Elektromobilität

Kommentar: Und es stimmt doch! Der Strom kommt aus der Steckdose

  • In TECHNIK & WISSEN
  • 13. September 2017, 11:06 Uhr
  • Peter Schwerdtmann, cen/ampnet

Kann es wirklich sein, dass der Empörungs-Tsunami über den Diesel und den Verbrennungsmotor schon abebbt? Jedenfalls begegnen Redaktionen, die bisher bedenkenlos Sturzsee auf Sturzsee über beide haben hereinbrechen lassen, dem Thema inzwischen sachlicher und rationaler. Doch es bleibt dabei: Die Politik sieht es anders. Die einen Koalitionäre schließen eine Zusammenarbeit aus, wenn das Verbot des Verbrennungsmotors nicht in einen Koalitionssvertrag aufgenommen wird. Die anderen wollen genau das verhindern und keiner wird vor der Wahl zurückrudern wollen.

In Deutschland und darüber hinaus haben viele die Flut der Vorwürfe gegen Volkswagen, den Diesel und die Androhung von Fahrverboten gern genutzt, um Pfosten einzurammen, darunter so mancher Vollpfosten. Die Zukunft wird zeigen, wo der Kampfbegriff ,,Verkehrswende" einst zugerechnet werden wird. Heute nährt er erst einmal die Hoffnung auf Zero-Emissions, auf Mobilität ohne Emissionen. Angeblich soll die Elektromobilität am Ende der Wende stehen, weil Elektromotoren keine Abgase hervorrufen und der Strom ja bekanntlich aus der Steckdose kommt.

Der Strom aus deutschen Steckdosen stammte im vergangenen Jahr überwiegend aus Braunkohle, Steinkohle, Erdgas, Biomasse, die bei der Verbrennung Kohlendioxid erzeugen. Rund 60 Prozent der Energieträger für unseren Strom erzeugen bei der Verbrennung also Kohlendioxid. Nur Photovoltaik, Windkraft und Kernenergie sind da ausgenommen. Andere Länder verbrennen noch mehr fossile Brennstoffe für ihren Strom, wieder andere setzen mehr als wir auf die Kernenergie.

Die Entscheidung für die Elektromobilität hilft uns bei der Reduzierung der so genannten Klimagase also nur, wenn wir die Energiewende zugunsten der Verkehrswende wieder umkehren. Aber Kohlendioxid oder CO2 steht zur Zeit ja nicht im Zentrum der Kritik. Es ist das Stickoxid, auch NOx genannt. Zu dieser Stoffklasse hält das Umweltbundesamt Beruhigendes parat: ,,Von 1990 bis 2015 ist ein Rückgang der NOx-Emissionen um über 1,7 Millionen Tonnen (Mio. t) oder 59 Prozent (%) zu verzeichnen. Dieser Rückgang erfolgte in allen Quellkategorien - mit einem Minus von rund 1 Mio. t am deutlichsten im Verkehr."

Das Umweltbundesamt rechnet dem Verkehr insgesamt einen Anteil von 38 Prozent zu, wohlgemerkt - allen Verkehrsträgern, aber eben auch den Personenwagen und unter denen am meisten den Dieselmotoren, die nicht dem neuesten Stand entsprechen. In deutschen Großstädten sollen sie an Hauptverkehrsstraßen zu einer Überschreitung der europäischen Grenzwerte führen. Fahrverbote drohen.

Es gibt also ein lokales Problem, eines der Menschen in der Großstadt. Das wird niemand von heute auf morgen beheben können, auch nicht durch Tauschprämien und vermutlich auch nicht durch Software-Updates. Doch beides sind Maßnahmen, die helfen werden, die Gesamtbelastung auch an Hauptverkehrsstraßen zu senken. Wer solche lokalen Probleme lösen will, muss sich zunächst dafür entscheiden, die Haupt-Emittenten vor Ort anzuschauen. Das sind vermutlich weniger die Autos der Pendler, sondern eher die Fahrzeuge, die den ganzen Tag durch Innenstädte rollen: Taxis, der öffentliche Personennahverkehr mit seinen Diesel-Bussen sowie der ständig wachsende Post- und Auslieferverkehr. Hier ist der Elektroantrieb der aktuelle Antrieb der Wahl, weil er beim Betrieb kein Abgas hinterlässt.

