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Tradition: 60 Jahre BMW 700 - Weißblaues Wunder aus Austria

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  • 8. Juli 2019, 12:34 Uhr
  • Wolfram Nickel/SP-X

Nein, es waren nicht die legendären Neue-Klasse-Limousinen, die BMW retteten und auf sportiven Kurs brachten. Als Krisenkiller und Dynamiker für neue Freude am Fahren überraschte vor 60 Jahren der kleine Kraftzwerg BMW 700. Konzipiert vom Wiener BMW-Händler Wolfgang Denzel und eingekleidet vom italienischen Stardesigner Michelotti.

Nur ein Wunder schien die finanziell maladen Bayerischen Motoren Werke 1959 noch vor der Vereinnahmung durch Daimler-Benz und damit dem Untergang zu retten. Es kursierten bereits Medienberichte, wonach Daimler-Großaktionär Flick den DKW Junior auf Münchner BMW-Fließbändern bauen wollte - da lancierte BMW im letzten Augenblick den begehrenswerten Typ 700 in damals topaktueller Trapezform. Ein flinker Kleinwagen, der als Coupé, Cabriolet und familientaugliche Limousine zum Traumwagen all derjenigen avancierte, denen Kabinenroller wie die BMW Isetta zu winzig geworden waren und konventionelle Volumenmodelle von Volkswagen, DKW oder Ford zu bieder oder unsportlich schienen. Angetrieben von einem anfangs nur 22 kW/30 PS leistenden Zweizylinder-Boxermotor brachte der BMW 700 das Geschäft der Bayern so in Schwung, dass die BMW-Bilanz bereits 1960 wieder schwarze Zahlen auswies. Vor allem hatte nun Großaktionär Herbert Quandt einen erheblichen Teil des BMW-Kapitals übernommen und mit den Gewinnen aus dem neuen Bestseller-Typ 700 die Weichen für den Start der legendären ,,Neuen Klasse" gestellt, der BMW-Baureihe 1500 bis 2000. Erst als diese dynamische Mittelklasse das Image-Bild von BMW prägte, verabschiedeten sich die auch im Rennsport erfolgreichen BMW 700 im Jahr 1965 in den dann wahrlich wohl verdienten Ruhestand: Mit knapp 190.000 verkauften Einheiten hatten es die kleinen Heckmotor-Modelle zum bis dahin meistgebauten BMW aller Zeiten gebracht.

Eine derart stolze Erfolgsbilanz hatte dem BMW 700 anfangs niemand zugetraut, weder der skeptische Freistaat Bayern, der BMW mit Bürgschaften unterstützte, noch die Fachwelt oder die BMW-Chefetage. Dort war man froh, dass sich mit dem 700 überhaupt irgendein Fluchtweg aus dem Dilemma öffnete, in das die Produktion so gegensätzlicher Autos wie Isetta und V8-Luxuskarossen geführt hatte.

Wie hatte es zu dieser Misere kommen können? Mit Siegen im Motorradsport, boomenden Verkaufszahlen der Bikes und glamourösen V8-Modellen feierte BMW in den frühen Nachkriegsjahren die Rückkehr in den Kreis der begehrenswerten Marken. Doch schon Mitte der 1950er Jahre schrumpfte die Motorradproduktion in ebenso rasantem Tempo wie die Zulassungszahlen automobiler Kleinstwagen als komfortableres Transportmittel zulegten. BMW reagierte mit der winzigen Isetta, einer eiförmigen Knutschkugel, die durch die Fronttür zu besteigen war. Allerdings verlangten die Käufer bald ,,richtige" Automobile mit mehr Komfort und der kuriose Fronteinstieg wurde nicht länger akzeptiert. BMW erlebte dies beim 1957 eingeführten Modell 600, einer verlängerten Isetta, aber kräftigem Zweizylinder-Boxermotor im Heck. Nur Hardcore-Fans der Marke kauften diesen viersitzigen Fronttür-Typ. Noch schlimmer für die Bayern war, dass die teuren V8-Typen Verluste einfuhren. Die BMW-Bilanz wies über sechs Millionen Mark Defizit aus und das Management hatte den Glauben an die eigene Marke verloren.

