Motorrad

Drei Motorradkonzepte im Vergleich - Achterbahnfahrt der Gefühle

  • In MOTORRAD
  • 23. Januar 2018, 16:23 Uhr
  • Ulf Böhringer/SP-X

Motorradfahren hat viel mit Gefühl zu tun. Das wiederum ist immer auch abhängig von der bewegten Maschine. Wir haben versucht, Unterschiede herauszufahren.

Es ist ja immer so eine Sache mit den auf Motorräder bezogenen Emotionen: Mal liegen sie, versteckt beinahe, tief im Unterbewusstsein, mal werden sie, von einer Sekunde zur anderen, raumgreifend. Betörend bestimmen sie dann, dass aus der zuvor favorisierten zweizylindrigen Suzuki V-Strom 650 XT eine riesige Indian Chieftain zu werden habe, weil sich schön wie kaum ein anderes Motorrad über die Küstenstraßen cruisen lässt, um anderntags die stimmig gemachte Kawasaki Z 900 RS zum Objekt der Begierde zu machen. Drei Tage hatten wir Gelegenheit, uns im leichten Gelände - gemeint sind primär Natursträßchen und Wege ohne festen Belag - zu tummeln, die elegant geschwungene Küstenstraße unter die Räder zu nehmen und auch ins gebirgige Hinterland vorzustoßen. In der Sierra de los Filabres lassen sich neben so gut wie völlig verkehrsfreien Strecken mit höchster Asphaltqualität anspruchsvolle Pass-Straßen wie die Route über den mehr als 2.000 Meter hohen Velefique finden. Um 1.000 Meter steigt die extrem kurven- und kehrenreiche Straße auf nur zehn Kilometern Strecke bis zum Sattel, das reinste Kurvengewürm.

Weniger gut schlägt sich dort der 385 Kilogramm schwere Indianergaul mit seinem ellenlangen Radstand von fast 1,70 Meter, während die 213 Kilogramm leichte Suzuki V-Strom 650 XT trotz ihrer nur 71 PS hier eine vorzügliche Figur abgibt. Königin am Berg aber ist die Kawasaki, der neueste Star im Programm des japanischen Herstellers: Ein modernes Motorrad mit top-aktuellen Komponenten, das aber nicht die Aggressionsgene dieser Japan-Marke betont, sondern soeben im klassischen Outfit der 1980er Jahre die Zweiradszene betritt - und quasi im Handstreich erobert.

Seit vielen Jahren ist die kleine V-Strom 650 eine Konstante im Suzuki-Programm: Beliebt, belastbar und bestens geeignet für alle Lebenslagen eines breitbandig interessierten Motorradfahrers. Einerseits bringt die Suzi ,,Nutzfahrzeug-Qualitäten" mit, andererseits ist sie bei aller funktionalen Wertigkeit doch auch pfiffig genug, um auch für erfahrene Motorradfahrer begehrenswert zu erscheinen. Ihr Preis-Leistungs-Verhältnis ist eines der besten auf dem gesamten Zweiradmarkt.

Die ausladende Indian mit ihrem mächtigen V2-Motor ist gewissermaßen das Gegenteil der Suzuki: Gut 900 Kubikzentimeter Hubraum weist jeder der beiden Zylinder auf, ein Drittel mehr als der ganze Suzuki-Motor. Gewaltige 150 Newtonmeter malträtieren schon bei 2.100 Umdrehungen den Antriebsriemen. Und 100 Watt leistet die serienmäßige Audioanlage, mehr als genug, um Fahrer und - sofern vorhanden - auch Passagier so richtig eins auf die Ohren zu geben. Bis etwa Tempo 100 ein prächtiges Genuss-Bike; fährt man schneller, wird's arg unruhig am Helm. Mit einem Preis von rund 26.000 Euro weiß Gott kein Allerweltsbike, aber dafür ein sorgfältigst verarbeitetes Denkmal.

Zwischendrin die Kawasaki. Unübersehbar sind die Zitate der frühen 1980er Jahre; damals war die Kawasaki Z1 mit ihrem drehfreudigen 900er Vierzylinder-Reihenmotor das Maß aller Dinge. 111 PS mobilisiert der fast vollkommen vibrationsfrei bis auf 10.000 Touren drehende Inline-Four, doch auch bei nur 2.000 Umdrehungen nimmt er willig Gas an, nötigt nicht zum permanenten Ausquetschen. Mit 215 Kilogramm ist die fast so leicht wie die Suzi, weist zudem mit LED-Scheinwerfer, USD-Gabel und anderen sehr fein abgestimmten Fahrwerkskomponenten eine top-aktuelle Technik auf. 12.000 Euro scheinen nicht zu viel angesichts eines Motorrad-Designs, das ihn bereits auf den ersten Blick überzeugt.

Der erste Tag gehört der überaus einfach zu fahrenden Suzuki V-Strom 650. Wir absolvieren ebenso entspannt wie erfreut das ganze ,,Stadt-Land-Fluss"-Programm. Kaum erscheint es vorstellbar, dass ein Motorrad mit so breitem Anwendungsspektrum geschmeidiger zu dirigieren ist: lammfromm umrundet die V-Strom Kurven jeglicher Radien, fügt sich willig den Anforderungen ihres Fahrers.

Den nächsten Tag verbringen wir auf dem breiten Echtledersattel der mächtigen Indian Chieftain. Sie bollert durch Ortschaften, schnalzt die mit Fahrer fast 500 Kilogramm wiegende Fuhre von Kurve zu Kurve. Das Drehvermögen des riesigen V2 nutzen wir zur Hälfte und haben dennoch immer den Eindruck souveräner Motorisierung. Zu unserem Erstaunen ist die Schräglagenfreiheit so reichlich, dass wir auf den 240 Land- und Bergstraßenkilometern nicht ein einziges Mal aufsetzen; Indian hat bei diesem Schiff ziemlich viel richtig gemacht. Egal ob Johnny Cash, Abba oder die Rolling Stones die Lautsprecher bearbeiten oder ob der fette V2 alleine die Musik macht: Ganz großes Kino!

Doch selbst das fulminante Cruisen mit der bis ins letzte Detail wunderbar gemachten Indian wird am dritten Tag überstrahlt von der Kawasaki Z 900 RS: perfekt Sitzposition. Die zwei Rundinstrumente im Stil der 1980er Jahre informieren analog. Zugleich ist die RS kein Bike, dessen Fahrverhalten das wackelige Gstern wieder lebendig werden ließe. Souverän wie der gereifte Stirling Moss zieht die RS ihre Linie durch die winkeligsten Kurvenkombinationen. Verbindet gelassen und doch agil die Punkte A und B, mögen diese auch noch so schlecht erreichbar erscheinen.

Die Wahl fiele uns schwer zwischen diesen drei eminent unterschiedlichen Motorrädern, selbst wenn Geld keine Rolle spielte. Man sitzt auf drei wunderbaren Sätteln und fühlt sich zugleich zwischen allen Stühlen.
 

STARTSEITE