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New Mobility: Autonomes Fahren - Von fünf auf dreieinhalb Stufen

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  • 13. November 2019, 15:44 Uhr
  • Holger Holzer/SP-X

Fünf Stufen führen zum Roboterauto. Zwei scheinen nicht ganz stabil zu sein.


SP-X/Köln. Die große Roboterauto-Euphorie ist abgeklungen. So überzogen die Hoffnungen und Erwartungen noch vor wenigen Monaten waren, so tief ist nun die Enttäuschung in Industrie und Öffentlichkeit. Doch die Technik ist längst nicht tot - sie muss sich nur neu justieren.

Fünf Stufen sollte die Treppe zum Roboterauto ursprünglich haben. So zumindest hat es die Definition nahegelegt, die die internationalen Ingenieurs-Organisation SAE im Jahr 2014 vorgelegt hat: Vom Level 0 bis zum vollautomatisierten Fahrzeug auf Level 5 hat das Papier die geplante Entwicklung der autonomen Fähigkeiten des Autos detailliert vorgezeichnet. Rund fünf Jahre später hat sich die Einteilung jedoch überholt: Mittlerweile wirken einigen Stufen brüchig, andere wurden dafür neu eingezogen.

Zweifelhaft erscheint aktuell vor allem, ob die letzte der definierten Stufen erreichbar ist. Ein Level-5-Auto müsste immer und überall ohne menschlichen Eingriff fahren, in China genauso wie in Schweden, bei Starkregen ebenso wie im Nebel, auf der Autobahn und auch in der überfüllten Innenstadt. Lenkrad und Pedalerie sind bei solch einem Fahrzeug weder nötig noch vorhanden, ein menschlicher Eingriff weder möglich noch vorgesehen.

Technisch wäre ein Level-5-Auto wohl durchaus denkbar. Doch die Kosten für die Entwicklung und vor allem die Absicherung gegen Fehlfunktionen wären so horrend hoch, dass sie sich durch die Vermarktung kaum wieder einspielen könnten. Wohl niemand würde für die theoretische Möglichkeit, sich von seinem Auto von Feuerland zum Nordkap chauffieren zu lassen, Hunderttausende Euro zahlen. Verschiedene Hersteller haben die fünfte Stufe daher bereits gestrichen oder in ferne Zukunft geschoben; zuletzt äußerte sich etwas VW-Nutzfahrzeugchef Thomas Sedran in dieser Hinsicht.

Was den 5. Level darüber hinaus wenig attraktiv erscheinen lässt, sind seine im Vergleich zu Level 4 kaum höheren Fähigkeiten. Auch Level-4-Fahrzeuge fahren ohne menschlichen Eingriff, wenn auch nur unter klar definierten Rahmenbedingungen, etwa in exakt kartographierten Innenstädten oder nur bei einigermaßen gutem Wetter. Diese geographischen und meteorologischen Grenzen sind in der Praxis oft jedoch gar kein Problem: Ein Robotaxi oder ein Flughafen-Shuttle-Bus beispielsweise muss eben nicht überall auf der Welt fahren können, sondern nur in seiner speziellen Nische. Und in Kalifornien oder Teilen Chinas regnet es so selten, dass das Roboterauto am Straßenrand relativ problemlos ein paar Minuten auf besseres Wetter warten kann.

Die Technik für Level-4-Autos ist also nicht nur weniger komplex als bei Level 5, sondern sie lässt sich auch leichter in der Praxis einsetzen und vermarkten. Bereits heute sind konkrete Geschäftsmodelle erkennbar, so dass sich die aufwendige technische Entwicklung im Zweifel lohnt. Neben US-Unternehmen wie Waymo, Uber und Nutonomy oder Chinesen wie Baidu setzt auch VW mit dem Ridepooling-Dienst MOIA auf Level-4-Autonomie in Form von Mobilitätsdienstleistungen im Nahverkehr. VWs Autonomie-Chef Alexander Hitzinger zeigte sich zuletzt optimistisch, dass entsprechende Services bereits zur Mitte des kommenden Jahrzehnts in großem Stil angeboten werden. Dass das dann sofort auch in Europa oder gar Deutschland der Fall ist, ist allerdings eher unwahrscheinlich. Metropolen in China und den USA dürften die Führungsrolle bei der Kommerzialisierung übernehmen.

