News

Panorama: Mit dem Mercedes 280 SL über den 17-Miles-Drive - California Dreamin'

  • In NEWS
  • 30. September 2016, 16:30 Uhr
  • Benjamin Bessinger/SP-X

Traumstraßen brauchen Traumautos: Mit welchem Wagen könnte man den legendären 17-Miles Drive in Kalifornien deshalb besser unter die Räder nehmen als mit einem Mercedes 280 SL.

In der Hotelvorfahrt ein halbes Dutzend Ferrari, auf dem Parkplatz am Strand ein Rudel Porsche, an jeder zweiten Ecke ein Rolls-Royce und mehr Bentleys als bei uns BMW - wer mit einem Auto auffallen will auf der Monterey Peninsula, der muss schon etwas ganz Besonderes fahren - und zwar nicht nur, wenn sich dort im August rund um den Concours d'Elegance die größten PS-Pretiosen der Welt versammeln.
 
Während man mit einem Neuwagen diesseits der Millionengrenze kaum eine Chance hat in diesem Refugium der Superreichen, sind einen im Oldtimer hier alle Blicke sicher. Erst recht in einem wie diesem. Denn weil Traumstraßen auch Traumwagen brauchen, sind wir zur Feier des Tages auf dem legendären 17-Miles-Drive diesmal in einem Mercedes 280 SL unterwegs.
 
Kaum ein Auto eignet sich besser für diese Straße als der offene Star aus Stuttgart. Nicht nur, weil er in den Sechzigern ein Held war im nahen Hollywood und mit ihm Kino-Größen wie Doris Day oder Clark Gable die Küste rauf und runtergefahren sind. Sondern vor allem, weil dieser SL mit dem internen Kürzel W113 zwar schon näher am Gleiter als am Fighter gewesen ist und längst kein Rennwagen mehr war wie der legendäre 300er, den er 1963 beerbt hat. Aber er war und ist so filigran und feinfühlig, dass er perfekt auf die vielleicht schönste Nebenstraße der Welt passt und einen dort im Nu die Zeit vergessen lässt. Dass man offiziell nicht schneller als 30 Meilen pro Stunde fahren darf, stört einen in diesem Auto jedenfalls nicht - selbst wenn der SL auch ein halbes Jahrhundert nach seinem Debüt noch immer quicklebendig ist und keinen Zweifel an einem Spitzentempo von 195 km/h lässt.
 
Die Idee der genussvollen Ausfahrt hat auf dieser Route Tradition. Denn der 17-Mile-Drive war nie eine Straße im konventionellen Sinne, war nicht zum Ankommen, sondern um unterwegs zu sein gebaut und eigens als Flaniermeile angelegt: Schon 1881 rollten deshalb vom noblen Del Monte-Hotel in Monterey die ersten Pferdekutschen durch die grünen Hügel und die bizarren Zypressen-Wälder zum Picknick an den Strand von Pebble Beach, wo erst 1919 der Golf Club eröffnet wurde.
 
Auch heute beginnt man die Fahrt am besten im schmucken Küstenstädtchen Monterey, das mit einem quirligen Pier und vor allem der von John Steinbeck berühmt gemachten ,,Cannery Row", der ,,Straße der Ölsardinen" lockt. Von dort legt man den Weg durch den Nachbarort Pacific Grove, wirft einen kurzen Blick auf den trutzigen Leuchtturm und die raue Küstenlinie und steht nach ein paar Meilen am nördlichen Tor zur Peninsula, das nur die Einheimischen, die Hotelgäste, Radfahrer und Fußgänger kostenfrei passieren dürfen. Alle anderen zahlen bereitwillig zehn Dollar Wegezoll und im SL nutzt man spätestens jetzt die Gelegenheit, das Dach zu öffnen - selbst wenn man dafür erst den Steckschlüssel aus dem Handschuhfach kramen, die beiden Spriegel entriegeln und eine große Klappe im Fond öffnen muss, bevor man die Kapuze sorgsam vor den Kofferraum falten kann.
 
