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Hält der Mensch Schritt mit der Mobilität 4.0?

Von alters her basierte die Mobilität der Menschen auf Muskelkraft. Entweder der eigenen oder der tierischer Helfershelfer. Danach waren Verbrennungsmotoren für unsere Fortbewegung verantwortlich, als dritter Schritt befindet sich der Übergang zum Elektromotor als Antrieb - wenn auch regional unterschiedlich - in vollem Gang. Nach und nach wird gleichzeitig die Mobilität 4.0 das Geschehen auf Autobahnen, später auf Land- und Stadtstraßen bestimmen: Sensoren, Computer, eine modernisierte Infrastruktur und eine Kommunikation der Fahrzeuge untereinander erleichtert die Fahrweise und ebnet den Weg zum Ziel des völlig autonomen Fahrens. Doch wie halten wir mit dieser Entwicklung Schritt und was bedeutet der Weg dahin für die Sicherheit auf unseren Straßen?

Diesen Fragen ging jetzt eine Veranstaltung des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) nach. Der Titel der Vortragsreihe lautete: ,,Schöne neue Welt? - Mobilität 4.0 und die Herausforderungen für die Verkehrssicherheit." Kein Zweifel, in den kommenden Jahren und Jahrzehnten wird sich der Straßenverkehr stärker verändern als in den vergangenen 30 Jahren, befinden wir uns doch bereits heute an der Schwelle zur hochautomatisierten Bewegung. Die Entwicklung läuft in sechs Stufen ab:
Level 0: Der Mensch fährt ohne Unterstützung von Fahrerassistenzsystemen.
Level 1: Fahrerassistenzsysteme greifen unterstützend ein.
Level 2: Teilautomatisierte Fahrerassistenzsysteme verstärken Komfort und Sicherheit.
Level 3: Das Fahrzeug kann teilweise selbstständig fahren. Der Mensch muss jedoch stets eingreifen können.
Level 4: Das Fahrzeug beherrscht hochkomplexe Verkehrssituationen ohne Eingriff des Fahrers. Der Mensch am Lenkrad muss dennoch bei Bedarf übernehmen können.
Level 5: Beim völlig autonomen Fahren sind weder Fahrtüchtigkeit noch Fahrerlaubnis erforderlich - Lenkrad und Pedalerie fehlen. Das Fahrzeug übernimmt alle Fahrfunktionen.

Level 2 ist heute schon Alltag. Beispiele dafür sind etwa automatisches Einfahren in enge Parklücken, Brems- und Spurhalteassistenten und vieles mehr. Probleme drohen bei Level 3 und 4, die denn auch im Mittelpunkt des DVR-Meetings standen.

Warum allerdings Prof. Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin zum Auftakt seinen Vortrag ,,Abschied vom Straßenverkehr wie wir ihn kannten?" nannte, blieb wohl vielen seiner Zuhörer schleierhaft. Denn der radikale Autogegner, der schon öffentlich für ein Verbot des privaten Eigentums an Kraftfahrzeugen eintrat, segelte grandios am Thema vorbei. Sein Fazit: ,,Die Grenzen des fossilen Automobilismus sind erreicht. Es gibt einfach zu viele Autos."

Im Gegensatz dazu war es ein Gewinn, den verbleibenden sechs Referenten zuzuhören, die allesamt Substanzielles zum Leitgedanken der Veranstaltung beizutragen hatten. So befasste sich Gudrun Gericke vom Lehrstuhl für Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena mit den psychologischen Auswirkungen der Informationsflut von Apps und Assistenzsystemen in unseren Autos. ,,Volle Dröhnung" nannte sie ihren Vortrag. ,,Die Anpassungsfähigkeit unseres Verhaltens an sich verändernde Bedingungen hat uns offenbar einen evolutionären Vorteil verliehen", meint die Psychologin. ,,Werden wir von Informationen überschüttet, suchen wir uns die vermeintlich wichtigen heraus. Wird es uns zu langweilig, beschäftigen wir uns nebenbei mit anderen Dingen." Womit der Sicherheit auf der Straße wohl kaum gedient wäre.

Einen ähnlichen Gedanken verfolgte Professor Sebastian Pannasch von der Fakultät Psychologie der Technischen Universität Dresden. Zu viel des Guten erreicht bekanntlich oft das Gegenteil. ,,Reine Überwachungsaufgaben sind mit unserem Bestreben nach sinnhafter und aktiver Beschäftigung sehr problematisch zu vereinbaren", meint Pannasch. ,,Multitasking sollte nach Möglichkeit vermieden werden und Systeme den Bediener stets optimal unterstützen. Multitasking steht dazu im Widerspruch." Dieser Meinung folgt auch Benno Gross vom Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, der sich mit einer sicheren Gestaltung von beruflich genutzten Fahrerarbeitsplätzen auseinandersetzte: ,,Die Ressourcen für Wahrnehmung und Informationsverarbeitung des Menschen sind begrenzt." Das gilt vor allem für eingehende Nachrichten per Smartphone oder Computer, die selbstverständlich nur vorschriftsmäßig eingesetzt werden dürfen - entweder mit einer Freisprechanlage (und auch das möglichst begrenzt) oder während einer Fahrpause.

Einen langen Weg bis zur hoch automatisierter Fahrweise prophezeite Professor Horst Wieker von der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes in seinem Vortrag ,,Fahrplan für die Zukunft - Sicherheitspotenziale des automatisierten und vernetzten Fahrens". ,,Die robuste und zuverlässige Situationserfassung und ein vorausschauendes Szenenverständnis spielen eine besondere Rolle", sagte Wieker. ,,Künstliche Intelligenz entwickelt sich hierbei zur Schlüsseltechnologie, die es den Maschinen erlaubt, anhand beispielhafter Situationen die notwendigen Parameter selbst zu ermitteln." Und noch etwas wusste der Professor zu berichten: ,,Bei Fahrversuchen in voll automatisierten Fahrzeugen musste ein Drittel der Versuchspersonen die Fahrt abbrechen, ein weiteres Drittel klagte über Übelkeit und nur ein Drittel hatte damit keinerlei Probleme." Mit dem Rücken zur Fahrtrichtung oder schräg zu sitzen, wie das in manchen Studien vollständig autonomer Fahrzeuge zu beobachten sei, entspräche nicht der menschlichen Natur.

Thomas Wagner von der Dekra schließlich beschäftigte sich mit juristischen Aspekten wie Fahrerlaubnis, periodischem Training und möglichen Stufenführerscheinen auf dem Weg zur Endstufe der Mobilität 4.0. Gerade die Phasen von Level 3 und Level 4 würden besondere Probleme aufwerfen, mit denen sich der Gesetzgeber bislang noch nicht beschäftigt habe. Besonders schwierig sei der zu erwartende Mischverkehr bei fortschreitender Automatisierung, in dem sich Fahrzeuge verschiedener Entwicklungsstufen mit und ohne Kommunikation untereinander begegnen.

Seit 2007 ist die Vision Zero Basis für die Arbeit des Deutschen Verkehrssicherheitsrats, also die Vermeidung von Getöteten und Schwerverletzten im Straßenverkehr. Daran erinnerte zum Schluss DVR-Geschäftsführerin Ute Hammer. Immerhin soll am Ende der Entwicklung von Mobilität 4.0 mit autonom agierenden Fahrzeugen dieses Ziel in greifbare Nähe rücken. (ampnet/hrr)

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