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Tradition: 50 Jahre Citroen Méhari und Renault 4 Plein Air - Flower Power à la francaise

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  • 22. Mai 2018, 13:32 Uhr
  • Wolfram Nickel/SP-X

Während 1968 in Paris Studenten zur Revolution aufriefen, präsentierten Citroen und Renault mit den Modellen Méhari und R4 Plein Air fröhliche Spaß- und Strandmobile, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte. Die popfarbenen Fahrzeuge wurden Kult, nicht nur bei Hippies und Surfern.

Mai 1968. In Paris brannten Barrikaden und umgestürzte Autos, es sah aus wie im Bürgerkrieg. Kein adäquater Premierenort für ein vollkommen neues Freizeitfahrzeug wie den Citroen Méhari, der in poppigen und psychedelisch inspirierten Farben vorfuhr, genau passend für die friedliche Flower-Power-Bewegung.

Ob allerdings der feine Golfplatz im mondänen Seebad Deauville geeignet war, dieses minimalistische Strandauto mit provisorisch wirkenden Planen und Vorhängeketten statt Türen und Stoffverdeck vorzustellen? Die anwesenden Pressevertreter waren jedenfalls sprachlos ob des kühnen Karosseriekleides in neuartigem Kunststoff, das Citroen für diese offenherzige Modellvariante von Dyane und 2 CV gewählt hatte. Die Frontscheibe des 3,53 Meter kurzen Freizeitautos konnte wie bei klassischen Jagdwagen auf die Motorhaube abgeklappt werden. So hatten die Premierengäste freie Sicht auf die Passagiere des Zweizylinder-Modells: Nicht die erwarteten Golfer, sondern Hippies, hippe Models in roter Plastik-Couture und Feuerwehrleute saßen in dem Citroen ,,Dyane 6 Méhari". Es war der skurrile Auftakt zu einer 20-jährigen Erfolgsgeschichte dieses 145.000 mal verkauften Kunststofflitzers. Dagegen genügten dem zeitgleich vorgestellten fröhlichen Frischluftfahrzeug Renault 4 Plein Air gerade einmal 563 Käufer, um Kult zu werden. Zu großer Auflage und einem ernsthaften Méhari-Rivalen avancierte dann der 1970 lancierte Renault 4 Rodeo.

Der schnatternde Zweizylinder-Boxer im Citroen 2 CV und der frugale Vierzylinder im Renault 4 lieferten vor 50 Jahren den automobilen Soundtrack zur studentischen Revolte. Waren es doch vorzugsweise diese PS-Verweigerer, die Demonstranten zu Sit-ins und Barrikadenkampf beförderten - und gleichzeitig Professoren auf die Uni-Parkplätze. Diese linksintellektuelle Rolle fiel den automobilen Ikonen in Deutschland sogar noch stärker zu als in Frankreich, wo das Duo zu den Volksautos wie hierzulande der Käfer zählte. Allerdings brachte es der Méhari, der in Modularität und minimalistischer Technik die Philosophie des 2 CV verfolgte, zur Enttäuschung der Gauloises rauchenden Jugend und aller Surfer nicht zu einer allgemeinen Betriebserlaubnis in Deutschland. Grund dafür war seine nicht feuerfeste Karosserie aus ABS-Kunststoff (Acrylnitril-Butadien-Styrol), die hierzulande nur mühevoll per Einzelzulassung akkreditiert werden konnte.

Auch die vom französischen Karosseriespezialisten Sinpar in Handarbeit und dadurch limitierter Stückzahl realisierte, offene Renault-4-Mutation Plein Air kam nur in wenigen Exemplaren nach Allemagne. Zum Glück für alle neureichen Selbstdarsteller in Lamborghini und Ferrari - wie sich zeigte als die ersten spektakulär luftigen Plein Air auf der Insel Sylt auftauchten und dort sofort alle anderen Strand- und Sonnenautos in den Schatten stellten.

Von der gesellschaftlichen Norm abweichen und das zunehmend größere Bedürfnis nach Freiheit bedienen durfte der Renault 4 Plein Air erstmals als Shuttle-Fahrzeug auf der Weltausstellung 1967 in Montreal, Kanada. Zwischen den gigantischen Straßenkreuzern war der 3,56 Meter kleine Luftikus ohne festes Dach, Fenster und Türen ein verführerischer Hingucker. Ein scheinbar perfektes Beachtoy für Badegänge und Bistrobesuche oder den Surfboardtransport. Weshalb Renault sein gerade einmal 19 kW/26 PS leistendes vierrädriges Sonnensegel - das Verdeck bestand aus simplem, flatterfreudigen Tuch - ab 1969 auch nach Nordamerika exportierte. Im Gegensatz zu den dort populären Buggies vertraute der Plein Air wie alle Renault 4 auf Vorderradantrieb für die Bewältigung feinsandiger Strände und schwieriger Waldwegen. Das gilt sogar für den nachfolgenden Renault 4 Rodeo, der speziell als Jagdwagen große Popularität genoss.