Doch dann ereignete sich eine unerwartete Rettungsaktion, der es nicht an Dramatik mangelte. Die Hauptakteure dabei waren der Wiener BMW-Händler Wolfgang Denzel, der italienische Stardesigner Giovanni Michelotti und BMW-Vorstand Heinrich Richter-Brohm, den Denzel aus gemeinsamer Zeit beim österreichischen Stahlkonzern Voest kannte. Denzel und Richter-Brohm konferierten und kamen überein, dass nur ein neuer Kompaktwagen BMW rasch in die Gewinnzone führen konnte. Die Münchner versuchten zuerst das Fronttür-Modell BMW 600 zum klassisch designten Zweitürer zu transformieren, dabei ergaben sich jedoch Probleme, die zur Einstellung des Projekts führten. Derweil konstruierte der in Österreich bereits renommierte Sportwagenbauer Denzel einen sportiven Heckmotor-Kleinwagen mit technischen Komponenten des BMW 600, ließ durch Michelotti eine elegante Trapezform entwerfen und präsentierte sein Projekt im Frühjahr 1958 dem BMW-Vorstand. Denzels Konzept überzeugte. So karossierte Vignale in Turin Prototypen, die Denzel anschließend bei BMW vorstellte.

Nun ging alles rekordverdächtig schnell, vielleicht weil der BMW-Vorstand ahnte, dass dieses Fahrzeug der letzte Rettungsanker war. Jedenfalls fällte BMW die Entscheidung, den 700 im Alleingang serienreif zu machen und zwar als Coupé und als Limousine unter der Designverantwortung des Hauscouturiers Wilhelm Hofmeister. Im Sommer 1959 war es soweit: Der 700 debütierte als erster BMW mit selbsttragender Karosserie und zeigte sich elegant wie ein italienscher Maßanzug, sportlich genug für Motorsporterfolge, erschwinglich für junge Familien und ähnlich zuverlässig wie das Wolfsburger Boxermodell mit luftgekühltem Heckmotor, aber deutlich leistungsfähiger, weil kaum 600 Kilogramm wiegend. Schon die 22 kW/30 PS leistende BMW 700 Limousine war 120 km/h schnell und damit fast so flott wie manches Mittelklassemodell. Und als Coupé ließ der 3,54 Meter kurze BMW für viele Kunden den Wunschtraum vom billigen Sportwagen Wirklichkeit werden, der kostspielige Konkurrenten deklassierte. Zumal ab 1961 auch ein 29 kW/40 PS starker Zweizylinder-Boxer verfügbar war, der in Vergleichstests der Fachpresse weit kräftigere Vierzylinder wie Austin Sprite, Ford Capri 315, Skoda Felicia S oder Renault Floride S auf die Plätze verwies.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der erste BMW mit österreichischen Wurzeln seine Mission als Marken-Retter schon fast erfüllt. Unmittelbar nach seiner umjubelten Weltpremiere auf der Frankfurter IAA 1959 trafen bei BMW 25.000 Vorbestellungen ein und lieferten auf der folgenden Jahreshauptversammlung das entscheidende Argument, die Übernahme von BMW durch Daimler-Benz abzulehnen. Der Erfolg der 700-Familie - zu Limousine und Coupé gesellte sich wenig später auch noch ein exklusives Cabriolet - stabilisierte die Ertragslage bei BMW nachhaltig und mit Hilfe der Bayerischen Landesbank für Wiederaufbau konnte die Entwicklung der sportiven Mittelklasse-Typen BMW 1500 bis 2000 der ,,Neuen Klasse" Fahrt aufnehmen. Und der BMW 700 diente dafür als technischer Versuchsträger.

Damit nicht genug. Auch im Motorsport verdiente sich der BMW 700 Meriten. Rennfahrer-Legende Hans Stuck errang noch im Alter von 60 Jahren mit einem 700 Coupé den Titel des deutschen Bergmeisters und BMW hatte die bis zu 200 km/h schnellen Rennwagen 700 GT und 700 RS mit Monocoque und Aluminiumkarosserie fit gemacht für den Gewinn des Championats ,,Deutscher Rundstreckenmeister 1961". Derweil etablierte sich der laut brüllende Großserientyp 700 Sport unter dem Spitznamen ,,Der kleine Zornige" als Herausforderer von Kraftzwergen wie Abarth-Fiat und Mini Cooper. Letztlich aber waren es vor allem die 700 Limousinen, ab 1962 mit um 32 Zentimeter gestreckter Karosserie und Typenbezeichnung LS, die zum großen Verkaufserfolg beschleunigten. Im Jahr 1965 war dann Schluss für den BMW 700, aber die Idee des Käfer-Herausforderers lebt heute in der kompakten BMW 1er Serie fort, die sich nun mit schnellen VW Golf duelliert.