Für den Privatkunden ist Level-4-Technik aber auch dann zunächst noch zu teuer. Gut 100.000 Euro und mehr kostet aktuell allein die Sensortechnik für Umfeld-Überwachung und Orientierung. Allerdings dürften die Kosten schnell sinken, wenn die Produktion durch einen Robotertaxi-Boom Fahrt aufnimmt. Ob das reicht, die Selbstfahr-Technik zumindest im Luxussegment an die Kundschaft zu bringen, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlicher ist, dass die Autonomie von unten ins Auto kommt - aus der Richtung von Level 1 und 2.

Heute erreicht fast jeder Neuwagen zumindest mit Optionsausstattung Level 1, ein Gutteil fährt sogar auf Level 2. Für die erste Stufe reicht es schon, einen Spurhalteassistenten oder ein Notbremssystem an Bord zu haben, die im Ernstfall ohne menschlichen Befehl in Bremse oder Lenkung eingreifen. Kann das System sogar beides gleichzeitig, ist bereits Level 2 erreicht. Der Fall ist das etwa bei den sogenannten Autobahn-Assistenten, die auf der wenig komplexen Schnellstraße automatisch der Spur folgen und dabei den Abstand zum Vorausfahrenden konstant halten. Allerdings darf sich der Mensch hinter dem Steuer derweil nicht zurücklehnen - er muss jederzeit eingriffsbereit sein und darf das Lenkrad höchstens für ein paar Sekunden aus der Hand lassen. Zeit und Muße für andere Beschäftigungen hat er nicht. Vom ,,echten" automatisierten Fahren kann man erst eine Stufe weitersprechen, wenn die Hauptverantwortung vom Menschen auf den Computer übergeht.

Erst ab Level 3, auch ,,hochautomatisiertes Fahren genannt", ist keine permanente Überwachung der Fahrfunktionen mehr nötig. Der Mensch hinterm Steuer darf sich ablenken lassen, lesen, Filme schauen oder sich angeregt mit den Mitinsassen unterhalten. Das Auto übernimmt auf dieser Stufe längerfristig das Kommando und steigt nur in schwierigen oder unübersichtlichen Situationen aus. In solchen Fällen muss der Fahrer das Steuer innerhalb kürzester Zeit wieder übernehmen können. Auf deutschen Straßen ist solch eine Technik aktuell jedoch noch nicht erlaubt. So könnten Autos wie die Oberklasselimousine Audi A8 theoretisch bereits auf Level 3 fahren, dürfen es praktisch aber nicht. Wann sich das ändert, ist noch weitgehend unklar. Internationale technische Vorschriften sollen frühestens im kommenden Jahr vorgelegt werden, dann müssen sie noch in nationales Recht übersetzt werden.

Aktuell scheint es wahrscheinlicher, dass Level-3-Autos, wenn überhaupt, dann nicht so bald kommen werden. Auch, weil einige technische Probleme - vor allem was die Leistungsfähigkeit in schwieriger Umgebung angeht - wohl noch nicht befriedigend gelöst sind. Und auch, weil noch weitgehend unklar ist, wie eine sichere Übergabe der Steuergewalt zwischen Computer und Mensch ablaufen könnte. Viele Hersteller verzichten daher aktuell auf den Schritt zu Level 3. Stattdessen ziehen sie eine Zwischenstufe ein - das ursprünglich von der SAE nicht vorgesehene Level 2+.

Der Begriff ist vor rund einem Jahr aufgekommen und bezeichnet eine optimierte Version der Level-2-Technik. Die nämlich funktioniert zwar grundsätzlich, stößt in der Alltagspraxis aber gelegentlich an Grenzen. Etwa, wenn die Kameras die Fahrbahnbegrenzung nicht erkennen oder das Anfahren des Vordermanns nicht schnell genug registrieren. Lösbar wären die Zuverlässigkeitsprobleme beispielsweise mit mehr Rechenleistung, hochauflösenden Umgebungskarten, Cloud-Diensten und schlaueren Algorithmen. Autohersteller wie Volvo und Porsche haben bereits Verbesserungen ihrer Level-2-Technik angekündigt, Termine und Pläne zu konkreten Ausführungen sind aber noch nicht bekannt. 

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