Motorrad

Motorradmesse EICMA - Zwischen Eskalation und Vernunft

  • In MOTORRAD
  • 6. November 2019, 11:44 Uhr
  • Ulf Böhringer/SP-X

Die stärksten Nakedbikes erreichen mittlerweile 200 PS und mehr, doch es gibt auch 2020 noch gemäßigt motorisierte, mit überschaubarer Technik ausgestattete Motorräder - wie die aktuelle Motorradmesse EICMA zeigt.

Auch immer anspruchsvollere Umweltauflagen haben dem Motorrad-Absatz bislang nicht geschadet. Vielmehr finden die Hersteller immer neue Wege, Motoren (noch) stärker zu machen und den Fahrspaß dank verbesserter Fahrwerke weiter zu steigern. Das zeigt sich auch auf der derzeit stattfindenden 77. Internationalen Fahrrad- und Motorradausstellung EICMA (7. - 10. November) in Mailand. Trotz der am Jahreswechsel für Neumodelle in Kraft tretenden EU5-Norm steigen die Literleistungen einiger Triebwerke weiter.

Der Rundgang durch die acht von der EICMA belegten Messehallen zeigt vor allem, dass Motorräder zunehmend ,,elektronischer" werden. Immer mehr Modelle weisen außer dem gesetzlich vorgeschriebenen ABS eine wachsende Zahl an Fahrassistenzsystemen auf. In der Oberklasse, teils aber auch bereits in der Mittelklasse, kommt dabei eine Sechsachsen-Sensorbox zum Einsatz, die sämtliche Fahrzustände erfasst und bei Bedarf die nötigen elektronischen Regelungen zur Gewährleistung der Fahrstabilität einleitet. Zugleich wachsen oftmals die Leistungen. So sind in Mailand dieses Jahr einige ultrastarke Motorräder erstmals zu sehen: Der 1100 Kubikzentimeter große V4-Motor der unverkleideten Ducati Streetfighter V4 leistet bei 201 Kilogramm Gewicht 153 kW/208 PS, der Einliter-Kompressormotor der ebenfalls unverkleideten Kawasaki Z H2 bringt es auf 154 kW/200 PS.

Noch stärker ist das exakt 1.000 Kubikzentimeter große Vierzylinder-Reihentriebwerk in der neuen Honda CBR1000RR-R Fireblade: Das japanische Superbike leistet 159,5 kW/217 PS, das Fahrzeuggewicht beträgt fahrfertig 202 Kilogramm. Kaum weniger leistet der Motor der für 2020 überarbeiteten Ducati Panigale V4S mit 157 kW/214 PS. Alle genannten Modelle sind für den öffentlichen Straßenverkehr zugelassen und entsprechen natürlich der neuen Euro5-Norm. Zu den besonders potenten Motorrädern zählt auch das ,,Muscle-Bike" Triumph Rocket 3, dessen 2,5 Liter-Dreizylindermotor weniger wegen der Spitzenleistung von 123 kW/167 PS auffällt, sondern wegen seines Drehmoment-Spitzenwerts von 221 Newtonmetern. Angesichts dieser Leistungseskalation kommt das bisherige Spitzenmodell dieses Segments, die KTM 1290 Super Duke R, gehörig unter Druck. KTM scheint das geahnt zu haben und hat dieses Modell überarbeitet und auf 132 kW/180 PS gebracht.

Jenseits dieser technologischen Leuchttürme der auch rennsportlich engagierten Motorradhersteller gibt es aber zahllose Modelle, bei denen weder ein besonders niedriges Fahrzeuggewicht noch eine besonders hohe Motorleistung im Vordergrund stehen. Eine schicke sportliche Neuheit stellt beispielsweise die Aprilia RS 660 dar; ihr Zweizylinder-Reihenmotor leistet 74 kW/100 PS. Elektronisch ist dieses Modell voll auf der Höhe: Aprilia installiert sein gesamtes APRC-Programm inklusive Sechsachsen-Sensor, das aus dem Superbike RSV4 bekannt ist. Im Leistungsbereich der Aprilia RS 660 liegen auch zwei neue BMW-Mittelklassemodelle mit gemäßigt sportlichem Anspruch, der Roadster F 900 R und das Sports-Adventure-Bike F 900 XR.

Nach wie vor stark ausgeprägt ist aber auch ein Gegentrend zur immer stärker werdenden Elektronisierung in Form zurückhaltend motorisierter Retrobikes. Dazu ist die neue, dritte Variante der Kawasaki W800 zu zählen, deren Zweizylinder-Reihenmotor zum Zwecke des Ventiltriebs mit einer Königswelle ausgerüstet ist.  Zu den dezent motorisierten Bikes, die meist maximal 35 kW/48 PS leisten und damit mit dem Führerschein A2 gefahren werden dürfen, zählt auch die überarbeitete Honda CMX500 Rebel: Sie erfährt zahlreiche Detailverbesserungen zum Zweck leichterer Fahrbarkeit und einfacherer Bedienung.

Auch einigen der in Deutschland derzeit besonders gefragten Modelle schenken die Hersteller besondere Aufmerksamkeit: So hat Kawasaki seine Erfolgsmodelle Z650 und Z900 einer Überarbeitung unterzogen; vor allem mehr Elektronik in Form von TFT-Farbdisplays inklusive Smartphone-Konnektivität steht hier im Mittelpunkt. Das gilt auch für den jetzt Ninja 1000 SX genannten Einliter-Sporttourer von Kawasaki.

KTM stellt seinem stark gefragten Mittelklasse-Nakedbike 790 Duke eine motorisch stärkere und fahrwerksmäßig deutlich verbesserte Zweitversion namens 890 Duke R zur Seite; die Motorleistung steigt von den 77 kW/105 PS auf 89 kW/121 PS. Suzuki modelt seine sehr erfolgreiche Reiseenduro V-Strom um und gleicht sie optisch an die einstige DR Big 800 an; sie war Ende der 1980er Jahre Vorreiter der ,,Schnabeltier-Mode" im Reiseenduro-Segment. Die Leistung des 1.037 Kubik großen V2-Motors beträgt jetzt 79 kW/107 PS, das fahrfertige Gewicht liegt bei 236 Kilogramm. Auch Yamaha widmet seinen Topsellern Aufmerksamkeit: So erhält die tourentaugliche, dennoch sportliche Tracer 700 eine neue Halbverkleidung mit LED-Scheinwerfern, dazu neue, einstellbare Federelemente vorne und hinten sowie einen verstellbaren Windschild. Ab 2020 bereichert KTM den Markt der kleinen Reiseenduros durch die neue 390 Adventure: Ihr Einzylindertriebwerk mobilisiert 32 kW/43 PS, das Gewicht des kleinen Abenteurers liegt bei erfreulichen 170 Kilogramm.

Seit Jahren schon wildert der Sport-Scooter Yamaha TMAX im Motorrad-Segment. Damit er das noch erfolgreicher tun kann, modifiziert Yamaha diesen seit 2001 bereits in 270.000 Exemplaren gebauten Roller: Der Zweizylindermotor des neuen TMAX 560 wird größer, stärker und sparsamer, zudem wird der Roller für Fahrer und Sozia bequemer. Seine sportlichen Fahreigenschaften sollen darunter aber nicht leiden.

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