Anders der Citroen Méhari, der seinen Namen einer nordafrikanischen Bezeichnung für Dromedare verdankt. Der Méhari vertraute auf vier angetriebene Räder - zumindest seit er sich ab 1979 auf den Einsatz bei der Rallye Paris-Dakar vorbereitete und neue Aufgaben bei Armee und Polizei bewältigen musste. Vorher genügte dem 525 Kilogramm leichten Plastikgefährt der aus dem 2 CV adaptierte Vorderradantrieb. Damit absolvierte der 21 kW/28 PS entwickelnde und maximal 97 km/h erreichende Méhari bereits die Rallye Paris-Kabul-Paris, ganz nach dem Motto ,,In der Ruhe liegt die Kraft". Diese Gelassenheit zahlte sich gewiss aus, als der Méhari später bei den französischen Fallschirmjägern diente. Verpackt als handliches Paket schwebte das Kunststoffauto in robuster Wellblechoptik aus großen Höhen zu Boden. Diese Belastbarkeit wussten auch französische Bauern zu schätzen, denn wie schon der 2 CV war der Méhari explizit für den Transport landwirtschaftlicher Produkte vorgesehen. Mit vier Antriebsrädern, Differentialsperre an den Hinterrädern und sieben Vorwärtsgängen durften es gerne auch einmal Steigungen von über 60 Prozent sein, die das ,,Dromedar" bei der Fahrt zum Bergbauernhof absolvierte.

Belastbar und flott wie die afrikanischen Namenspaten des Citroen Méhari sollte auch der Plein Air sein. Deshalb nutzte Renault die Gunst der Stunde und setzte seinen Imageträger als Prominentenshuttle zur Eröffnung neuer Safariparks ein, die damals in Mode kamen. Filmstars wie Eddie Constantine im R4 vor Dromedaren - ein Stich gegen Citroen. Die Marke im Zeichen des Doppelwinkels konterte souverän, denn der Méhari wurde gleich in mehreren Kino-Erfolgen automobiler Hauptdarsteller. Ob mit Louis de Funés und seinen Abenteuern als Gendarm von Saint Tropez oder mit Charlton Heston im ,,Omega Man", der kleine knallbunte Plastikbomber - entwickelt hatte den Kunststoff das Weltkrieg-II-Fliegerass Roland de La Poype - wusste sich in Szene zu setzen. Dies sogar bei der Reinigung des Fahrgast- und Laderaums, der mit Wasserabläufen versehen war. So genügte nach Offroadtouren oder Tier- und Strohballentransporten der Einsatz eines Wasserschlauchs.

Während Renault den Plein Air nach wenigen Jahren durch den Rodeo ersetzte und dieser sich vom Rodeo 4 über den Rodeo 6 zum Rodeo 5 entwickelte, begnügte sich Citroen bei seiner Kunststoff-Ikone mit kleinen Pflegemaßnahmen. So gab es mit Einführung des Zweizylinders aus dem Citroen Visa eine Leistungsspritze auf 25 kW/34 PS. Hinzu kamen im Sommer 1983 zwei Sonderserien, der weiß-blau glänzenden Méhari Azur für die französischen, italienischen und portugiesischen Surf-Fans sowie der Méhari Plage als spanisches Strandauto. Ebenfalls 1983 fand der Méhari in Argentinien eine zweite Heimat. Dort starteten Fertigung und Vertrieb des IES Safari, einer Méhari-Adaption, die auf Karosserieteile aus kostengünstigem Fiberglas statt ABS-Kunststoff vertraute.

Nach Deutschland kam der Citroen für Sonne, Strand und mehr offiziell erst in Form seines Nachfolgers, der Ende 2016 als E-Mehari mit Elektromotor und Lithium-Polymer-Akkus startete. Immerhin bewahrte sich der E-Mehari den Esprit des Originals, denn Scheu vor Salzwasser und Sand hat auch er nicht.

