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Mercedes Urban eTruck - Summen in der City

Dieselabgase und Lkw-Lärm in Städten, das muss in Zukunft nicht mehr sein, findet Mercedes und präsentiert den ersten schweren Lkw für den innenstädtischen Betrieb, der mit Strom fährt.

Immer mehr Metropolen wollen Lastwagen aus ihren Innenstädten verbannen. Im Gespräch sind verschärfte Abgasnormen oder sogar die Einrichtung von abgasfreien Zonen. Auch in London, Paris oder Peking drohen rigide Beschränkungen. Betroffen sind neben den LKW-Betreibern vor allen die Händler in den viel besuchten Zentren, die um Belieferung mit ihren Waren fürchten. ,,Wir haben die Antwort", sagt Mercedes und präsentiert den ersten rein elektrisch angetriebenen schweren Truck für den sogenannten Verteilerverkehr.

Der dick mit Tarnfolie zugepflasterte LKW rollt mit leisem Singen vor die Behelfstribüne am Rande des Mercedes-Stammsitzes in Untertürkheim, kommt lautlos vor den Premierengästen zum Stehen. ,,Wir erleben hier einen ganz besonderen Tag", sagt Nutzfahrzeug-Vorstand Wolfgang Bernhard. ,,Heute ist die Geburtsstunde des ersten rein elektrisch angetriebenen schweren Lastwagens. Er wird dazu beitragen, die Lärm- und Umweltprobleme in unseren Städten zu lösen".

Der Versuchsträger, dessen endgültige Form erst auf der Nutzfahrzeug-IAA im September in Hannover enthüllt werden soll, kann mit einer Batterieladung gut 200 Kilometer weit unterwegs sein, bevor er wieder an die Ladestation muss. Vorstand Bernhard: ,,Das deckt den Bedarf unserer Kunden vollständig ab. Mehr ist ein solcher schwerer Verteiler-LKW nur in seltenen Fällen unterwegs."

Im Stahlrahmen des dreiachsigen Urban eTruck sind drei Batteriepakete mit je 30 E-Modulen crashsicher untergebracht. Deren Kapazität von knapp 212 kWh reicht aus, um gut 12,8 Tonnen Ladegut zum Empfänger zu schleppen. An die Stelle des konventionellen Antriebs tritt eine Hinterachse mit Elektromotoren unmittelbar neben den Naben. Sie schieben den LKW mit 250 kW/340 PS an. In Verbindung mit einer Übersetzung erreicht die Durchzugskraft am Rad sagenhafte 11.000 Newtonmeter. Die Ladezeit an einer 100-kW-Säule soll nur gut zwei Stunden dauern. Allerdings sind solche potenten Kraftquellen derzeit noch nicht üblich.

Doch bis der Öko-Stromer im öffentlichen Verkehr landet, werden ohnehin noch einige Jahre vergehen. ,,Mit der Serieneinführung rechnen wir zu Anfang des nächsten Jahrzehnts", dämpft der Manager die Ungeduld mancher Spediteure. ,,Noch sind viele Tests und Entwicklungen nötig", räumt Bernhard ein. ,,Doch die Basis ist gelegt, das Konzept steht. Es wird wegweisend für die ganze Branche sein". Warum dauert es noch so lange? Der smarte LKW-Chef unter dem ,,Stern" erklärt: ,,Das richtige Timing ist entscheidend. Wer zu früh kommt, verliert Geld. Wer zu spät kommt, verliert die Kunden".

In der Tat waren erste Konzepte elektrisch betriebener Lastesel nicht erfolgreich. Die 2009 präsentierte Studie eines E-Vito verschwand ebenso im Daimler-Archiv wie eine Stromer-Version des größeren Sprinter. Die Technik war noch nicht so weit: Zu geringe Reichweite, viel zu schwer und viel zu teuer. Jetzt glaubt Daimler an eine Wende: Im Vergleich zu 1993 werden die Kosten für die Batterietechnik bis 2025 um 60 Prozent sinken. Gleichzeitig wird die Leistung um 250 Prozent steigen.

Wolfgang Bernhard gibt zu, dass der Anschaffungspreis eines elektrischen LKW noch geraume Zeit über dem eines Diesel-Trucks liegen wird. ,,Dem muss man aber die günstigeren Betriebskosten gegenüberstellen, zumal die Preise für Diesel auch wieder steigen werden". Er nannte als Vorteil eines großen E-Mobils auch sinkende Servicekosten, da viele Bauteile des konventionellen Antriebs wegfallen. Auf der Negativseite steht jedoch weiterhin das höhere Gewicht, bedingt durch die großen Batterien. Im Vergleich zu einem gleichgroßen Diesel-LKW ist der Urban eTruck über 700 Kilogramm schwerer.

Für den Fernverkehr, der auf Autobahnen und Landstraßen über weite Strecken unterwegs ist, bietet sich laut Bernhard die E-Technik derzeit noch nicht an. ,,Die dafür nötigen Reichweiten sind mit der heutigen Technologie nicht zu realisieren", sagt er und betont, dass sich ,,Daimler für den Überlandverkehr Optionen wie Brennstoffzelle oder Hybridlösungen" offenhält. ,,Das ist die Entscheidung noch nicht gefallen".

Deshalb also die jetzige Konzentration auf den innerstädtischen Verteilerverkehr. Die bis zu 26 Tonnen schweren LKW, übernehmen die Fracht von ihren Autobahn-Verwandten und transportieren sie zu den Supermärkten oder Einkaufszentren. ,,Dieser Verkehr macht weltweit rund 10 Prozent des LKW-Bestandes aus", rechnet Vorstand Bernhard vor.

Bei alledem kann Mercedes auf die Erfahrungen bauen, die man bereits mit dem leichten LKW Fuso Canter E-Cell gemacht hat. Er ist seit 2014 bei ausgewählten Kunden im Praxistest, jetzt auch im hügeligen Stuttgart. Sein Elektromotor leistet 110 kW, das Drehmoment liegt bei 650 Nm. Er muss nach 100 Kilometern an die Ladestation, wo nach gut einer Stunde 80 Prozent der Batterieleistung wieder bereitstehen. Der Sechstonner, von der japanischen Daimler-Tochter Fuso entwickelt, kann gut drei Tonnen transportieren. Auf der IAA wird die nächste Generation präsentiert, deren Optik mit dem heutigen Modell nichts mehr gemein haben soll.

Sowohl der große Urban eTruck als auch sein kleinerer Bruder Canter haben ein Bauteil, dass typisch für die flüsterleisen Elektromobile ist. Um Fußgänger vor dem lautlos heraneilenden Auto zu warnen, kann per Knopfdruck ein akustisches System zugeschaltet werden. Es lässt dezent aber wirkungsvoll ein gut wahrnehmbares Summen ertönen. Nun hat also auch die gute alte Hupe ausgedient.

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