Bugatti

Auf einem Briefumschlag in die Autogeschichte

Der Legende nach skizzieren unkonventionelle Geister ihre neuen Ideen oftmals auf ungewöhnlichem Material. So soll vor ein paar Jahren eine Steuerreform auf einem Bierdeckel das Licht der Welt erblickt haben, und so manche Tischdecke in Nobelrestaurants war angeblich Grundlage für Brückenkonstruktionen oder Stadtpläne - so wird zumindest erzählt. Was allerdings 1997 auf einer Zugfahrt im ,,Shinkansen" Express zwischen Tokio und Nagoya in Japan auf einem Briefumschlag entstand, ist kein Märchen, sondern mit dem entsprechenden Dokument belegt: die Entwicklung eines 18-Zylinder-Motors für den späteren Bugatti Veyron 16.4.

Im Zug saßen damals der einstige Leiter der Volkswagen-Motorenentwicklung Karl-Heinz Neumann, ihm gegenüber Ferdinand Piech, zu jener Zeit VW-Vorstandschef und von 2002 bis 2015 Aufsichtsratsvorsitzender in Wolfsburg. Mit einem größeren Aufgebot an Zylindern in Rennwagenmotoren hatte sich Piech schon als junger Ingenieur bei Porsche auseinandergesetzt.

In den 1960er-Jahren war er maßgeblich an der Entwicklung des legendären Porsche 917 beteiligt und hatte Anfang der 1970er-Jahre sogar einen 16-Zylinder-Motor für den Porsche 917 PA konstruiert, der nach Tests im Porsche-Entwicklungszentrum in Weissach allerdings nie in einem Rennen eingesetzt wurde. Mit einem V12-Motor gewann der 917 vor fast 50 Jahren erstmals für Porsche das 24-Stunden-Rennen in Les Mans - mit einer Spitzengeschwindigkeit von 406 km/h.

Jetzt hatten Piech und Neumann ein Aggregat vor Augen, das alles bis dahin Existierende im Sportwagenbau übertreffen würde. Aus drei VR Sechs-Zylinderbänken, die jeweils in einem Winkel von 60 Grad angeordnet waren, zusammen 6,25 Liter Hubraum umfassten und 555 PS leisten sollten, war das Triebwerk als Saugmotor gedacht und mit großer Laufruhe ein idealer Antrieb für souveräne Sportwagen oder Luxuslimousinen. Doch es kam Jahre später ganz anders.

Was zunächst noch fehlte, war die passende Marke für den Antrieb. Bereits einige Monate vor seiner Idee war Piëch auf der Suche nach einer exklusiven Bezeichnung mit ruhmreicher Geschichte und hatte dabei an Rolls-Royce gedacht. Doch nachdem ihm BMW den berühmten Hersteller von Luxuslimousinen der High Society vor der Nase weggeschnappt hatte, beauftragte er Jens Neumann, den damaligen Konzernvorstand für die Bereiche Strategie, Treasury, Recht und Organisation, die Rechte der französischen Marke Bugatti zu prüfen und bestenfalls zu erwerben.

Der Rest ist Geschichte. 1998 sicherte sich VW die Markenrechte an Bugatti, die seit 1987 in der Hand des italienischen Automobilimporteurs Romano Artioli lagen. Piëchs Plan: Die Marke wieder zu jener Blüte zu bringen, in der sie zur Hochzeit der 1920er und 1930er Jahre gestanden hatte - an der automobilen Weltspitze. Aus der Idee des auf dem Briefumschlag entwickelten Antriebs und der passenden Marke ließ er nun ein maßgeschneidertes Fahrzeug entwickeln.

Zunächst entstand der Bugatti EB 118 - eine Studie mit 18 Zylindern und vier Türen. Das Luxus-Coupé mit dem eigens konzipierten 6,25-Liter-Frontmotor erschien erstmals im Oktober 1998 auf dem Pariser Autosalon. Schon wenig später, im Frühjahr 1999, folgte mit dem Bugatti EB 218 eine zweite Studie mit 18 Zylindern. Erstmals zu sehen auf dem Genfer Automobilsalon.
Auf der Tokio Motor Show 1999 präsentiert Bugatti einen weiteren Designentwurf, den EB 18/4, der jetzt den zusätzlichen Namen Veyron bekam und beim Fachpublikum und möglichn Interessenten sehr gut ankam.

Vorerst blieb es technisch bei der im Namen festgelegten Zylinderzahl 18, das künftige Design in seinen Grundelementen war ebenfalls beschlossen. Piëchs Prämisse war klar: ein Bugatti muss überall und sofort von jedem als solcher erkennbar sein. Damit orientierte er sich an Ettore Bugattis Credo: ,,Wenn es vergleichbar ist, ist es kein Bugatti". Auf dem Genfer Automobilsalon 2000 verkündete Piëch, dass Bugatti ein Automobil mit einer Leistung von 1001 PS bauen würde, das Geschwindigkeiten von über 400 km/h und eine Beschleunigung in weniger als drei Sekunden von Null auf 100 auf der Straße erreichen könne.

Als im September 2000 der erste seriennahe Bugatti EB 16-4 Veyron in Paris vorgestellt wurde, änderten sich die Zahlen, nicht jedoch die Nomenklatur. Die Ziffern gaben weiterhin Auskunft über die Design-Studien und benannten die Anzahl der Zylinder. Statt eines 18-Zylinders erdachten die Ingenieure einen 16-Zylinder-Motor. Zwei V8-Motoren waren in einem Winkel von 90 Grad ineinander verzahnt und die Zylinderbänke jeder V8-Einheit durch einen Winkel von 15 Grad getrennt. Durch diese Anordnung entstand eine platzsparende Konfiguration. Dazu erlaubte der Antrieb einen Hubraum von mehr als sieben Litern und den Einsatz von Turboladern. 2001 gab Bugatti bekannt, dass der Veyron in einer limitierten Stückzahl in Serie gehen würde - mit einem 8,0-Liter-16-Zylindermotor, 1001 PS und 1250 Newtonmeter Drehmoment.

,,Der Veyron hat Bugatti in eine nie da gewesene neue Dimension katapultiert", glaubt Stephan Winkelmann, Präsident Bugatti Automobiles S.A.S . ,,Mit dem Hypersportwagen gelang die Wiederauferstehung der Marke im Geiste von Ettore Bugatti." Und dabei begann die Idee für den Veyron mit einer simplen Zeichnung auf einem Briefumschlag. (ampnet/hrr)

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