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New Mobility: Eine Batterie, zwei Größen - So schützt das Netto das Brutto

  • In NEW MOBILITY
  • 17. Juni 2020, 13:12 Uhr
  • Mario Hommen/SP-X

Die Qualität von Elektroautos definiert sich für viele vor allem durch die Kapazität der Batterie. Je mehr kWh diese bietet, desto besser. Doch als Vergleichsgröße kann dieser Wert hinken.

Wer sich als Laie für Elektroautos interessiert, wird schnell herausfinden, dass der wichtigste Wert für Modellvergleiche die Batteriekapazität ist. Diese wird in der Regel in Kilowattstunden (kWh) angegeben, was wiederum besagt, wie viel Energie ein Akku aufnehmen kann. Allerdings liegt in vielen Fällen die praktisch nutzbare Speicherkapazität deutlich unter diesem Wert. Grund dieser Diskrepanz sind die in der Regel kommunizierten Bruttokapazitäten der Batterie, die allerdings nur ungefähr Auskunft über das praktisch nutzbare Potenzial des Akkus geben. Das klingt ein wenig nach Mogelpackung, ist aber gängige und vor allem aus Kundensicht notwendige Praxis. Wenngleich es hier auch Unterschiede gibt, unter anderem auch in Hinblick auf die Transparenz und damit die Vergleichbarkeit für Kunden.

Grundsätzlich gibt es für jede Batterie eine in Kilowattstunden angegebene Bruttokapazität, welche auf einer tatsächlich vorhandenen, physischen Speicherkapazität fußt. Es handelt sich um einen Maximalwert, der allerdings über die in der Praxis verfügbare Kapazität der Batterie liegt. Unter anderem deswegen kann man auch nicht einfach den Wert einer offiziell vom Hersteller angegebenen Batteriekapazität durch den offiziellen Verbrauch teilen, um so die Reichweite zu ermitteln. Die Nettokapazität, also das praktisch nutzbare Potenzial eines Akkus, kann deutlich niedriger ausfallen, denn für Traktionsbatterien werden Reserven angelegt.

Um zu verstehen, warum es zwei Werte gibt, ist ein kleiner Einblick in den Aufbau der Batterie hilfreich. Typische Traktionsbatterien für E-Autos bestehen aus vielen kleinen elektrochemischen Zellen. Zumeist handelt es sich um Lithium-Ionen-Akkus, bei denen die Zellenhersteller einen Spannungsbereich festlegen, in dem die Zelle betrieben werden darf. In der Regel liegt dieser Bereich zwischen 3,0 bis 4,2 Volt. Der untere Wert legt den Punkt fest, an dem die Batterie leer ist, der obere definiert die volle Batterie. Dieser Spannungsbereich wird als technischer SoC (= State of Charge) bezeichnet. Das Laden bis auf 4,2 Volt entspricht dem Brutto-Energiegehalt beziehungsweise dem technischen SoC von 100 %. Bei 3 Volt ist der SoC auf 0 % angelangt. Zusätzlich zu diesem technischen SoC definiert der Hersteller eines Elektrofahrzeugs noch einen nutzbaren SoC, den allerdings nach oben wie unten Puffer einschränken, die dem schnellen Altern der Zellen entgegenwirken. ,,Sehr hohe Ladezustände wie auch sehr niedrige führen zu Alterungsmechanismen auf chemischer Seite, die wir natürlich einschränken wollen", begründet Frank Kindermann, Technischer Projektleiter Hochvolt-Batteriezellen bei Audi, diese Einschränkung.

Die Puffergröße hat sogar entscheidende Auswirkung auf die Lebensdauer der Batterie. Je größer der Puffer, desto länger hält die Batterie. In vielen Fällen wird dem Puffer gut 10 Prozent der Bruttokapazität geopfert und dieser jeweils hälftig auf den unteren wie oberen technischen SoC verteilt. Zieht man den Puffer ab, bleibt der nutzbare SoC und damit ein Netto-Energiegehalt übrig, der dann meist bei rund 90 % vom Bruttowerts liegt. Kennt man den relativen Anteil dieser Puffergröße, lässt sich auch ein Nettowert der Batterie definieren, also die Menge an Kilowattstunden, die tatsächlich nutzbar ist.

