Motorrad

Test: BMW F 800 GS - Kleine Schwester

  • In MOTORRAD
  • 27. September 2016, 11:28 Uhr
  • Heinz May/SP-X

Bei dem Begriff GS denken viele Biker vor allem an die große BMW-Reiseenduro mit voluminösem Boxermotor. Doch in deren Schatten gibt es ein weiteres GS-Konzept, das gar drei unterschiedliche Motorräder gebiert. Wir haben uns eins davon, die F 800 GS, näher angeschaut. Und die ist nicht nur was für groß Gewachsene.

Als kleine Schwester hat man es nicht leicht. Stets steht man im Schatten der Größeren, und wenn es sich zudem um das meistverkaufte Motorrad weit und breit handelt, dann muss man befürchten, zur Bedeutungslosigkeit zu verkommen. Dass BMW es dennoch wagt, die kleinen GS-Drillinge F 700 GS, F 800 GS und F 800 GS Adventure nicht nur am Markt zu lassen, sondern auch weiter zu entwickeln, mag zunächst als mutiger Schritt erscheinen. Vielmehr aber basiert er auf nicht so schlechten Verkaufserfolgen, erfreut sich die F 700 GS mit 1.135 Zulassungen (Rang 15 in der Verkaufsstatistik) in 2016 und rechtfertigt so ebenso wie die F 800 GS (889/23.) ihre Existenz.
 
Für das Baujahr 2016 wurden sie leicht überarbeitet, vor allem mit neuen Farben versehen, aber auch mit einigen kleinen technischen Änderungen. Die wichtigste davon dürfte vor allem jene Biker freuen, die sich mit der Sitzhöhe der großen GS nie anfreunden konnten. Das macht die kleine GS nun besser. Je Modell stehen allein für die F 800 GS fünf mögliche Sitzhöhen durch vier Sitzbänke und die optionale Fahrwerkstieferlegung zur Verfügung. Man kann also eine Sitzhöhe zwischen 82  und 92 Zentimetern wählen - und da sollte für die meisten etwas dabei sein.
 
,,Unsere" GS, eine 800er, kam allerdings voll ausgewachsen daher, und wir müssen gestehen, dass wir uns schon bei ersten Aufschwingen auf der 1200er GS zu sitzen argwöhnten, denn außer der luftigen Höhe erinnert die gesamte Sitzposition an den ewigen Bestseller aus München. Auch das Rangieren der 800er fällt nicht so leicht wie es die 217 Kilo Gewicht vermuten lassen - zumal mit Koffern und Topcase. Von der 700er unterscheidet sie sich nur marginal, sogar der Zweizylindermotor ist derselbe. Er leistet mit 85 PS lediglich zehn PS mehr. Was der Kunde übrigens mit 2.200 Euro Aufpreis bezahlen muss.
 
Doch widmen wir uns der Testkandidatin. Wie erwähnt erinnert zunächst vieles an die große Schwester, doch schon der Blick auf die Armaturen zeigt die kleinere Klasse an, was nicht heißen soll, dass diese an Informationsgehalt oder Ablesbarkeit nachstehen. Nein, alles ist einsichtig gestaltet - eben so, wie man es von der Reihenzweizylinder-Modellreihe von BMW kennt.
 
 
So ist denn auch das Triebwerk ein alter Bekannter, dem immer mal wieder kleine Retuschen zugefügt werden, der unterm Strich seinen Charakter aber nicht verändert hat. Er erwacht mit brabbelndem Sound zum Leben, von dem nun wirklich keine Nachbarn geweckt werden. Wer diesbezüglich Understatement betreiben möchte, ist hier richtig. Oder anders ausgedrückt: Hinter einer Ducati bekommt man vom Geräusch der BMW nichts mehr mit. Das mag man mögen oder auch nicht, wir sehen den Sound eines Motorrades nach wie vor als charakterbildend an.
 
Zuviel liefert das Triebwerk indes an Vibrationen oberhalb von 5.000 Touren. Trotz Ausgleichswellen liefert der Motor immer noch zu viel davon, was im Verein mit einem gehetzt wirkenden Sound schnell zur Ansicht verleitet, man habe den Twin überfordert. Hat man freilich nicht - man muss sich nur daran gewöhnen.
 