Chronik BMW 700:
1950: Erster Prototyp für einen BMW Kleinwagen mit 0,6-Liter-Boxermotor, der aber aus wirtschaftlichen Erwägungen verworfen wird
1954: Iso vergibt Lizenzen für das Modell Isetta an BMW, wo das Kleinstfahrzeug als BMW Isetta, aber mit vier statt drei Rädern, für die Produktion vorbereitet wird
1955: Am 5. März Vorstellung des Motocoupés BMW Isetta 250, dessen Fertigung im April startet. Die Außenlänge beträgt nur 2,29 Meter, der Radstand 1,50 Meter, das Leergewicht 350 Kilogramm. Mit nur 250 Kubikzentimetern Hubraum zielt die Isetta auch auf die Inhaber des alten Führerscheins der Klasse IV
1957: Der viersitzige Kleinwagen BMW 600 mit Fronttür wie die Isettta wird im Dezember in Serienfertigung geschickt und dies mit einem Motorradmotor (aus der BMW R 50). Die winzige Isetta erwirtschaftet gut die Hälfte des BMW-Gesamtumsatzes und ist ein kommerzieller Erfolg. Dagegen kann mit den Oberklasse-Modellen 501, 502, 503 und 507 kein Geld verdient werden. Heinrich Richter-Brohm wird im März neuer Vorstandsvorsitzender bei BMW und bekommt Kontakt mit den ihm aus seiner vorherigen Tätigkeit bei Voest/Österreich bekannten Wiener BMW-Händler, Rennfahrer und Sportwagenbauer Wolfgang Denzel. Denzel und Richter-Brohm sind sich einig, dass ein neuer BMW Kleinwagen im modernen Design wichtig für die Zukunft des Unternehmens ist. Beide verfolgen die Idee weiter
1958: Aus wirtschaftlichen Gründen versucht die BMW-Entwicklungsabteilung aus dem BMW 600 einen konventionell geformten Kleinwagen zu machen, so wird der Radstand um 1,90 Meter verlängert und die Vordersitze nach hinten verschoben, damit Platz für konventionelle Vordertüren entsteht. Nachteile sind jedoch weniger Platz auf der Fondsitzbank und das höhere Fahrzeuggewicht in Relation zum unveränderten Zweizylinder-Motor. Deshalb wird dieser Weg nicht weiter verfolgt. Der Österreicher Wolfgang Denzel entwirft einen BMW-Heckmotor-Kleinwagen, lässt beim italienischen Designer Michelotti eine Karosserie entwerfen und stellt seine Pläne anschließend im März bei BMW vor. BMW gibt die Freigabe und Denzel lässt in Turin bei Vignale die Michelotti-Entwürfe als Prototyp bauen, die im Juli in Starnberg dem BMW-Vorstand gezeigt werden. Im Oktober fällt BMW die Entscheidung, die Prototypen in Alleinregie zur Serienreife zu bringen und zwar als Coupé und als Limousine, die im Design unter Wilhelm Hofmeister finalisiert werden
1959: BMW befindet sich in wirtschaftlicher ernster Situation und soll von der Daimler-Benz AG übernommen werden. BMW-Mitarbeiter und Kleinaktionäre sprechen sich bei der Hauptversammlung im Dezember dagegen aus, zeigen Bilanzfehler auf und verweisen auf die Vorbestellungen von bereits 25.000 BMW 700. Herbert Quandt wird Großaktionär bei BMW. Der BMW-Vorstandsvorsitzende Heinrich Richter-Brohm tritt zurück. Nach knapp zwei Jahren Bauzeit und gut 34.000 Einheiten endet im November die Produktion des BMW 600. Nachfolger wird der größere BMW 700 in Pontonform und Trapezlinien, der sein Pressedebüt am 9. Juni als Coupé in Feldafing nahe München vor rund 100 internationalen Journalisten feiert. Die Publikumspremiere erfolgt im September als Coupé und Limousine auf der Frankfurter IAA. Der Produktionsanlauf für das 5.300 Mark kostende 700 Coupé erfolgte schon im August. Noch vor Jahresende startet die Motorsportkarriere des BMW 700 Coupé, etwa bei der Rallye Safari-Lappland
1960: Anfang des Jahres Serienstart für die BMW 700 Limousine, die ab 4.760 Mark kostet. Damit ist sie knapp 600 Mark billiger als das Coupé und verfügt über einen geräumigeren Karosserieaufbau mit Platz für vier Erwachsene. Die Rückbank ist in beiden Versionen des 700 umlegbar, damit großes Gepäck wie eine Campingausrüstung Platz findet. Erklärter direkter Konkurrent des BMW 700 ist der VW Käfer. Der neue Großaktionär Herbert Quandt entwirft einen Sanierungsplan für BMW. Dort hat der Erfolg des BMW 700 die Ertragslage stabilisiert und mit Hilfe der Bayerischen Landesbank für Wiederaufbau kann die Entwicklung der Mittelklasse-Modelle der ,,Neuen Klasse" beginnen. BMW kommuniziert 1961 die erste positive Bilanz der Nachkriegszeit für das vorhergehende Jahr 1960. Wesentlich zu verdanken ist das dem BMW 700 (58 Prozent des Gesamtumsatzes entfielen auf ihn), denn von den BMW-Luxuslimousinen konnten nur 798 Einheiten verkauft werden (zum Vergleich: Mercedes verkaufte über 50.000 Einheiten der S-Klasse). Rennfahrer Hans Stuck gewinnt auf BMW 700 den Titel des deutschen Bergmeisters. Für den Werkseinsatz baute BMW das Rennsportmodell 700 GT
1961: Ab Februar wird der BMW 700 Luxus mit hochwertigerer Ausstattung lieferbar. Im Sommer Vorstellung des BMW 700 Sport auf dem Nürburgring mit Zweivergaseranlage, Sportgetriebe und nun 40 PS statt 30 PS zum Aufpreis von nur 550 Mark. Außerdem wird ein beim Karossier Baur produziertes BMW 700 Cabriolet mit dem Motor des 700 Sport eingeführt. Für den Werkseinsatz konstruiert ist der BMW 700 RS mit Gitterrohrrahmen und Alukarosserie sowie 70 PS starkem Königswellenmotor, der im Juni beim Roßfeld-Bergrennen debütiert. Mit dem je nach Übersetzung 150 bis 200 km/h schnellen BMW 700 RS gewinnt Werner Schneider den Titel des Deutschen Rundstreckenmeisters. Der BMW 700 dient als Versuchsträger für den BMW 1500 der neuen Klasse, wird als Prototyp mit dessen Motor und technischen Komponenten ausgestattet und als bis zu 170 km/h schnelles Testauto genutzt   
1962: Im Frühjahr erhält die 700-Limousine bei verlängertem Radstand eine um 32 Zentimeter längere Karosserie und die Typenbezeichnungen BMW LS und BMW LS Luxus
1964: Im Herbst mutiert das Coupé mit längerem Radstand und Außenabmessungen zum BMW LS Coupé; produziert wird diese Karosserievariante bei Baur in Stuttgart
1965: Zu den Werksferien Produktionsauslauf für den BMW 700 nach fast 190.000 Einheiten. Montagebetriebe für den BMW 700 befanden sich in Argentinien, Belgien, Italien und in Israel