Chronik:
1948. Auf dem Pariser Salon wird der Citroen 2 CV der Öffentlichkeit und dem französischen Staatspräsidenten Vincent Auriol vorgestellt. Das ungewöhnliche Konzept des Autos polarisiert und erfordert von Presse und Publikum einige Gewöhnung, wird dann aber ein Millionenerfolg.
1961: Am 21. September feiert der Renault 4 seine Weltpremiere auf der Frankfurter IAA als Nachfolger des Renault 4 CV mit Heckantrieb.
1967: Im Juli läuft die Produktion des vom 2 CV abgeleiteten Citroen Dyane an, der die Basis für den Méhari liefert. Auf der Weltausstellung in Montreal/Kanada werden seriennahe Prototypen des Renault 4 Plein Air als Shuttlefahrzeuge eingesetzt. Der Umbau des regulären Renault 4 zum offenen Typ Plein Air erfolgt beim französischen Spezialisten Sinpar (Société Industrielle de Production et d'Adaption Rhodanienne).
1968: Am 16. Mai debütiert in Deauville, Frankreich, der Citroen Méhari, designt von Jean-Louis Barrault. Der 525 Kilogramm leichte, 3,53 Meter lange offene Kunststoffwagen erhält in Deutschland keine allgemeine Betriebserlaubnis wegen nicht feuerfester Karosserie aus ABS-Kunststoff, eine Einzelabnahme ermöglichte aber die Zulassung von Importfahrzeugen. Entwickelt hat die ABS-Karosserie der Konstrukteur Roland de La Poype. Der Méhari wird zunächst ,,Dyane 6 Méhari" genannt unter Bezug auf das technische Basisfahrzeug. Der Name Méhari ist in Nordafrika die Bezeichnung für ein Dromedar. Wie dieses genügsame, ausdauernde Tier sollte der Méhari nicht nur Freizeitmobil, sondern auch Nutzfahrzeug sein und etwa Strohballen befördern. Mit 368.566 Einheiten erreicht die Renault-4-Produktion in diesem Jahr ihren Allzeitbestwert. Bei Sinpar Serienstart des Renault 4 Plein Air mit Faltverdeck und ohne Türen. Auf dem Pariser Salon debütiert als Prototyp ein Renault 4 Sinpar Torpedo mit vier Türen und Plandach.
1969: Der Renault 4 Plein Air wird auf den Exportmärkten Kanada, USA, Mexiko, Niederlande, Großbritannien, Finnland und Deutschland lieferbar. In Mexiko Montage des Plein Air als Renault 4 Costero. Der Citroen Méhari startet bei der Langstrecken-Rallye Lüttich-Dakar-Lüttich
1970: Als neuer Konkurrent zum Citroen Méhari startet der bis 1980 gebaute Renault 4 Rodeo, der später den Renault 4 Plein Air ablöst. Der Citroen Méhari startet bei der Langstrecken-Rallye Paris-Kabul-Paris.
1971: Produktionsauslauf für den Renault 4 Plein Air.
1972: Renault bietet mit dem 6 Rodeo eine leistungsstärkere Version seines Strandwagens an. Der Citroen Méhari wird in Armee- und Polizeispezifikation ausgeliefert.
1977: Der Renault 4 Plein Air erlebt ein kurzes Revival durch einen Umbaukit von Renault-Partnern.
1978: Der Méhari feiert seinen letzten großen Auftritt als Kinostar in einem Film mit Louis de Funés.
1979: Der Citroen Méhari wird in einer 4x4-Version lieferbar.
1980: Zehn Citroen Méhari 4x4 starten bei der Rallye Paris-Dakar als technische und medizinische Assistenzfahrzeuge.
1981: Der Renault 5 Rodeo wird Nachfolger des 6 Rodeo, der zuletzt noch mit 1,3-Liter-Motor ausgeliefert wird.
1983: Die Surfer- und Strandautoszene der 1980er Jahre beliefert Citroen mit Sondermodellen des Méhari, den Typen Méhari Plage und Méhari Azur (700 Einheiten). In Argentinien startet der Vertrieb des IES Safari, einer Méhari-Adaption. Die Karosserieteile werden aus Uruguay zugeliefert. Der eingesetzte Kunststoff ist allerdings nicht ABS, sondern das kostengünstigere Fiberglas.
1987: Produktionsauslauf des Citroen Méhari nach 144.953 Einheiten
2015: Im Dezember debütiert der Citroen E-Mehari als moderner Nachfolger des Originals.
2016: Vertriebsstart für den 3,81 Meter langen Citroen E-Mehari mit Elektromotor und Lithium-Polymer-Akkus.
2018: Im Januar läuft die zweite Generation des E-Mehari an, jetzt mit Hardtop. Citroen feiert den 50. Jahrestag des Méhari mit einem E-Mehari, der von Jean-Charles De Castelbajac als Art Car gestaltet wird.

Motorisierungen:
Citroen Méhari (ab 1968) mit 0,6-Liter-Zweizylinder-Motor (21 kW/28 PS), Vmax 97 km/h, bzw. mit 0,65-Liter-Zweizylinder-Motor (25 kW/34 PS), Vmax 120 km/h.
Citroen E-Mehari (ab 2016) mit E-Motor (50 kW/68 PS), Vmax: 110 km/h. 
Renault 4 Plein Air (ab 1968) mit 0,8-Liter-Vierzylinder-Motor (19 kW/26 PS), Vmax 110 km/h.
Renault 4 Rodeo (ab 1970) mit 0,8-Liter-Vierzylinder-Motor (25 kW/34 PS), Vmax 100-105 km/h.

Produktionszahlen:
Citroen Méhari: insgesamt 144.953 Einheiten;
Renault 4 Plein Air: insgesamt 563 Einheiten.

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