Kaum besser wird es, wenn man den ersten Gang einlegt und Gas gibt. Letztlich kann man von 85 PS keine Wunder erwarten, und immerhin verläuft die Beschleunigungskurve des Motors schön gleichmäßig, doch mit zwei Personen und Gepäck muss man den Gashahn bisweilen schon recht bemühen, um flüssiges Fortkommen zu gewährleisten. Nicht umsonst auch ist die kleine GS-Reihe ein beliebtes Fahrschulmotorrad, steht doch deren Gutmütigkeit über allem anderen.
 
Und so haben die Bremsen keine Schwierigkeiten beim Vernichten der kinetischen Energie, wobei die Gabel recht tief eintaucht. Unterstützt wird die Bremsanlage vom ausgereiften ABS-System sowie weiteren sicherheitsrelevante Features wie die optionale Stabilitätskontrolle ASC sowie das elektronisch einstellbare ESA-Fahrwerk ESA dar, bei dem man zwischen dem Enduro- und dem Touringmode wählen kann.
Für das Modelljahr 2017 erlauben die Enduros serienmäßig die Wahl zwischen einem Road- und einem Rain-Modus, was sich auf Dosierbarkeit und Ansprechverhalten auswirken soll. Für die beiden 800er-GS gibt es optional noch die Fahrmodi Enduro und Enduro Pro, die ein optimiertes Ansprechverhalten speziell für den Offroad-Einsatz ermöglichen. Doch wir waren noch mit dem 2016er-Modell unterwegs und mit dem Touringmodus vollauf zufrieden.
 
Der Gitterrohrrahmen aus Stahl ist eine gelungene Sache. Nie kommt ein Gefühl mangelnder Stabilität auf, auch nicht bei beladenen Boxen und Tempo 180. Doch das dürfte auf wenige Ausnahmen begrenzt sein, denn das bevorzugtes Revier der F 800 GS ist nicht die Autobahn; viel lieber ist man mit ihr auf kleinen und kleinsten Landstraßen unterwegs, denn ihre Handlichkeit macht das Fahren dort leicht. Leider ist der Windschutz für große Fahrer zu mickrig ausgefallen, so dass einem schnell Verwirbelungen um den Helm brausen - und leider ist er auch nicht verstellbar.
 
Die Tankwölbung hinter dem Lenker ist lediglich Attrappe. Allround-Tankrucksäcke mit Magneten kann man somit also getrost im Schrank lassen. Der 16-Liter-Tank liegt unter der Sitzbank, der Einfüllstutzen ist seitlich von ihr zu finden. Bei einem Verbrauch von unter fünf Litern sind Reichweiten von knapp 300 Kilometern möglich.
 
Den Preis für die F 800 GS belässt BMW bei 11.200 Euro, doch wer derzeit schon nach einer Ausschau hält, sollte darauf achten, das 2017er-Modell zu kaufen, das nach Euro 4 homologiert ist.

Technische Daten - BMW F 800 GS:

Motor: Flüssiggekühlter Zweizylinder-Viertaktreihenmotor, vier Ventile pro Zylinder, Hubraum 798 ccm, Leistung 63 kW/85 PS bei 7.500/min, Drehmoment 83 Nm bei 5.750/min, Sechsganggetriebe, Kette
Fahrwerk: Gitterrohrrahmen aus Stahl, Upside-Downgabel Ø 43 mm, verstellbare Federbasis, elektronische Fahrwerksverstellung, Zweiarmschwinge aus Aluminium, verstellbare Federbasis; Doppelscheibenbremse vorn 300 mm, Zweikolben-Schwimmsattel;hinten 265 mm, Einkolben-Schwimmsattel, ABS, 2 Fahrprogramme
Maße und Gewichte: Radstand 1.573 mm, Sitzhöhe 820 - 920 mm, Gewicht vollgetankt 217 kg, Tankinhalt 16 Liter
Messwerte: Höchstgeschwindigkeit 200 km/h, Beschleunigung 0 - 100 km/h: k.A., Testverbrauch: 4,9 Liter/100 km
Preis: 11.200 Euro.

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