50 Jahre Mercedes-Benz 300 SEL 6.3 (W 109)

50 Jahre Mercedes-Benz 300 SEL 6.3 (W 109) - Der Biedermann als Brandstifter

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  • 19. Februar 2018, 15:02 Uhr
  • Wolfram Nickel/SP-X

Er war das Supercar unter den leistungsstärksten Limousinen der 1960er Jahre. Ganz im Trend der Muscle-Car-Ära vereinte der 300 SEL 6.3 die noch alltagskompakte Karosserie der S-Klasse mit der Antriebstechnik der Repräsentationslimousine des Typs 600.

In manchem Biedermann steckt auch ein Brandstifter: Vor 50 Jahren verblüffte die distinguierte Mercedes S-Klasse mit wilder Muscle-Car-Power. Die populärste Prestigelimousine bediente sich der V8-Maschine aus dem Mercedes 600 und machte Jagd auf Sportwagen.
 
Eine gelungene Kombination: Der 184 kW/250 PS kräftige 6,3-Liter-V8 aus der gigantischen Staatskarosse 600 Pullman machte aus dem 300 SEL Deutschlands schnellste Serienlimousine, durch markante Halogen-Doppelscheinwerfer verschaffte sie sich freie Bahn. 6,5 Sekunden für den Null-auf-Hundert Sprint bedeuteten für einen Viertürer sogar inoffiziellen Weltrekord. Exakt 6.526 Käufer leisteten sich den Traumtyp 6.3, für den Mercedes anfangs knapp 40.000 Mark berechnete - das entsprach dem Preis von zwei Porsche 911 T oder zwei S-Klasse-Limousinen mit Sechszylindermotor. Trotzdem war für die V8-Käufer die Abwahl des Typensignets auf dem Kofferraumdeckel die populärste Option im großen Katalog der Sonderausstattungen.
 
Power ohne Protz schützte in den Jahren des gesellschaftlichen Umbruchs vor Attacken. Besonders in Europa wurde nun der Nerz nach innen getragen, weniger Schein als Sein war angesagt. Mit dem 300 SEL 6.3 nahm Mercedes diesen Trend vorweg - zufällig. Tatsächlich sollen es nämlich andere Gründe gewesen sein, die zur Entwicklung der ultimativen S-Klasse führten. Da waren zum einen die zusätzlichen Absatzmöglichkeiten für den aufwändig entwickelten und anfangs nur im Modell 600 eingesetzten V8 des Typs M 100. Hinzu kam eine Kampfansage aus Rüsselsheim, denn Opel verkaufte sein Spitzenmodell Diplomat mit amerikanischem V8. Als dann auch noch der italienische Supercar-Spezialist Iso Rivolta mit dem viertürigen Fidia S4 inklusive5,4-Liter-V8 nach dem Blauen Band des schnellsten Autobahnliners griff, ließ Mercedes seinem legendären Versuchsingenieur Erich Waxenberg freie Hand. Waxenberg schärfte den 300 SEL, auch weil er Einsätze bei Tourenwagenrennen im Sinn hatte.
 
Die Amerikaner wählten die schwäbische Hochleistungslimousine in Leserbefragungen der Fachpresse zum ,,greatest sedan in the world", deutlich vor Cadillac und Rolls-Royce. Wohl auch weil der 225 km/h flotte Big Benz mit serienmäßiger Viergang-Automatik seine Kraft so sanft und leise entfaltete, während andere, vergleichbar rasante Boliden ihr Temperament stets mit Gebrüll inszenierten.
 
Auch das war damals neu: Der schon leer mehr als 1,7 Tonnen schwere, luftgefederte Kreuzer konnte längere Distanzen mit Vmax ohne Auflösungserscheinungen seiner vier Gummis absolvieren. Tatsächlich galt das rasende Chefzimmer als erstes europäisches Fahrzeug mit serienmäßig breiten Niederquerschnittsreifen der Serie 195 VR Type 70. Damit der Benz nicht nur brutal beschleunigen, sondern ebenso bremsen konnte, bekam er vorn und hinten innenbelüftete Scheibenbremsen.
 
Ein wenig mysteriös ist bis heute, wie viele Prominente sich damals die einzige Hochleistungslimousine gönnten, die sich ernsthaft mit sportlichen Statussymbolen wie Porsche 911 S oder Jaguar E-Type messen konnte. In der Namensliste, die sich den heißblütigsten Rebellen der Luxusklasse leistete, wird Peter Fonda ebenso genannt wie Udo Jürgens, Peter Alexander und Hildegard Knef. Sogar Steve McQueen soll ,,the greatest sedan" über amerikanische Highways getrieben haben.
 

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