Produktionszahlen BMW 700:
Insgesamt 188.121 Einheiten, davon
BMW 700 Limousine: 61.141 Einheiten
BMW LS Limousine/LS Coupé: 92.416 Einheiten
BMW 700 Sport: 11.139 Einheiten
BMW 700 Cabriolet: 2.597 Einheiten.
Zum Vergleich. BMW 600: 34.813 Einheiten (1957-1959)

Wichtige Motorisierungen:
BMW 700 Limousine/700 Coupé mit 0,7-Liter-Zweizylinder-Boxer-Benziner (22 kW/30 PS bzw. 24 kW/32 PS);
BMW 700 Sport Coupé/Cabriolet mit 0,7-Liter-Zweizylinder-Boxer-Benziner (29 kW/40 PS);
BMW LS Limousine/LS Coupé mit 0,7-Liter-Zweizylinder-Boxer-Benziner (24 kW/32 PS).

Ausgewählte Preise:
BMW 700 Limousine (1959): ab 4.760 Mark
BMW 700 Coupé (1959): ab 5.300 Mark
BMW 700 Luxus Limousine (1961): ab 4.995 Mark
BMW 700 Sport Coupé (1961): ab 5.850 Mark
BMW 700 Sport Cabriolet (1961): ab 6.950 Mark
BMW LS (1962): ab 5.320 Mark
BMW LS Coupé (1964): ab 5.850 Mark

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