Ratgeber

Neue CO2-Grenzwerte - Zwischen unrealistisch und unzureichend

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  • 19. Dezember 2018, 09:53 Uhr
  • Holger Holzer/SP-X

Die Autoindustrie findet sie zu ambitioniert, Klimaschützern gehen sie nicht weit genug: Die EU hat CO2-Grenzwerte für das kommende Jahrzehnt festgelegt.

Die neue CO2-Grenzwerte für die Zeit nach 2021 stehen fest. Die Industrie gibt sich schockiert, Klimaschützern gehen die Vorgaben nicht weit genug. Fragen und Antworten zu den Entscheidungen in der EU.

Was ist verabschiedet worden?
Die EU-Staaten, die Kommission und das Europaparlament haben sich auf den Fahrplan für die CO2-Reduzierung im Pkw-Verkehr geeinigt. Grenzwerte wie der nun beschlossene werden in regelmäßigen Abständen festgelegt, zuletzt waren die Vorgaben für 2021 auf 95 Gramm gesetzt worden. Nun wird der Zeitrahmen bis 2030 erweitert. Der Regelung zufolge soll der CO2-Ausstoß von neu zugelassenen Pkw bis 2025 um 15 Prozent und bis 2030 um 37,5 Prozent sinken, für leichte Nutzfahrzeuge gelten 31 Prozent. Basis ist jeweils der CO2-Ausstoß des Jahres 2021. Der steht aktuell noch nicht fest, weshalb auch kein auf das Gramm genauer Zielwert für 2025 beziehungsweise 2030 genannt werden kann. Damit die Vorgaben verbindlich in Kraft treten können, müssen Rat und Parlament den Beschlüssen noch zustimmen. Das gilt als sicher.

Wie kommen die Reduktionsziele zustande?
Die EU-Kommission und Deutschland waren ursprünglich mit dem Ziel einer Absenkung um 30 Prozent bis 2030 in die Verhandlungen gegangen, der europäische Autoherstellerverband ACEA hatte 20 Prozent gefordert. Das Europaparlament setzte sich  im Gegenzug für 40 Prozent ein, die EU-Staaten plädierten für 35 Prozent. In den CO2-Verhandlungsrunden der vergangenen Jahre hatte die unter anderem von der deutschen Regierung gestützte Autoindustrie regelmäßig relativ günstige Ergebnisse ausgehandelt, diesmal ist das offenbar nicht gelungen. Experten sehen die konsequente Linie der Politik nicht zuletzt auch als Reaktion auf die verschleppten Abgasskandale und die dabei gezeigte Bereitschaft der Industrie, Grenzwerte und Testverfahren aufzuweichen und zu umgehen.

Wie hoch ist der aktuelle CO2-Ausstoß?
Im Jahr 2017 lag der durchschnittliche CO2-Ausstoß aller in der EU neu zugelassenen Neuwagen bei 119 Gramm pro Kilometer (NEFZ) und damit 1 Gramm über dem Wert des Vorjahres. Zu den Vorgaben für 2021 fehlten der Branche somit 24 Gramm, was einem Kraftstoffverbrauch von gut einem Liter Super beziehungsweise 0,9 Litern Diesel entspricht. Allerdings gilt die 95-Gramm-Grenze nicht konkret für den einzelnen Hersteller - für die Konzerne existieren individuelle Zielwerte, die über oder unter dem Limit liegen können. Maßgeblich dafür ist das über mehrere Jahre gemittelte Gewicht ihrer verkauften Fahrzeuge; ein Mechanismus, der die Verbrauchsnachteile der deutschen Hersteller ausgleichen soll, die im Schnitt größere und schwerer Fahrzeuge bauen als etwa Italiener, Franzosen und Asiaten. So darf etwa Daimler 2021 nach aktuellen Stand noch auf 103 Gramm CO2 kommen, während Renault-Nissan 93 Gramm erreichen muss. Daimler ist von seinem Ziel 24 Gramm, also ungefähr einen Liter Super, entfernt, Renault-Nissan muss 19 Gramm einsparen.

