Oldtimer

Ein Ausflug mit Renault-Legenden - Fahrt in die Vergangenheit

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  • 29. März 2018, 15:57 Uhr
  • Stefan Anker/SP-X

Man glaubt es ja nicht, wenn man´s nicht selbst erlebt. Nur eine Generation ist es her, da fuhren die Menschen seltsam einfache, fast schon primitive Autos. Und vor einem ganzen Menschenalter? Gemeingefährlich waren die Wagen da. Aber der Reihe nach.

Renault ist 120 Jahre alt geworden, was die Firma zum Anlass genommen hat, ein paar ihrer klassischen Modelle zu Probefahrten bereitzustellen. Die Zeitreise beginnt 1980, natürlich in einem R4, dem vielleicht bekanntesten Renault-Modell überhaupt. Der kastenförmige Kleinwagen war von 1961 bis 1992 auf dem Markt und galt neben dem 2CV von Citroen als absolutes Basismodell, als eine Art rollender Minimalismus. Beide Hersteller trafen damit einen Nerv und verkauften ihre schlichten Voitures millionenfach, Renault nochmals deutlich besser als Citroen.

Schon als ein R4 aktuell war, konnte man im Vergleich dazu einen VW Käfer für luxuriös und solide halten, aber wenn man heute in einen R4 GTL (mehr ging nicht) steigt, dann ist es doch verwunderlich, mit wie wenig Auto sich Menschen einst zufrieden gaben. Es regnet leicht, und die Lüftung des R4 kämpft vergebens gegen das Beschlagen der dünnen, absolut planen Scheiben an. Ohne doppelt geöffnete Seitenfenster und ein Tuch zum Wischen ist man verloren, darüber täuschen auch nicht die weichen, recht bequemen Sitze hinweg.

Immerhin: Wie in fast jedem alten Auto genießt man herrliche Rundumsicht, weil das Design in der Vergangenheit noch so angelegt war, dass die Fensterfläche groß und die Dachstreben dünn zu sein hatten. Eines der beeindruckendsten Automobildesigns in dieser Hinsicht ist übrigens der Espace, Renaults erster Minivan von 1984. Aber das nur am Rande.

Nie war der Renault 4 als Qualitäts- oder Performance-Auto gedacht, insofern muss man ihm seine zum Prinzip erhobene Simplizität verzeihen. Der R4 setzte die aufmüpfige Studentenschar der 60er-Jahre ebenso in Bewegung wie den armen Bauern und sogar die Polizei. Es reichen ein, zwei Louis-de-Funès-Filme, um zu sehen, welche Bedeutung der R4 auch im öffentlichen Dienst hatte. Weil Motor und Chassis so robust waren - nur die Karosserie konnte da nicht so recht mithalten. Sehr, sehr viele R4 sind dem Rost zum Opfer gefallen, und böse Zungen behaupten, manche Exemplare hätte der braune Tod während der Fahrt erwischt.

Der R4 aus dem Museum ist über dieses Problem natürlich erhaben, er hat nun 38 Jahre durchgehalten und wird das wohl auch weiter tun. 34 PS aus 1,1 Litern ziehen ihn gemächlich auf Tempo 121, jedenfalls laut Werksangabe - das Ausprobieren verbietet sich ja bei einem ausgeliehenen Oldtimer. Am meisten Spaß macht in diesem Auto ohnehin der Stadtverkehr, weil man da so häufig vom zweiten in den dritten Gang schaltet, was mit der sogenannten Revolverschaltung das pure Vergnügen ist. Aus der Mitte des Armaturenbretts ragt eine Stange mit Knauf, und wenn man die herauszieht, hat man vom ersten in den zweiten Gang gewechselt. Schiebt man die Stange wieder zurück, kippt der Knauf gleichzeitig ganz von selbst schräg nach rechts, und das Auto fährt im dritten Gang - mit etwas Übung kann man aus diesem Vorgang eine sehr lässige, fast nachlässige Handbewegung machen.

Überhaupt die Ergonomie - an ausgefallenen Lösungen herrschte bei den Franzosen kein Mangel. Beim R4 saß der Blinkerhebel rechts am Lenkrad, beim R16, 1965 als Topmodell auf den Markt gekommen, musste man sich zum Zündschloss tief in Richtung Pedale hinunterbeugen, etwa so wie beim Handbremshebel. Wen verwundert es da noch, dass der Schalthebel am Lenkrad zu finden ist, man die Scheibenwischer aber mit einer Art Lichtschalter links am Armaturenbrett aktiviert.

Aber sonst: Der Wagen fährt auf phänomenale Weise komfortabel, was nicht nur an den sehr weichen Sitzen liegt, sondern auch an der ebenso abgestimmten Federung. Der Nachteil dieser Lösung zeigt sich in nahezu jeder Kurve, selbst in denen mit weitem Radius: Das Auto neigt sich zur Seite, immer. Woraus sich wiederum der Vorteil ergibt, dass man es eher langsam angehen lässt. Auch wenn der R16 immerhin schon Sicherheitsgurte zu bieten hat: Einen Unfall mit einem Auto, das älter als 30 Jahre ist, mag man sich heute gar nicht mehr vorstellen wollen.