Auch andere Verkehrskonzepte - zum Bespiel die Umgehungsstrecke oder die ,,grüne Welle" bei den Verkehrsampeln - können helfen. Das gilt auch für das zweite, im Moment noch verdrängte Umweltthema Verkehrslärm und beim in den Hintergrund getretenen Feinstaub. Beim Feinstaub bringen Verkehrskonzepte und Umleitungen leichte Entlastung. Der Elektroantrieb hilft beim Feinstaub allerdings nur wenig. Aktuelle Messungen der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) zeigen nämlich: Die Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren sind nicht die Hauptverursacher der hohen Feinstaubbelastung. Die Landesanstalt mit Sitz in der ersten von einem Fahrverbot bedrohten Landeshauptstadt Stuttgart hat LUBW ,,Aufwirbelungen und Abriebprozesse" ausgemacht, die ,,eine wesentliche Rolle" spielen. Rund 85 Prozent des verkehrsbedingten Feinstaubs der Partikelgröße PM10 (bis zehn Mikrometer Durchmesser) entstehen demnach durch Reifen-, Bremsen- und Straßenabrieb sowie durch die Aufwirbelung der Staubschicht auf den Fahrbahnen.

,,Zeit online": ,,Für die inzwischen bundesweit bekannte Messstelle am Stuttgarter Neckartor, wo seit Jahren die höchsten Staubkonzentrationen gemessen werden, bedeutet das laut der neuesten LUBW-Tagesmittelwerte: Pro Kubikmeter Luft stammen lediglich 1,9 Mikrogramm Feinstaub aus den Auspuffrohren der vorbeifahrenden Autos. 11,9 Mikrogramm werden hingegen durch Abrieb und Aufwirbelungen verursacht." Der Grenzwert liegt übrigens bei 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft.

Die Erfinder des Begriffs ,,Verkehrswende" hatten in erster Linie sicher nicht die Schonung der Ressourcen bei den fossilen Brennstoffen im Blick. Aus ihrer Sicht löst der Elektroantrieb dieses Problem quasi automatisch. Sie fragen in der aktuellen Diskussion um den Verbrennungsmotor nicht, wie der Strom in die Steckdose kommt. Wer fossile Rohstoffe schonen will, sollte sich eher um Alternativen fürs Erdöl kümmern. Weltweit werden heute 1,1 Milliarden Fahrzeuge von Verbrennungsmotoren angetrieben. Der Elektroantrieb hat also gar keine Chance, weltweit rasch zu einer echten Alternative zu werden. Er wird noch lange Zeit eine Alternative für die reichen Gesellschaften bleiben, die sich saubere Kraftwerke und teurere Elektroautos leisten können.

Es wird Zeit, dass sich auch die Politik um realistische Perspektiven für die Mobilität der Zukunft bemüht, statt sich in Wahlkampfzeiten für oder gegen die Verbrennungsmotoren zu profilieren. Da gäbe es zum Beispiel die Frage der Wasserstoffwirtschaft zu besprechen oder die Einführung künstlicher Kraftstoffe für Benzin- oder Dieselmotoren. Das sind zwar sinnvolle, aber eben auch erst auf die reichen Gesellschaften beschränkte Alternativen.

Es scheint, dass unsere Politiker und viele Kräfte unserer Gesellschaft sich die Mühsal der Ebene ersparen wollen. Das fällt ihnen schon deswegen leicht, weil der Vorwurf wohlfeil geworden ist, die deutschen Automobilhersteller hätten schon beim Feinstaubfilter den Anschluss an die Entwicklung verloren und stünden heute in der Gefahr, ihre Führungsposition gänzlich zu verspielen. Voller scheinheiliger und zynischer Fürsorge soll ihnen nun Zukunftsfähigkeit aufgezwungen werden.

Der Dieselskandal hat unsere Automobilhersteller und viele Zulieferer in eine moralische Position gebracht, aus der heraus jedes Argument argwöhnisch betrachtet wird. Die Glaubwürdigkeit wurde zur großen Freude der Anti-Autoaktivisten schwer beschädigt. Das hindert auch Sachkundige und sachkundige Politiker, sich der Aufgabe zu stellen, gleichzeitig die Mobilität der Zukunft und die Zukunftsfähigkeit der Industrie voranzubringen. Das geschieht heutzutage besser unauffällig im Hintergrund. Solange der Empörungs-Tsunami noch nicht komplett verebbt, bietet der Wahlkampf keine Kulisse für eine zielführende Debatte. Die Hoffnung stirbt zuletzt, auch die, dass diese Debatte nach der Bundestagswahl auf einer sachlichen Ebene möglich sein könnte. Dann würde sehr schnell klar werden, dass der Elektroantrieb ebenso seine Berechtigung hat wie der Verbrennungsmotor. (ampnet/Sm)

Energieträger 2016 in Deutschland (in Mrd. kWh, in %)

Kernenergie: 13,1 % Braunkohle: 23,1 % Steinkohle: 17,0 % Erdgas : 12,1 % Erneuerbare: 29,5 % davon sind Wasser: 3,3 % Wind: 12,3 % Photovoltaik: 5,9 % Biomasse: 8,0 % Sonstige: 5,1 % (Quellen: BMWi, Destatis)

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