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Sonst noch was? - Ruft! Nicht! An!

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  • 26. Juni 2016, 10:28 Uhr
  • Peter Eck/SP-X

Ich macht mir die Welt, wie sie mir gefällt. Das geht am besten durch heftiges Jonglieren mit Zahlen oder durch Negation der Realität. Oder beides.

Wir lieben Statistiken und erfreuen uns an ihnen. Zum Beispiel an der Tatsache, dass angeblich jeder zehnte Isländer zurzeit in Frankreich bei der Fußball-Europameisterschaft weilt, um das eigene Team lautstark und sympathisch zu unterstützen. Hätten wir in Deutschland so eine Quote, müssten jetzt über 8 Millionen Fans im Nachbarland sein.

Also wie gesagt, wir lieben solche Statistiken. Und dabei liegt die Betonung auf ,,solche", was hoffentlich deutlich genug impliziert: andere nicht so sehr. Die von uns schon das eine oder andere Mal aufgespießte ,,Umfragerities" etwa ist noch nicht gestoppt oder gar im Rückgang begriffen. Nein, sie breitet sich vielmehr immer weiter aus. Immer weiter. Sie ist nicht zu stoppen. Hilfe!

Alleine an einem einzigen Vormittag dieser Woche wurden wir von einer Versicherung darüber informiert, dass 14 Prozent der deutschen Autofahrer ihren Fahrstil ,,auch" als aggressiv beschreiben würden, dass 57 Prozent der deutschen Autofahrer ,,glauben", mit ihrem Navi schneller ans Ziel zu kommen (von einer Mobilitäts-App) oder dass ein Car-Sharing-Auto ,,bis zu" 20 private Pkw ersetzt (vom einschlägigen Bundesverband). Was folgert daraus: Wir ,,glauben", dass eine echte News ,,bis zu 20" sogenannte Umfragen ,,auch" ersetzen könnte.

Cui bono, fragen wir mal rhetorisch und ahnen die Antwort. Zumindest dürften sich die solche Umfragen ausdenkenden PR-Agenturen damit gutes Geld verdienen. Und das ist ja nicht verboten. Verboten ist es allerdings auch deren Kunden nicht, mal selbst zu denken. Oder ist vielleicht alles ganz anders? Finden diese Meldungen, Statistiken und Zahlen im leider ja ach so aufnahmefähigen Internet doch alle ihr Plätzchen? Dann hätten wir, die Medien und Journalisten, das Elend der PR-Statistiken ja letztlich nur verdient.

Apropos verdient. Dass haben wir vermutlich auch den Umgang mancher PR-Abteilungen mit uns. Letzthin klagte uns ein befreundeter Wirtschaftsjournalist sein Leid, dass ein authentisches Wortlaut-Interview heute kaum noch möglich sei. Es gäbe Pressesprecher, die die Worte ihres CEO oder Geschäftsführers im Nachhinein völlig anders gehört haben und das zu Freigabe eingereichte Gespräch komplett verändern. Als hätten nicht vier oder fünf Erwachsene im Raum gesessen und die Worte gehört und als wären diese nicht zusätzlich auch auf Diktiergeräten und Stenoblöcken aufgezeichnet. Aber wie sagte schon die große Philosophin Pippi Langstrumpf: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.

Den Verfall der Sitten haben wir natürlich auch schon am eigenen bescheidenen Leib gespürt. Manche Pressestellen melden sich heute nicht nur, wenn in einem Beitrag ein Fehler entdeckt wurde, was ja auch völlig okay wäre, sondern rufen gerne auch mal morgens um 7.45 Uhr an, weil ihnen ein Beitrag zu kritisch ist, weil sie an eine Verschwörung glauben - weil er ihnen also letztlich einfach nicht gefällt. Wer glaubt, diese Art der Einflussnahme sei eine seltene Ausnahme, der irrt gewaltig. Sie ist vielmehr weit verbreitet und erstreckt sich vom kleinen Edelhersteller über Volumenmarken bis hin zum Hersteller von Nutzfahrzeugchen. Und dabei gilt die eiserne Regel: Je kleiner, desto großmäuliger.

Ohne Frage: Noch gibt es Gott sei Dank Profis in den Presseabteilungen, aber sie scheinen gefühlt weniger zu werden. Abgelöst von akademisierten Theoretikern, die noch nie eine Redaktion von innen gesehen oder eine solche zu lange nicht mehr gesehen haben. Und bitte: Falls sich jetzt jemand angesprochen fühlt: Ruft! Nicht! An!
Sonst noch was? Nächste Woche wieder.

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