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200 Jahre Fahrrad: Teil 6 - 10 Meilensteine der Fahrradgeschichte

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  • 18. April 2017, 16:28 Uhr
  • Mario Hommen/SP-X

Von der Draisine bis zum Hightech-Pedelec gab es eine Reihe epochaler Erfindungen, die die Attraktivität des Fahrrads zunehmend steigerten. Zehn Technik-Meilensteine waren dabei besonders wichtig.

Ob Pedalantrieb, Luftreifen oder Nabenschaltung - die Geschichte des modernen Fahrrads begleiteten einige epochale Erfindungen, ohne die das Prinzip Fahrrad heute undenkbar wäre.
 
1. Die wohl wichtigste Kulturleistung auf dem Weg zum Fahrrad war zunächst die Erfindung des Rads selbst. Vermutlich wurde bereits vor über 6.000 Jahren bei der Töpferscheibe erstmals das Prinzip eines unendlich sich um eine mittige Achse drehendes Rads genutzt. Für das Rad als Fortbewegungsmittel finden sich über 5.000 Jahre alte Nachweise aus Ost- und Mitteleuropa sowie Mesopotamien. Von der Steinzeit bis in die Moderne erlebte das Rad viele Entwicklungsstufen und eine Vielzahl an Nutzungsszenarien.
 
2. Es vergingen allerdings einige tausend Jahre, bis jemand auf die eigentlich einfache Idee kam, ein Einspurfahrzeug mit zwei hintereinander angeordneten Rädern zu entwickeln, welches sich die selbststabilisierenden Kreiselkräfte der Räder zunutze macht. Karl Freiherr von Drais war der geniale Tüftler, der 1817 mit seiner Draisine dieses Prinzip erstmals in Mannheim auf die Straße brachte. Doch dauerte es noch gut 50 Jahre, bis ein weiterer entscheidender Entwicklungsschritt hin zum modernen Fahrradprinzip gelang.
 
3. Dies war die Kombination von Draisine und Pedalantrieb. Neben dem Franzosen Pierre Michaux (1813 - 83) wird als Erfinder auch Pierre Lallement (1843 - 93) genannt. Beide Pierres tüftelten in den frühen 1860er-Jahren parallel, zeitweilig wohl auch gemeinsam daran, Laufräder mit Tretkurbeln an den Vorderrädern aufzurüsten. Ende des Jahrzehnts konnte Michaux mit der Massenproduktion solcher Velozipde starten. Angesichts der starken Antriebseinflüsse auf die Lenkung waren diese fahrtechnisch allerdings problematisch.
 
4. Erst der Kettenantrieb sorgte für eine Entkopplung von Lenkung und Pedalantrieb. Als Erfinder nennen einige Quellen den französischen Uhrmacher André Guilmet. 1869 soll die deutsche Firma Meyer & Companie das erste kettengetriebene Fahrrad nach den Entwürfen des Franzosen gebaut haben, das allerdings am Markt erfolglos blieb. Erst gut zehn Jahre später kamen vermehrt Räder auf, die von einem großen pedalgetriebenen Kettenblatt die Kraft auf ein kleineres Kettenblatt am Hinterrad übertrugen. Diesem Prinzip ist das Fahrrad seither treu geblieben. Zwischenzeitlich angebotene Fahrräder mit Wellenantrieben bleiben hingegen chancenlos. Lediglich mit dem Carbonriemenantrieb hat sich seit einigen Jahren ein ernstzunehmender Konkurrent zur Rollenkette etabliert. Zumindest bei hochpreisigen Rädern könnte dieser saubere Riemenantrieb die fast 150-jährige Vormachtstellung der klassischen Kette brechen.
 
5. Der direkte Pedalantrieb als auch die ersten Kettenantriebe hatten den Nachteil, dass es zwischen Rädern und Pedalen eine starre Verbindung gab. Fuhr man zum Beispiel sehr schnell bergab, musste man meist die Beine abspreizen, um den viel zu schnell drehenden Pedalen freien Lauf zu lassen. Abhilfe leistet der 1889 vom Amerikaner A. P. Morrow patentierte Freilauf. Dank diesem lief das Hinterrad frei weiter, während der Fahrer den Pedalantrieb langsamer betätigen oder gar stoppen kann. 1898 wurde der Freilauf zudem durch eine Rücktrittbremse ergänzt. Trotz der auf der Hand liegenden Vorteile des Freilaufs ist das starre Antriebsprinzip nie völlig verschwunden. Vor einigen Jahren hat es im Fahrradsektor sogar eine kleine Renaissance der sogenannten Fixies gegeben, die sich unter anderem bei Fahrradkurieren und im Radsport wieder größerer Beliebtheit erfreuen.
 
6. Fixies verzichten bewusst auf eine ganz besonders wichtige Erfindung: die Nabenschaltung. Bei der Nabenschaltung kann ein gekapseltes Planetengetriebe verschiedene Übersetzungsstufen bereitstellen. Erfunden wurde die Nabenschaltung mit zwei Gängen vom Amerikaner Thomas Johnson im Jahr 1895. Sieben Jahre später entwarf der Engländer William Reilly die Dreigangnabenschaltung. Nabenschaltungen mit drei Stufen waren über viele Jahrzehnte der Standard, wie etwa die Torpedo-Dreigangschaltung der deutschen Firma Fichtel & Sachs. Seltener wurden auch Naben mit vier oder fünf Übersetzungsstufen angeboten. 1999 entwickelte die deutsche Firma Rohloff eine Nabe, die trotz halbwegs kompakter Bauweise mit 14 Übersetzungsstufen als Maß der Dinge unter den Nabenschaltungen gilt. Die sogenannte Speedhub erfreut sich trotz ihres hohen Preises seither zunehmender Beliebtheit im Premium-Segment und rief viele Nachahmer-Produkte von SRAM und Shimano auf den Plan.
 
