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Sonst noch was? - Wir sind geschüttelt

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  • 24. September 2017, 11:22 Uhr
  • Günter Weigel/SP-X

Auf der gerade beendeten IAA ging es beileibe nicht nur um neue Autos. Viele Innovationen kommen von den Zulieferern und nebenbei wurden auch neue Probleme entdeckt.

Während für die meisten Kollegen die IAA spätestens seit Mittwochabend vergangener Woche Geschichte ist, schließt die Messe im wirklichen Leben erst heute Abend ihre Pforten. Es gab also noch reichlich Gelegenheit, mal im Detail nach Innovationen zu schauen und im Kleinen Großes zu entdecken. Wir konnten zum Beispiel noch erfahren, wie intelligent künftig so eine Türverkleidung ist.

Schalter und Griffe braucht man nicht mehr. Handschmeichelnd verpackt bietet sie alle Sensorik quasi als Touchpad in Stoff, zart hinterleuchtet und am Ende - so weit sind wir allerdings noch nicht - bestimmt auch nur mit Gesten bedienbar. Wobei wir in Sachen Gesten generell ein wenig skeptisch sind. Während die Bedienung per Sprachsteuerung inzwischen große Fortschritte macht und manchmal sogar genuschelte Dialekte verstanden werden, sind die aktuellen Gestensensoren doch ziemlich überfordert, wenn es um das Erkennen von Handbewegungen geht. Es könnte zum Beispiel seltsame Folgen zeitigen, wenn man im hitzigen Gespräch mit dem Beifahrer dermal einst eine abfällige Handbewegung macht und die Sensorik dies als Befehl zu Öffnen der Tür interpretiert.

Bleiben wir bei den sinnvollen Neuerungen und zitieren der Einfachheit halber aus einer Pressemeldung. ,,Die nächste Entwicklungsstufe beim Komfort bietet eine Vibrationsmassage im Takt der Musik. Speziell entwickelte Algorithmen wandeln das Signal der Soundanlage in eine rhythmische Massage um. Dadurch steigert sich auch der Musikgenuss. Für viele Fahrzeughersteller ist diese Funktion bereits heute ein gefragtes Lifestyle-Feature".

Derlei Innovation bringt doch wenigsten Bewegung in den durch langes Sitzen malträtierten Körper, wobei wir uns an dieser Stelle natürlich fragen, welcher Hersteller dieses Feature tatsächlich anbietet und wie das im Detail vermarktet wird. Schließlich wirken die musikalischen Tiefbereichschwingungen auf einen athletischen schlanken Körper anders, als sagen wir mal auf einen, Dank reichlich Coke und Bic Macs abgerundeten amerikanischen Hip-Hop-Fan. Da wackelt am Ende so viel, dass man als innovativer Zulieferer eigentlich schon am Body-Mass-Index orientierte Schwingungsdämpfer mitentwickeln müsste, damit das Auto als solches in seinem Fahrverhalten nicht irritiert wird ob der ihm innewohnenden besonders gefederten Massen. Wir empfehlen als Werbeclaim für die rundere Kundschaft ein schlichtes ,,Shake it, Baby".

Wer es lieber klassischer mag, wird naturgemäß auch weniger durchgeschüttelt. Genau an dieser Stelle setzten die Premiumhersteller in Zukunft an, wenn es um das Autonome Fahren in geteilten Autos geht. Da entsteht nämlich ein Problem, das die Allgemeinheit noch gar nicht so richtig auf dem Schirm hat.

Nehmen wir einmal an, wir bewegen uns in Zukunft in unseren Städten nur noch mit einer Art selbstfahrenden Taxis, die wir mittels Smartphone oder auch durch Winken - Gestensteuerung - herbeirufen. Reinsetzen, Fahrziel nennen, Zahlen per Phone, so einfach soll urbane Mobilität in Zukunft sein. Kein Parkplatzgesuche und sonstiger Driss. Ganz schön einfach.

Nur wer nutzt dann noch ein Premiumauto wie wir es heute gewohnt sind? Es geht schließlich um den Service ,,Mobilität in der Stadt", nicht um Statusfragen. ,,Sie fliegen ja nicht mit Airbus, sondern mit der Lufthansa" brachte es ein Teilnehmer des carIT-Kongresses während der IAA auf den Punkt. Sie nutzen also einen Fahrdienst und keinen Mercedes, um das Bild mal auf die Straße zu bringen. Der Mercedes, BMW oder Audi der Zukunft soll sich aber auch im selbstfahrenden Taxi wiederfinden. Eben durch mehr Komfort, leiseres Fahren, weniger Schütteln. Das Thema ist nicht ganz banal, stellt es doch gewohnte Geschäftsmodelle in der Autoindustrie in Frage.

Vielleicht muss sich die Industrie deshalb ein wenig umorientieren. Weg von der Stadtfixierung, hin zum Land. Die Hälfte der Bevölkerung lebt in Städten und nutzt dort in Zukunft vielleicht eine andere Form von Mobilität. Die andere Hälfte lebt wahrscheinlich auch in Zukunft auf dem Land, hat keine selbstfahrenden Taxis, keinen nennenswerten Nahverkehr, keine Abgassorgen, aber jede Menge Platz für Autos. Nur: Das kann sich wahrscheinlich keine Zukunftsberatungsagentur oder kein Thinktank-Mitglied in den urbanen Konzernen vorstellen. Sonst noch was? Nächste Woche wieder.

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