mit 1,6-Liter-(81 kW/110 PS)-Vierzylinder-Benziner, 0-100 km/h: 9,1 s, Vmax: 182 km/h, Normverbrauch bei 90 km/h: 6,7 Liter/100 Kilometer;
Volkswagen Golf GTI (ab 1982) mit 1,8-Liter-(82 kW/112 PS)-Vierzylinder-Benziner, 0-100 km/h: 9,2 s, Vmax: 183 km/h, Normverbrauch bei 90 km/h: 6,4 Liter/100 Kilometer.
 

Ausgewählte Preise Golf GTI:
Volkswagen Golf GTI (1976) ab 13.850 Mark
Volkswagen Golf GTI (1977) ab 14.435 Mark
Volkswagen Golf GTI (1979) ab 16.132 Mark
Volkswagen Golf GTI (1981) ab 17.035 Mark
Volkswagen Golf GTI (1982) ab 18.020 Mark
Volkswagen Golf GTI dreitürig (1983) ab 19.725 Mark
Volkswagen Golf GTI fünftürig (1983) ab 20.400 Mark
Volkswagen Golf GTI Pirelli ,,Sondermodell Golf GTI" (1983) ab 20.282 Mark 

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