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Sonst noch was? - Frösteln im Mai

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  • 29. Mai 2016, 10:39 Uhr
  • Peter Eck/SP-X

Wissen Sie noch, wie einfach die automobile Welt vor einem Jahr wahr? Wie toll die Produkte? Wie eng die ,,Zusammenarbeit' mit der Politik? ,,Schummel-Software' hätten wir für den miesen Trick eines Formel-1-Rennstalls gehalten und ,,Thermofenster' für das neueste aufpreispflichtige Extra eines deutschen Premiumherstellers.

Ach, es wird zunehmend schwerer diese Kolumne sinnvoll zu füllen. Werden doch selbst ironischste Anmerkungen, Ausblicke oder Kommentare regelmäßig von der Wirklichkeit ein- und souverän überholt. Wir wollen an dieser Stelle noch einmal daran erinnern: Auch wenn das Wetter es nicht immer glauben lässt - aber wir haben Mai. Es ist also noch kein Dreivierteljahr her, dass aus den USA der je nach Standpunkt ,,Dieselproblematik" oder ,,Betrugsaffäre" genannte Tsunami zunächst über VW und anschließend über große Teile der gesamten Autoindustrie hinwegrollte.

Das heißt: Noch vor einem Jahr um diese Zeit, machten wir uns sorgen über das Wetter, über die zunehmende Zahl der Flüchtlinge und darüber, ob wir unseren neuen Dienst-Pkw in dunkelblau oder schwarz, mit oder ohne Head-up-Display bestellen sollten. ,,The times they are a changing" sang einst der gute Bob Dylan und er hatte ja sowas von Recht. Oder anders gesagt: Das Wetter ist heute wohl das kleinste Problem.

All die Aufregung der vergangenen neun Monate hat natürlich nicht unbedingt dazu geführt, dass die Dinge heute klarer gesehen werden. Aber doch anders, immerhin. Wobei eine kommunikativ in vielerlei Hinsicht mehr als unglücklich agierende Autoindustrie jetzt in Kauf nehmen muss, wie ein 10.000-Meter-Läufer zu wirken, der nach der Hälfte der Strecke merkt, dass er eine Runde hinterm Hauptfeld zurückliegt und jetzt langsam mal Gas geben muss. Gas geben. Sehen Sie, kurz zuckte es im linken Ringfinger des Autors, ob er statt des ,,G" und in der Folge ,,as" nicht besser ein ,,S" und anschließend ,,trom" hätte schreiben sollen. So weit ist also schon gekommen.

Dies ist die direkte Folge einer Art Zeitenverwirrung. Das klingt jetzt ein wenig verwirrend? Nun gemeint ist: Wir sprechen heute über die Gegenwart so, als wäre es schon die Zukunft. Zumindest Politik, Verbände, Abzocker-Vereine und in Teilen auch die Autoindustrie tun so, als gäbe es für den normalen Autofahrer nichts Wichtigeres als sich irgendwie alternativ zu bewegen. Wobei alternativ leider nicht heißt, mal zu Fuß zu gehen oder das Fahrrad zu nutzen - sondern einfach in eine andere Art von Auto zu steigen. Autos, die einen selbst mit vollgeladenem Tank immer etwas ängstlich auf den Reichweitenanzeiger blicken lassen. Solche Autos eben.

Wir sprechen darüber, weil die Politik es mit einer größenwahnsinnigen Ansage (,,eine Million E-Autos bis 2020") so will und weil die Autoindustrie derart an Reputation verloren hat, dass sie jetzt einfach voll mitmachen muss. Zumindest offiziell. Gleichzeitig kämpft die Branche verzweifelt gegen ihr Schummel-Image an, das sie natürlich selbst zu verantworten hat. Und zwischen allen Stühlen (oder besser Rädern) sitzt (oder steht) der Autofahrer alleingelassen mit wichtigen Fragen der echten Gegenwart: Wie geht es weiter mit meinem Dieselauto? Bin ich sowas wie ein bereifter Mörder? Und soll ich mir lieber ein Elektroauto kaufen? Was ist eigentlich schlimmer: CO2 oder Stickoxid? Und wann endlich kommt mein neuer blauer Dienstwagen mit Head-up-Display?

Von der Politik ist ein Jahr vor der Bundestagswahl nur Geld zu erwarten. Sonst nichts. Kein Standpunkt, nirgends. Die Zeiten, als der Begriff ,,Autokanzler" vom jeweiligen Regierungschef zwar nicht eingefordert, aber doch mit stolzer Beschämtheit zumindest gnädig angenommen wurde, sind vorbei. Und sie kommen auch nicht mehr wieder. Vielleicht ist das ganz gut so. Die Alternative aber, die Diktatur von Abmahnvereinen in enger Zusammenarbeit mit sich aufklärerisch gebenden, aber letztlich nur dem letzten Skandal hinterherhechelnden Medien, lässt einen allerdings auch ziemlich frösteln. Mitten im Mai. Sonst noch was? Nächste Woche wieder.

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