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200 Jahre Fahrrad: Teil 2 - Vom Pedalantrieb zum Riesenrad

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  • 21. März 2017, 12:10 Uhr
  • Mario Hommen/SP-X

Über 40 Jahre vergingen, bis aus dem 1817 erfundenen Laufrad ein Fahrrad wurde. Die Kombination mit Pedalantrieb hatte einige recht kuriose Entwicklungen zur Folge.

Mit der Erfindung des Laufrads ebnete Karl Freiherr von Drais 1817 den Weg zur Entwicklung des Fahrrads. Zwar hatte sein später Draisine genanntes Einspur-Gefährt keinen durchschlagenden Erfolg, doch offensichtlich erinnerte man sich noch lange an seine geniale Idee. Anfang der 1860er-Jahre wurde insbesondere in Frankreich erfolgreich daran gearbeitet, die Draisine mit Pedalantrieb aufzupeppen. Allerdings sorgte dieser besonders wichtige Evolutionsschritt für ein aus heutiger Sicht recht bizarres Kapitel der Fahrradgeschichte.
 
Ganz eindeutig geklärt ist die Frage nicht, wer denn den Pedalantrieb ans Vorderrad der Draisine brachte. Neben dem Franzosen Pierre Michaux (1813 - 83) wird auch Pierre Lallement (1843 - 93) genannt. Beide tüftelten um 1860 parallel, zeitweilig wohl auch gemeinsam daran, an der vorderen Achse von Laufrädern Tretkurbeln mit Pedalen zu montieren. Lallement meldete in seiner späteren Wahlheimat USA 1866 das pedalgetriebene Rad zum US-Patent an, konnte allerdings keinen finanzkräftigen Partner finden, um eine Fahrradproduktion aufzubauen. Pierre Michaux präsentierte hingegen 1867 auf der Weltausstellung in Paris zwei seiner pedalgetriebenen Draisinen. Sein Veloziped genanntes Vehikel wurde weltbekannt und weckte Interesse auch bei Investoren. 1868 gründeten Michaux und die Olivier-Brüder eine Zweiradfabrik, in der erstmalig die Massenproduktion von Fahrrädern begann. Velozipede wurden bald in ganz Europa und den USA verkauft.
 
Sonderlich gut fuhren sich die ersten Michaux-Fahrräder allerdings nicht. Problematisch war unter anderem die Einwirkung des Pedalantriebs auf die Lenkung, da zunächst noch schräg nach vorne pedaliert wurde. Dies hat einen stark negativen Einfluss auf die Fahrstabilität. Da sich die für das Laufrad noch so wichtige niedrige Positionierung zentral zwischen Vorder- und Hinterrad erübrigte, wurde die Position des Fahrers an das neue Antriebskonzept angepasst. Für bessere Fahrbarkeit und zur Minimierung der Lenkeinflüsse sorgte eine höhere Positionierung des Fahrers näher am Vorderrad. Das Pedalieren von oben entschärfte das Problem der Lenkeinflüsse durch die Beinarbeit und sorgte für ein insgesamt stabileres Fahrverhalten.
 
In der Folgezeit setzten sich zudem vermehrt Konstruktionen durch, bei denen die Vorderräder wuchsen. Unter anderem erlaubte diese Entwicklung höhere Geschwindigkeiten bei gleicher Pedalkurbeldrehzahl. Der Rausch der Geschwindigkeit führte schon bald zu der Entwicklung sogenannter Hochräder, bei denen die Fahrer den Kontakt zum Boden allerdings verloren. Recht erfolgreich war die Firma Ariel mit ihrem 1870 vorgestellten Hochrad. Zwischenzeitlich wurde mit Vorderrädern mit 2,5 Meter Durchmesser experimentiert. Als praktikable Radgröße setzte sich aber ein Durchmesser von 1,5 Meter vorne durch, da hier der Fahrer noch direkt mit den Füßen an die Pedale kam. Das Hinterrad schrumpfte derweil auf etwa 35 Zentimeter Durchmesser, was ein ziemlich kurioses Bild abgab. Das Technoseum in Mannheim bietet noch bis zum 25. Juni 2017 in der Ausstellung ,,2 Räder - 200 Jahre" Besuchern die Gelegenheit, auf einem Hochrad zur Probe zu sitzen.
 
Auch sonst war der Hochradfahrer eine aus heutiger Sicht seltsame Erscheinung. Er saß fast mittig oberhalb des Vorderrades. Sattel und Lenker lagen eng beieinander, damit sich der Radler beim Treten in die Pedale sicher im Sattel halten konnte. Das Fahren mit dem Hochrad erforderte in mehrfacher Hinsicht viel Geschick. Bereits der Aufstieg war ein akrobatischer und fast halsbrecherischer Akt. Einmal in Fahrt, offenbarten sich weitere Tücken. Da Vorderradachse und Pedale direkt verbunden waren, mussten Hochradfahrer zum Beispiel bergab meist die Beine abspreizen, um den viel zu schnell drehenden Pedalen freien Lauf lassen. Bis zu 40 km/h konnten die bis zu 60 Kilogramm schweren Hochräder erreichen. Das Fahren mit dem Hochrad war zwar hochherrschaftlich und auf Augenhöhe mit Reitern, allerdings war auch die Fallhöhe entsprechend. Über einige Jahre erlebte das Hochrad in Europa und USA zwar einen Boom, doch dramatische Stürze, bei denen sich die Piloten schwere und oft auch tödliche Kopfverletzungen zuzogen, brachte das Hochrad in Verruf. Etwa bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren die kuriosen Radriesen wieder verschwunden.
 
In der Zwischenzeit machte das Fahrrad hingegen große Sprünge. Nur wenige Jahrzehnte nach der Erfindung des Pedalantriebs folgten das flach bauende Sicherheitsrad und der Kettenantrieb.

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