Denn dann beginnt - gut ausgeschildert mit rot-blauen Wegmarken und weißen Wegweisern der eigentliche 17-Miles-Drive, der als schmucker Slalom zwischen Golfplätzen und Milliardärsvillen der Küstenlinie folgt und insgesamt 21 markante Punkte auf der Halbinsel verbindet. Einer der spektakulärsten kommt gleich zu Beginn am südlichen Ende der ,,Spanish Bay": Von ,,Point Joe" hat man einen grandiosen Ausblick auf die ,,Restless Sea", das tosende Meer, das hier der Sage nach wirklich nie zur Ruhe kommt und deshalb immer eine weiße Schaumkrone trägt.
 
Auf den Kilometern danach weiß man gar nicht, wohin man überall schauen soll. Nur gut, dass hier ein striktes Tempolimit herrscht und nicht viel mehr als Schrittgeschwindigkeit erlaubt ist. So bleibt genügend Zeit, um links die Greens und rechts die Wellen zu bewundern. Und spätestens vier Meilen weiter im Süden ist es am ,,Bird Rock" ohnehin Zeit für den nächsten Zwischenstopp, weil es von hier nur ein paar hundert Meter über die tosende See bis zu einem großen Felsen sind, auf dem man vom Ufer aus tausende Vögel beobachten kann.
 
Den SL führt man über die langen Geraden und durch die engen Kurven eher mit den Fingerspitzen, als dass man die Hand am Lenkrad zur Faust ballen würde. Und so leichtes Spiel der Sechszylinder mit seinen 2,8 Litern Hubraum, 170 PS und 240 Nm mit dem 1,4 Tonnen schweren Zweisitzer auch hat, lässt man den Wagen lieber locker laufen, als ihn ernsthaft zu fordern. Nicht nur, weil hinter jeder Kurve ein Cop lauern könnte. Und auch nicht, weil das Panorama viel zu schön ist, um es im schnellen Vorlauf zu genießen. Sondern weil alles an diesem Roadster so lässig und leicht wirkt und überhaupt nicht nach einer harten Hand ruft. ,,Take it Easy" statt ,,Easysrider" lautet der Soundtrack zu diesem Road Movie und man geniest es auf bequemen Sesseln statt in engen Schalensitzen. Außerdem wäre die 17 Meilen viel zu schnell vorbei, wenn man zu fest auf die Tube drücken würde.
 
Sind es auf den ersten Meilen vor allem die wilden Küstenformationen, die den Blick fesseln, drängt sich später mit jedem Meter ein eindrucksvoller Zypressen-Wald ins Blickfeld. Jahrhunderte alte Bäume, von Wind und Gischt zu knorrigen Skulpturen geformt und zum Teil längst abgestorben stehen sie wie Gespenster am Straßenrand und bilden die Wendemarken für einen Panorama-Slalom sondergleichen. Denn nie wäre es den Straßenbauern eingefallen, einen ,,Ghost Tree" zu fällen, nur um eine Kurve zu sparen. Und weil der SL der geborene Cruiser ist, bekommt man von solchen Kurven in diesem Auto ohnehin nie genug.
 
Höhepunkt der Tour ist Stopp Nummer 16, wo bei ,,The Lone Cypress", Wald und Wellen zusammenfinden. Denn hier steht auf einer Felsnase im Pazifik seit über 250 Jahren eine einsame Zypresse, die mittlerweile so oft fotografiert wurde, dass sie zum Markenzeichen von Pebble Beach und einem der berühmtesten Bäume Kaliforniens aufgestiegen ist.
 
Atemberaubende Ausblicke, faszinierende Einblicke, raue Landschaften und beinahe surreale Wälder - eine Fahrt auf dem 17-Mile-Drive ist großes Kino in Slow-Motion. Und die perfekte Asphalt-Leinwand für einen Straßenstar wie den alten SL. Aber es gibt noch einen Grund, weshalb der 280er so gut hier her passt: Seinen Preis. Denn selbst wenn er noch lange nicht so abgehoben gehandelt wird wir der 300 SL, ist auch der Kurs für diesen Klassiker in den letzten Jahren dramatisch gestiegen und unter 100.000 Euro ist kaum mehr ein 280er zu haben.
 
Für Normalsterbliche ist der Roadster damit bereits zu einer echten PS-Pretiose geworden. Aber auf der Halbinsel von Monterey gehen die Uhren anders und Vermögen ist relativ. Denn wer in einer Villa mit einem zweistelligen Millionenwert wohnt und allein 120.000 Dollar pro Jahr an den Golfclub überweist, für ist eine sechsstellige Summe für einen Oldtimer eben doch nur Peanuts.

STARTSEITE