Von 1966 stammt das Museumsstück, sein 1,4 Liter großer Vierzylinder brummt ruhig vor sich hin, 54 PS haben es mit nur 980 Kilogramm zu tun - man vermisst hier eigentlich nichts, wenn man das hohe Alter dieses Autos bedenkt. 52 Jahre, und es fühlt sich im Wesentlichen an wie ein normales Auto. Das ist eigentlich die Überraschung des Tages.

Die Erwartungen erfüllen dann wieder der Renault 4CV und vor allem das Vorkriegs-Vehikel Vivastella. Das grüne, 1933 gebaute Schlachtross mit großzügigem Platz für sechs Personen fordert den Menschen am Steuer total. Der Wendekreis ist mit dem eines Kreuzfahrtschiffes zu vergleichen, und wenn man das riesige Lenkrad bis zum Anschlag gedreht hat, dann besteht die Tendenz, dass es dort verharrt, es will also mit sanftem Druck wieder in die andere Richtung gezerrt werden. Der ganze Aufbau rüttelt und schüttelt sich beim Fahren, und als der Blick auf den Tacho fällt, gibt es gleich zwei überraschende Erkenntnisse. Erstens: Wir fahren 70, maximal 80, und es fühlt sich an wie eine Rallye-Sonderprüfung. Zweitens: Der Tacho reicht bis 160, welcher Bruchpilot ist mit diesem Dampfer jemals so schnell gefahren?

Aber der Mensch gewöhnt sich ja an alles, und mit den Kilometern kommt ein bisschen Ruhe in den Puls. Nur beim Anfahren zickt das Auto jedes Mal: Die Kupplung greift erst, wenn der Fuß das Pedal fast wieder verlassen hat, und solange sie nicht greift, rollt der 1,6 Tonnen schwere Wagen (mit 3,2-Liter-V6 und 60 PS übrigens) gern ein Stück rückwärts. Wohl dem, der noch seinen Führerschein gemacht hat, als das Anfahren mit Handbremse eine gängige Technik war. Heute sind viele Fahrschulwagen mit elektrischer Parkbremse ausgestattet und lassen die Übung nicht mehr zu - die nächste Generation Autofahrer wird einen Vivastella wohl nicht mehr von der Ampel starten lassen können.

Was für eine Erfahrung, aber die schönste Erinnerung hinterlässt der Renault 4CV, im deutschen Volksmund ,,Cremeschnittchen" und bei den Franzosen ,,Butterklumpen" genannt. Während des Zweiten Weltkrieges haben ein paar Ingenieure diesen kleinen Viersitzer entwickelt, allerdings heimlich. Die Entwicklung ziviler Pkw war unter dem Vichy-Regime verboten. Nach dem Krieg aber war man froh, den Prototyp zu haben, aus dem 1946 ein Auto wurde, das einerseits die Massenmotorisierung beförderte und andererseits Renault zum zeitweise größten Autohersteller Europas aufsteigen ließ.

Der Museumswagen stammt von 1960, dem vorletzten Baujahr des 4CV. Bis zum Schluss 1961 ist er mehr als 1,1 Millionen Mal produziert worden. 34 PS aus einem 0,8-Liter-Vierzylinder sind verantwortlich für 100 km/h, sehr gewöhnungsbedürftig für heutige Autofahrer ist die Tatsache, dass die Gangschaltung nur drei Vorwärtsgänge anbietet. Immerhin sind die ganz ordentlich  abgestuft, anders als beim Vivastella. Der röhrt sich in den beiden unteren Gängen schnell die Seele aus dem Leib, während er in Gang drei in eine extrem lange Übersetzung fällt, entsprechend dumpfer brummt und etwas müde wirkt.

Laut sind die alten Autos übrigens alle, aber das Cremeschnittchen macht ansonsten beim Fahren schon einen agileren Eindruck als der Vivastella - wobei der kleine 4CV mit 3,67 Metern Länge und nur 600 Kilogramm Gewicht da naturgemäß im Vorteil ist. Richtig beeindruckend aber ist, dass die Franzosen die Antriebstechnik des 4CV und dessen Lenkung in den R4 hinübergerettet haben. Was umso mehr Respekt verdient, als der 4CV den Motor im Heck trug, der R4 aber zu den Autos gehörte, die zur größeren Verbreitung des Frontantriebs beigetragen haben.

Irgendwie haben die Ingenieure die Sache umgebaut, weswegen am Ende das R4-Getriebe vor dem Motor lag, was wiederum die Revolverschaltung nötig machte. Und ja, irgendwie schließt dieses technische Detail auch den Kreis dieses ungewöhnlichen Testfahrtages.

Komisch nur, dass Renault seine große, bis 1898 zurückreichende Historie nicht auch in einem großen Museum präsentiert. 770 Autos hat man in der Sammlung, 90 davon stellt man im Werk Flins-sur-Seine aus, ca. 90 Autominuten von Paris entfernt. Für Besucher ist dieses Museum allerdings nicht zugänglich, nur Mitarbeiter und geladene Gäste dürfen ab und zu mal schauen. Schade eigentlich.

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