Die Größe des Puffers kann zwischen den Autoherstellern und auch zwischen Batteriegrößen variieren. In manchen Fällen sind die per Software definierten Puffer sogar variabel und im Alltagseinsatz besonders großzügig ausgelegt, was grundsätzlich der Lebensdauer der Batterie zuträglich ist. Bewegt sich bei einer Batterie der nutzbare Bereich zwischen 30 und 80 %, steigt ihre Lebensdauer deutlich. In einigen Fällen wird für den Alltagseinsatz nur bis zu diesem Bereich eine Akkunutzung ermöglicht, was über einen längeren Zeitraum also den Alterungsprozess der Batterie verlangsamt. Wird allerdings mehr Reichweite benötigt, lassen sich die SoC-Bereiche anheben, was dann im Bedarfsfall ein Reichweitenplus beschert.

Audi beispielsweise arbeitet mit einer statischen Verfügbarkeit der Batteriekapazität. Im Fall des Elektro-SUV E-Tron in der Topversion 55 Quattro sind 91 Prozent des Akkus und damit 86 von 95 kWh auch tatsächlich nutzbar. Der Puffer von 9 Prozent wird jedoch in keinem Fall zur Nutzung, zum Beispiel als Notreserve, freigegeben. Audi will so die Langlebigkeit der Batterie gewährleisten, auf die der Hersteller acht Jahre und 160.000 Kilometer Garantie gibt. Nach Ablauf der Garantie will Audi damit einen nutzbaren Rest-SoC von mindestens 70 Prozent haben

Variieren kann der Netto-Gehalt auch abhängig von der Größe der Batterie, was ebenfalls mit den Garantieleistungen zusammenhängt. Soll eine Batterie auch nach Fahrleistung X noch mindestens 70 Prozent ihrer ursprünglichen Speicherkapazität zur Verfügung stellen, muss der nutzbare SoC auch entsprechend ihrer Größe angepasst werden. So gibt es E-Auto-Modelle, für die der Kunde verschieden große Akkus bestellen kann. Um die Laufleistung mit einer kleinen Batterie zu erreichen, steigt über den Lebenszyklus hinweg auch die Zahl der Ladezyklen, was wiederum den Alterungsprozess beschleunigt. Mit relativ gesehen größeren Puffer lässt sich diese Ladezyklus-Alterung verlangsamen. Große Batterien müssen zur Erreichung eines Laufleistungsziels weniger oft geladen werden, weshalb hier der Puffer kleiner ausfallen darf. Insofern ist es wahrscheinlich, dass bei einem Modell mit zwei Batteriegrößen im Angebot neben dem Bruttogehalt auch der relative Anteil des Puffers variiert.

Für den Kunden ist diese Praxis zunächst einmal ohne Nachteil und nicht als Mogelpackung zu verstehen. Letztlich gibt es bei allen Autoherstellern diese Diskrepanz zwischen physischer Speichergröße und nutzbarer Größe. Schön wäre es aus Verbrauchersicht, wenn jeweils beide Werte angegeben werden, was eine Vergleichbarkeit erleichtern würde. Einige deutsche Hersteller machen dies bereits, andere halten am Bruttowert fest, weil der nach mehr klingt. Will der Hersteller beziehungsweise der Händler den Nettowert nicht nennen, kann ein Blick in den Fahrzeugschein hierüber Aufschluss geben. Letztlich kann es allerdings egal sein, welchen Wert man kennt: Entscheidender sind für Vergleiche die Reichweiten- und Verbrauchsangaben, die idealerweise als WLTP-Werte angegeben werden.

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