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Panorama: Auf Testfahrt mit einem Formel-E-Rennwagen - Strom-Schnelle

  • In AUTO
  • 9. November 2018, 13:26 Uhr
  • Benjamin Bessinger/SP-X

Gleich in seiner ersten Saison hat das Audi-Team die Weltmeisterschaft in der Formel E gewonnen. Bevor Daniel Abt und Lucas de Grassi im weiterentwickelten e-tron F05 zur Mission Titelverteidigung starten, waren wir schon mit dem neuen Rennwagen unterwegs.

Alexander Siegesmund ist nervös. Zwar versucht sich der Systemingenieur, seine Bedenken nicht anmerken zu lassen, und macht deshalb gute Miene zum bösen Spiel. Doch dass noch vor dem Start der neuen Formel E-Saison jemand anderes als die Werksfahrer Daniel Abt und Lucas de Grassi in das Cockpit des elektrischen Einbaums klettern soll, das schmeckt dem ruhigen Techniker, der in der Box das Regiment führt, gar nicht. Schließlich haben die beiden eine wichtige Mission: Sie wollen mindestens den Titel des Team-Weltmeisters verteidigen, den sich Audi in der letzten Saison gleich beim Einstand als erster deutscher Hersteller in der Formel E gesichert hat. Und jetzt soll er keine sechs Wochen vor dem ersten Rennen am 15. Dezember in Riad alles auf eine Karte setzen und den Wagen einem absoluten Greenhorn überlassen? Na prima!

Doch Siegesmund weiß, dass er Kompromisse machen muss. Denn in der Formel E geht es mehr noch als in jeder anderen Motorsport-Liga nicht um Ruhm und Ehre alleine, sondern vor allem um das Marketing. Wer sich hier engagiert, der will Stimmung machen für die Elektromobilität und seinen Kunden beweisen, dass Akkuautos erstens alltagstauglich sind und zweitens Spaß machen können. Und nachdem die Bayern den sprichwörtlichen ,,Vorsprung durch Technik" lange haben schleifen lassen, wollen sie nun vorne mitschwimmen auf der elektrischen Welle und beginnend mit dem Geländewagen e-tron bis zum Jahr 2025 ein ganzes Dutzend Stromer auf die Straße bringen. Und damit das auch jeder mitbekommt, muss sich das Formel E-Team eben mit vor den Karren spannen und auch mal einen Laien ans Lenkrad lassen.

Der fühlt sich dabei - vielleicht ist das ein Trost für den Chef in der Box - mindestens genauso unwohl und ist mindestens ebenso nervös wie das gesamte Team. Denn auch wenn ich von Oldtimer bis zur Designstudie schon so ziemlich jedes Auto gefahren bin, habe ich noch nie in einem Formel-Fahrzeug gesessen. Geschweige denn in einem aus der Formel E.

Der Rennwagen ist nagelneu entwickelt. Denn nachdem die Formel E vier Jahre lang im Grunde mit dem gleichen Wagen fuhr, gibt es zur Saison 18/19 nicht nur neue Regeln für mehr Spannung auf der Strecke, sondern auch ein neues Chassis, das zusammen mit den neuen Batterien für alle Teams die verbindliche Basis bildet. Erst nach dem von McLaren beigesteuerten Akku-Pack können sich die Teams bei Motor und Steuerung frei entfalten - zumindest in dem engen Korsett, das ihnen die FIA diktiert hat. Neben spektakulärerem Design im Stil eines Bat-Mobils gilt die wichtigste Änderung zur neuen Saison den Batterien: Sie haben nun 54 statt 32 kWh und reichen damit für die volle Distanz - zumindest, wenn es der Fahrer schafft, rund 30 Prozent seines Stroms durch Rekuperation zurückzugewinnen oder durch Segelphasen einzusparen.

Aber dafür muss man erst einmal losfahren - und dafür muss man sich irgendwie ins Auto setzen. Wobei das mit dem Sitzen so eine Sache ist. Denn erstens muss man erst mal rein kommen in diese Röhre aus Karbon. Und zweitens sitzt man hier nicht hinter dem Steuer, sondern liegt unmittelbar über dem Asphalt und kann kaum mehr bewegen als die Zehenspitzen, die rechts auf dem Gaspedal und links auf der Bremse liegen, und die Hände, die sich krampfhaft um das rechteckige Lenkrad krallen, das mit Knöpfen überfrachtet ist und auch noch einen kleinen Bildschirm mit den Instrumenten trägt. Selbst der Kopf ist fast fixiert, so eng geht es mit Helm und ,,Hans" zu, wenn einen die Mechaniker erst einmal festgezurrt haben.

Aber warum sollte man hier auch den Blick schweifen lassen? Wenn von hinten 340 PS die gerade einmal 900 Kilo schwere Rakete fast geräuschlos, aber dafür umso gewaltiger aus der Box katapultieren, richtet man den lieber nach vorn. Denn die erste Kurve kommt schneller als erwartet - und spätestens dort erlebt man sein blaues Wunder.

Als wäre der Sprint von 0 auf 100 in weniger als drei Sekunden nicht schon atemberaubend genug, flitzt der Renner um die Ecken, als wäre das hier eine Carrera-Bahn im Kinderzimmer. Genauso zackig, genauso schnell - und genauso unbeirrt, als führe er auf Schienen. Kein anderes Auto lässt sich so leicht im die Kurve treiben, keines rumpelt so unbeirrt über die Curbs und keines kommt danach so schnell wieder auf Touren. Denn die 100 Meter bis zur nächsten Kurve reichen, damit man 150, 180 Sachen draufbekommt. Und dass die Gerade nicht länger ist, das tut der Freude keinen Abbruch. Denn die Vmax ist wie so oft bei Elektroautos auch hier im Formel-Renner eher enttäuschend - mehr als 240 km/h sind nämlich mit der aktuellen Übersetzung nicht drin.

Aber das hier ist ja keine Autobahn. Sondern eine etwas groß geratene Kart-Bahn, in der Kurven und Schikanen an den Nerven kitzeln. Runde für Runde wächst das Vertrauen in den Wagen, man bremst später, nimmt  die Kurven enger und tritt früher wieder aufs Gas. Doch wirklich gewöhnen kann man sich an dieses Fahrgefühl trotzdem nicht. Jeder Kickdown katapultiert das Auto nach vorn und den Puls in die Höhe. Es ist fast wie bei einem Defibrillator, der das Herz mit wohl dosierten Elektroschocks auf Touren hält oder Tote zum Leben erwecken kann.

Deshalb ist es kein Schaden, dass der Zauber nach nicht einmal einer Viertelstunde schon wieder vorbei ist. Denn die volle Distanz von 45 Minuten und einer Runde hätte mein Kreislauf ohnehin nicht durchgehalten. Und die Nerven von Renningenieur Siegesmund wahrscheinlich auch nicht. Doch als der Audi zurück in die Box surrt, wirkt das Lächeln auf den Lippen des Technikchefs zum ersten Mal entspannt und ehrlich. Denn sein Auto ist heil geblieben. Und dass der Pilot völlig fertig ist nach dieser elektrischen Grenzerfahrung, kann ihm ja herzlich egal sein.

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