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Panorama: Im Smart durch Hongkong - Zwischen den Welten

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  • 20. Juli 2018, 12:29 Uhr
  • Benjamin Bessinger/SP-X

Ein Rest von England mitten in China, Hochhausschluchten und Traumstrände nur einen Tunnel voneinander entfernt, Dauerstau in engen Straßen und mehr Supersportwagen als in manch einem Emirat - Hongkong ist eine Stadt voller Widersprüche. Deshalb kommt hier selbst ein Kleinstwagen wie der Smart groß raus.

Er hat ein halbes Dutzend Mercedes und mindestens so viele Ferrari und dazwischen parken Rolls-Royce, Bentley, BMW und Porsche. Doch wenn Simon Tse richtig Spaß haben will in den Straßen von Hongkong, dann nimmt der Autosammler aus dem Happy Valles seinen Smart. ,,Was nützen mir viele hundert PS und aller Luxus der Welt, wenn ich doch nur im Stau stehe. Mit dem Smart dagegen komme ich überall durch."
 
Damit hat der Immobilienmakler und Petrolhead Recht. Denn eigentlich ist Honkong das perfekte Pflaster für den Smart: Die Distanzen sind in der Regel kurz, die Straßen sind eng und permanent verstopft, Parkplätze sind Mangelware und Fahrspaß ist ein Fremdwort im Stadtstaat, in dem man kaum irgendwo schneller als 80 fahren darf und das kurze Stück mit Tempo 110 auf dem Weg zum Flughafen für viele schon als Mutprobe gilt. Außerdem ist der Smart ein Schnäppchen, selbst wenn die Preise für das 71 PS-Modell bei umgerechnet 16.000 Euro beginnen - denn anders als die großen Importmodelle ist er von der Luxussteuer befreit, die zum Teil über 100 Prozent beträgt.
 
Doch so richtig angekommen ist der Bonsai-Benz in der ehemaligen Kolonie noch nicht. Seit 1999 im Handel, gibt es auf den Straßen von Downtown oder Kowloon gerade mal etwas mehr als 1.500 Smarts und unter den pro Jahr knapp 40.000 Neuzulassungen im chinesischen Stadtstaat waren 2017 gerade mal 64 Winzlinge aus dem Westen.
 
Rae Yeung ist das ganz recht. Zwar hat sie früher mal für Mercedes gearbeitet und hätte den Smart hier richtig groß rausbringen sollen. Doch jetzt hat sie den Job gewechselt, leitet aber weiterhin den Smart Club der Stadt und freut sich, dass ihr Auto so exotisch ist. Denn das ist einer der Gründe, weshalb die rund 10.000 Smart-Fans mit zusammen vielleicht 100 Autos so eine eingeschworene Gemeinde sind. ,,Wir wissen, dass er polarisiert. Man hasst ihn, oder man liebt ihn", sagt die Clubsprecherin und freut sich, dass sich an diesem Auto die Geister scheiden. ,,Hätte er mehr Fans würden wir ihn weniger lieben", umreißt sie die Gemütslage im Verein. Schließlich fällt man in einem Smart in Hongkong noch immer mehr auf als in einem Supersportwagen. Und anders als in einem Ferrari oder Lamborghini zaubert man auch den anderen ein Lächeln ins Gesicht.
 
Weil ihnen dieses Lächeln wichtig ist und sie mit dem bei anderen Clubs üblichen Tuning so ihre Probleme haben, geht es bei den Smarties auch ein bisschen anders zu als bei anderen Autoclubs. Während die Sportwagen im Morgengrauen zu geheimen Ausfahrten starten und man bei jedem Stopp Benzingespräche führt, treffen sich die Smart-Fans zum Smalltalk auf irgendeinem Parkplatz. Und selten geht es dabei um Autos, sagt Rae Yeung. Viel häufiger geht es um Wohltätigkeitsaktionen, um kreative Wettbewerbe und vor allem um Klatsch und Tratsch unter Freunden. Eher wie in einer Familie. Nur wenn es was zu feiern gibt, dann feiern auch die Autos mit. Bei runden Geburtstagen oder bei Hochzeiten zum Beispiel sind deshalb lange Smart-Paraden in Hongkong unterwegs.
 
Ihre Faszination für den Winzling kann man nach ein paar Metern durch Causeway Bay oder Wan Chai schnell verstehen. Denn während man in einem ausgewachsenen Auto nicht nur wegen des Linksverkehrs Blut und Wasser schwitzt, surft man mit dem Smart ganz einfach durch den dichten Verkehr, wechselt wieselflink die Spuren auf den ständig überfüllten Hauptstraßen und kommt im Gewirr der steilen Gassen auch dort durch, wo selbst die allgegenwärtigen Taxis an Marktständen und Hausecken hängen bleiben. Und sogar die sonst so verhasste Parkplatzsuche wird mit dem Smart zum Spaß: Draußen, weil man doch irgendwie immer eine Lücke für den Zwerg findet, und drinnen, weil jedes Parkhaus zum Rummelplatz wird für den wendigen Winzling und es gar nicht genügend Ebenen hinauf- oder hinabgehen kann, wenn sich die Zufahrt anfühlt wie ein Karussell.
 
Während sich die Fahrt zwischen den Hochhausschluchten ein bisschen an einen Ausflug nach Manhattan erinnert, sind es in Honkong nur ein paar Kilometer bis zu einer völlig anderen Szenerie: Einmal durch den Aberdeen-Tunnel in den Süden nach Stanley oder gleich in die New Terretories und man fährt über Küstenstraßen, die an die Corniche zwischen Nizza und Monaco erinnern - nur dass die Palmen hier nicht allein an den Boulevards stehen und die man zwischendrin durch dschungelartige Wälder fährt. Und spätestens wenn man an der Uferpromenade von Stanley ausrollt, weiß man auch, weshalb man trotz des vielen Regens in einem Cabrio unterwegs ist.
 
Auch Autosammler Simon Tse weiß um den Reiz des Winzlings und steigt deshalb mit einem breiten Grinsen in seinen weißen Fortwo. Doch nur im Smart ist Hongkong für ihn dann doch nicht zu ertragen. Deshalb wechselt er bisweilen eben doch in einen seiner Supersportwagen oder seine Luxuslimousine, steht ein bisschen früher auf, gibt ein bisschen mehr Gas und macht das, was man an der Nahtstelle zwischen dem alten Europa und dem neuen China am besten kann - ständig zwischen den Welten wechseln.

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