Wie reagieren die Hersteller?
Zusammengefasst sieht die Industrie die Vorgaben als unrealistisch. ,,Diese Regulierung fordert zu viel und fördert zu wenig. Niemand weiß heute, wie die beschlossenen Grenzwerte in der vorgegebenen Zeit erreicht werden können. In keinem anderen Teil der Welt gibt es vergleichbar scharfe CO2-Ziele. Damit wird die europäische Automobilindustrie im internationalen Wettbewerb stark belastet", sagt Bernhard Mattes, Chef des deutschen Automobilherstellerverbands VDA. Er sieht eine Schwächung des Industriestandorts Deutschland und eine Gefährdung von Arbeitsplätzen. Zudem beklagt er eine zu schwache Förderung der Elektromobilität und anderen alternativen Antrieben. Auch einzelne Hersteller haben bereits reagiert. So erklärte etwa VW-Chef Herbert Diess, das bisher von seinem Konzern beschlossenes Umbauprogramm reiche für das Erreichen der neuen Ziele nicht aus. Möglicherweise müsse man nun noch stärker auf die Elektromobilität setzen. Der europäische Herstellerverband ACEA sieht das ähnlich, kritisiert jedoch, dass bislang die Marktakzeptanz von E-Auto fehle, vor allem außerhalb der Vorreiterstaaten wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien.

Was sagen die Klimaschützer?
Umweltschützer sehen die Vorgaben im Gegensatz zur Industrie als unzureichend an. ,,Die Reduzierung um 37,5 Prozent bis 2030 ist eine Verbesserung gegenüber dem sehr schwachen Kommissionsvorschlag von lediglich 30 Prozent," schreibt die europäische Umweltorganisation Transport & Environment in einer Mitteilung. Um die aktuellen Klimaziele der EU für 2030 zu erreichen, reichten die Grenzwerte jedoch nicht aus. Erst recht nicht, um die Zusagen beim Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Der europäische Verbraucherverband BEUC begrüßte die Regelung und sieht sie als wichtigen Meilenstein zur Senkung der Klimakosten des Autofahrens. Er prognostiziert Kraftstoffeinsparungen für Autofahrer von bis zu 1.000 Euro im kommenden Jahrzehnt. Einig ist man sich zudem weitgehend, dass die Grenzwerte für einen Boom der Elektromobilität sorgen werden.

Wie könnten die Ziele erreicht werden?
Mindestens die Hälfte der Einsparungen muss nach Einschätzung des ACEA durch alternative Antriebe geschafft werden. Dazu zählen batteriebetriebene, hybride und brennstoffzellenbetriebene Fahrzeuge. Die Hersteller müssen daher das entsprechende Angebot ausweiten - und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Fahrzeuge technisch und preislich so attraktiv sind, dass sie auch gekauft werden. Wie bei jeder CO2- oder Emissionskrise wird auch das Erdgasauto wieder ins Spiel gebracht, das mit einer besseren Klimabilanz als klassische Benziner aufwartet und gleichzeitig weniger große Technik- und Infrastrukturprobleme mit sich führt als E-Autos. Trotz der lange bekannten Vorteile hat sich der Erdgasantrieb jedoch in Deutschland und weiten Teilen Europas bislang nicht durchgesetzt.

Was bedeuten die CO2-Vorgaben für den Diesel?
Die aktuelle Talfahrt der Diesel-Neuzulassungen in Europa sowie die nicht nur in Deutschland drohenden Fahrverbote machen es den Autoherstellern zusätzlich schwer, die CO2-Ziele zu erreichen. Eigentlich war der effiziente Motor fest eingeplant bei der Reduzierung des Flottenausstoßes, nun fehlt er zunehmend in der CO2-Bilanz. Auch wenn der Selbstzünder noch nicht endgültig tot ist, ist klar, dass sein Anteil an den Neuzulassungen nicht mehr so groß werden wird wie zu seinen besten Zeiten, als er in vielen Ländern in der Hälfte aller Neuwagen eingebaut war. Künftig dürfte er nur noch in großen und schweren Fahrzeugen eine wichtige Rolle spielen.

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