7. Die Erfindung des luftgefüllten Reifens wird dem britischen Tierarzt John Boyd Dunlop zugeschrieben, der diesen 1888 zum Patent anmeldete. Tatsächlich hatte bereits 1845 der schottische Erfinder Robert William Thomson das Prinzip patentieren lassen. Allerdings war das Fahrrad zu dieser Zeit praktisch noch nicht existent. Als hingegen Dunlop seine Entwicklung publik machte, war auch das Fahrrad im Begriff, zum großen Siegeszug durchzustarten. Mit Dunlops luftgefüllten Gummireifen bot das noch junge Fahrrad vor allem komforttechnisch entscheidende Vorteile. Der Luftreifen setzte sich rasch als universelle Lösung durch, die bis heute alternativlos geblieben ist.
 
8. Parallel zum Siegeszug der luftgefüllten Bereifung wurden in den 1880er-Jahren erste Fahrradbeleuchtungen eingesetzt. Bei den ersten speziell für den Fahrradeinsatz entwickelten Leuchten handelte es sich noch um Öllampen. Bei Hochrädern wurden diese zum Beispiel an der Achse der Vorderräder montiert. Bald schon setzten sich allerdings deutlich hellere Karbidlampen an Fahrrädern durch. Obwohl das Dynamo-Prinzip schon einige Jahrzehnte zuvor erfunden war, begann der Siegeszug der elektrischen Beleuchtung erst in den 1920er-Jahren. In dieser Zeit setzen sich dynamogetriebene Lichtanlagen durch. Lange Zeit besonders erfolgreich war der Seitenläuferdynamo, der seit der Jahrtausendwende jedoch vom leichtläufigen Nabendynamo verdrängt wird. Dank der LED-Technik haben sich in den vergangenen zehn Jahren zudem akkubetriebene Hochleistungslampen als gleichwertige Alternative etabliert.
 
9. Als erster Fahrradweg der Welt gilt der Schlossgarten in Mannheim. Auf den dortigen Flanierstraßen trieben die ersten Draisinen-Piloten bevorzugt ihren Freizeitspaß. Zeitweilig soll es dort sogar einen Draisinen-Verleih gegeben haben, der allerdings 1822 wieder verboten wurde. In den 1880er-Jahren, als das Fahrrad zum Massenphänomen wuchs, wurden vielerorts spezielle Wege für Radfahrer angelegt. Als ältester in Deutschland noch existierender Radweg gilt eine Pflasterung in der Linienstraße in Bremen aus dem Jahr 1899. Hier verläuft in der Fahrbahn ein gut 30 Zentimeter breiter Streifen aus besonders glatten Kupferschlackesteinen, den man auch heute als Radfahrer ganz intuitiv nutzt. Wie in der Linienstraße wurde den Radfahrern meist nur eine schmale Spur zur Verfügung gestellt. Heute geht der Trend in Deutschland zu immer besser ausgebauten Radwegen. Bisheriger Höhepunkt dieser jüngeren Entwicklung sind sogenannte Radschnellwege, die dem seit einigen Jahren anhaltenden Fahrradboom in Deutschland Rechnung tragen. Bei diesen Schnellwegen handelt es sich um besonders gut ausgebaute Strecken, die einer möglichst großen Zahl von Radfahrern ein möglichst schnelles und müheloses Vorankommen ermöglichen sollen. Ein erstes Prestigeprojekt ist der Radschnellweg Ruhr (RS1), der künftig über rund 100 Kilometer eine größere Zahl von Ruhrmetropolen verbinden soll. Ein erster Teilabschnitt zwischen Mühlheim und Essen wurde 2015 eröffnet.
 
10. Vor allem Berufspendlern will man mit künftigen Radschnellwegen den Umstieg vom Auto aufs Rad schmackhafter machen, um so die überfüllten Straßen zu entlasten und das Klima zu schonen. Den Umstieg aufs umweltfreundliche Rad erleichtern auch die seit einigen Jahren besonders erfolgreichen Pedelecs. Hinter dem noch jungen Siegeszug des elektrisch angetriebenen Fahrrads liegt eine allerdings lange Entwicklungsgeschichte. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurden in den USA und Deutschland E-Fahrräder patentiert. Ein wichtiger Schritt zum modernen E-Bike war 1982 die Patentanmeldung des Pedelec-Prinzips durch Egon Gelhard. Seine Idee: Die Motorunterstützung abhängig von der Tretleistung zu machen. Als weiterer wichtiger Beitrag gilt die Entwicklung des Power-Assist-Systems PAS von Yamaha, bei dem mithilfe eines Sensors die Muskelkraft gemessen wird und dieser Impuls die Unterstützung des Motors regelt. Ab etwa 2005 konnte zudem die besonders leitungsfähige Lithium-Ionen-Technik bei den Batterien dem Pedelec zum endgültigen Durchbruch verhelfen. Seither erreicht das E-Bike in Deutschland immer neue Verkaufsrekorde.

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