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Panorama: Ford im Silicon Valley - Am Nabel der Neuen Welt

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  • 22. Januar 2016, 11:24 Uhr
  • Benjamin Bessinger/SP-X

Von wegen Motown! Auch bei Ford haben sie begriffen, dass die Zukunft des Autos womöglich nicht in Detroit, sondern im Silicon Valley bestimmt wird. Als einer der letzten Hersteller hat der US-Konzern deshalb dort ein neues Forschungszentrum eröffnet. Ein Ortsbesuch.

Große, lichtdurchflutete Büros mit hellen Decken und piekfeinen Teppichböden, alle paar Meter ein Lounge-Sofa, auf den vielen Tresen ständig frische Öko-Smoothies und Bioriegel, im Automaten politisch korrekter Kaffee und hinter den Besprechungsräumen sogar eine große Dachterrasse - wer aus den Denkfabriken und Konstrukteurs-Kasernen in Detroit oder Köln ins neue ,,Research And Innovation Center" (RIC) der Ford Motor Company kommt, der hätte sich den Standort ein bisschen anders vorgestellt. Doch der ungewöhnliche Bürokomplex steht weder in Michigan noch im Rheinland, sondern im Silicon Valley.

,,Hier spielt künftig die Musik", sagt Dave Kaminski, der nach über 20 Jahren in Detroit an die Westküste gewechselt hat. Er feiert das Silicon Valley als ,,Epi-Zentrum der Technologie" und den Nabel einer neuen Welt. In der will Ford künftig eine größere Rolle spielen, ,,Wir sind mitten im Wandel von einem Automobilhersteller zu einem Fahrzeug- und Mobilitätsanbieter", predigt Konzernchef Bill Ford bei jeder Gelegenheit und sieht die Firma an einer ähnlichen Wendemarke wie damals, als sein Urgroßvater Henry mit dem Model T das Fließband eingeführt hat. Doch um all die neuen Geschäftsfelder zu besetzen, braucht er weniger Blechbieger und Eisengießer, sondern vor allem Programmierer, Netzwerker und Querdenker. Und die findet man nicht in Detroit, sondern in Palo Alto, Cupertino, Mountain View, Sunnyvale oder San Jose.

Das haben die Amerikaner allerdings ein bisschen spät erkannt. Denn während zum Beispiel der Mercedes-Standort im benachbarten Sunnyvale gerade seinen 20. gefeiert hat, ist Ford erst seit 2012 im Valley - und hatte in den ersten drei Jahren nicht mal ein Dutzend Mitarbeiter. Dafür hat Ford beim zweiten Anlauf nicht gekleckert, sondern geklotzt und in der 3200 Hillview Avenue in Palo Alto direkt zwischen Skype und der Vorausentwicklung von Lockheed Martin im letzten Jahr eines der größten Forschungszentren eröffnet, das die Autoindustrie im Valley betreibt. Und zu den neuen Labors und den schmucken Büros gibt es fast 200 neue Jobs, von denen gerade mal zehn Prozent mit altem Personal aus Detroit besetzt wurden. Der große Rest sind junge Talente als aller Herren Länder, die Ford zum Beispiel von den fünf Elite-Universitäten in der Nachbarschaft oder den 200 Start-Ups rekrutiert hat, mit denen das RIC zusammen arbeitet.

In Palo Alto machen die Entwickler all das, was cool und sexy ist. Während sie in Detroit oder Köln um jedes Kilo Fahrzeuggewicht und jedes Gramm CO2 ringen, geht es im Silicon Valley - wie könnte es anders sein - vor allem um Bits und Bytes. Sie ,,connecten" das Auto mit dem Internet der Dinge und entwickeln Apps, mit denen man vom Steuer aus per Sprachbefehl die Garage öffnen oder im Backofen schon mal die Pizza warm machen kann. Sie entwickeln neue Mobilitätskonzepte vom kollektiven Leasing im Freundeskreis bis hin zur Fahrradnutzung für die letzte Meile, sie analysieren die Datenströme im Verkehr für einen besseren Fluss und natürlich arbeiten sie auch am autonomen Fahren. Nicht umsonst hat Ford gerade seinen führerlosen Fuhrpark verdreifacht und jetzt mit 30 Prototypen die größte Testflotte in der Branche.

Und ein eigenes Design-Studio für die Cockpits von morgen und das, was die Programmierer ,,Digital User Interface" nennen, haben sie in Palo Alto mittlerweile auch: ,,Wir hatten irgendwann keine Lust mehr, denen in Detroit immer wieder zu erklären, was wir eigentlich von ihnen erwarten. Deshalb haben wir hier selbst eine entsprechende Abteilung aufgebaut", sagt Kaminski.

Dass den Experten das Valley als Nabel der neuen Welt gilt, hat so vielfältige Gründe, wie die Innovationen, die hier ihren Ausgang genommen haben. Doch neben dem hohen Lebens- und Freizeitwert der Region, der Nähe zu Universitäten wie Stanford oder Berkeley und den unzähligen Geldgebern ist es vor allem eine Frage der Mentalität, sagt zum Beispiel Johann Jungwirth, der das Silicon Valley kennt wie seine Westentasche, nachdem er erst bei Mercedes und Apple gearbeitet hat und jetzt die Digitalisierung bei VW voran treiben soll.  Das ungestillte Verlangen, etwas Neues zu erfinden und die Welt zu verändern, und vor allem der Mut, es tatsächlich auch auszuprobieren - das macht für ihn das Valley aus. An den Stammsitzen der großen Industriekonzerne müsse man für neue Ideen immer erst mal ein paar Skeptiker überzeugen. ,,Das klappt doch nie", sei da die Standard-Antwort, weil es immer irgendeinen Bedenkenträger gäbe, der mit einem ähnlichen Ansatz schon vor 10, 20 Jahren mal gescheitert ist. ,,Hier dagegen sagt man: Klasse, probier's einfach mal aus." Und wer mit einer Idee scheitere, der ernte kein Mitleid, sondern trotzdem Applaus. ,,Hier im Valley weiß man, dass auf einen erfolgreichen Versuch 100 Fehler kommen und honoriert den Mut, es immer wieder zu versuchen. Andernorts dagegen scheitert man und ist, wenn's dumm läuft, für die nächsten Jahre unten durch. Manche Erfindungen und Entwicklungen können deshalb nur im Silicon Valley gelingen und nicht in Detroit, Wolfsburg oder Tokio.

Zwar kommen einige dieser Erfindungen und Entwicklungen von neuen Spielern, deren Erfolg für die etablierten Marken womöglich bald gefährlich wird. Man denke dabei nur an Tesla, an die noch immer unklaren Ambitionen von Apple und Google oder an das elektrische Phantom Faraday. Doch wer glaubt, dass die Autohersteller hier im Silicon Valley Angst um ihre Zukunft haben und sich längst in der Abwicklung, den belehren zwei große Plakatwände im Eingangsbereich des Ford-Centers eines Besseren. Den dort haben die Mitarbeiter zur Eröffnung vor einem Jahr aufgeschrieben, was sie antrieb. Und da ist von Skepsis keine Spur. Im Gegenteil: ,,The best", so kann man da zum Beispiel in blauer Schrift lesen, ,,is yet to come."

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