Tradition: 30 Jahre Mercedes-Benz 500 E (W124)

Tradition: 30 Jahre Mercedes-Benz 500 E (W124) - Porsches schnellster Stern

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  • 17. August 2020, 14:53 Uhr
  • Wolfram Nickel/SP-X

Ein Mercedes, der von Porsche kommt, das klingt nach Power. Richtig, in Zuffenhausen entstand vor 30 Jahren die weltweit stärkste und schnellste V8-Mittelklasse. Porsche suchte damals nach Auslastung und machte nur zu gerne für Mercedes aus der bürgerlichen Taxi-Klasse W124 ein wildes Tier namens 500 E.

Gerade erst hatte der Gesetzgeber den geregelten Katalysator vorgeschrieben und so die Diskussionen über Umweltschäden durchs Auto und ein allgemeines Tempolimit leiser werden lassen, da schickte Mercedes die weltweit stärkste V8-Mittelklasse ins Rennen. Vor 30 Jahren debütierte der Typ 500 E als reißender Wolf in der Herde sonst eher harmloser und braver Benz-Limousinen der Baureihe W124, die mit Dieselmotor und bestenfalls Sechszylinder das Bild vor Taxiständen, Firmen oder gutbürgerlichen Einfamilienhäusern bestimmten.

Und nun also eine W124-Limousine, geschärft und gebaut bei Porsche, wo sie damals dankbar waren, freie Kapazitäten durch Auftragsfertigungen wie den 500 E füllen zu können. Porsche benötigte frische Einnahmen, um die Absatzkrise der alternden Transaxle-Sportwagen vergessen zu machen und die Marke mit dem Stern suchte eine rasche Antwort auf die Armada rasanter Schläfer aus München, Ingolstadt und sogar aus bella Italia. Schläfer? Die Amerikaner hatten mit Sleeper (schlafende Agenten) einen Terminus für muskelstrotzende Vmax-Typen in unscheinbarem Businessdress geprägt und Modelle wie BMW M5, Audi 200 Turbo oder Lancia Thema (Ferrari) 8.32 interpretierten den Begriff 1990 erfolgreich auf europäische Art. Allerdings war keiner dieser Tempobolzer der Wucht gewachsen, die der optisch dezente Mercedes 500 E über einen brutal starken 5,0-Liter-V8 auf die Straße brachte - und es sollte sogar noch heftiger kommen, mit dem AMG E 60.

Heute kann dieser Drehmoment-Wert den Käufern einer gut motorisierten Mercedes A-Klasse nur noch ein mildes Grinsen entlocken, aber 1990, dem Jahr der deutschen Wiedervereinigung, übertrugen nicht einmal die staatstragenden Zwölfzylinder-Limousinen von BMW und Jaguar so viel Kraft auf die angetriebenen Hinterräder und der Ferrari-V8 im Lancia Thema war nur halb so stark: Die 480 Newtonmeter Drehmoment des im Spätsommer 1990 vorgestellten Mercedes E 500 gaben einen deutlichen Hinweis auf das Potential dieses Viertürers. Optisch trug der 500 E den Nerz nach innen, war er doch seinen millionenfach gebauten Schwestermodellen nur durch die geringfügig voluminöseren Kotflügel mit 16-Zoll-Alurädern, die große Bugschürze mit integrierten Nebelleuchten und die um 2,3 Zentimeter tiefer gelegte Karosserie zu differenzieren. Aber nach dem Dreh des Zündschlüssels erwachte ein großes, unter Volllast vernehmlich fauchendes V8-Raubtier unter der flächigen Motorhaube - jener Vierventil-V8 mit dem Code M119, der gerade erst im neu vorgestellten Sportler 500 SL für Aufsehen gesorgt hatte.

Durch ein neues Kurbelgehäuse, das auch für den kleineren 4,2-Liter-V8 im 1991 lancierten 400 E genutzt werden konnte, wurde die Bauhöhe des Motors reduziert. So passte das 240 kW/326 PS bereithaltende Kraftwerk in den Maschinenraum, also dorthin, wo sonst auch der 55 kW/75 PS Vierzylinder des Typ 200 D wirkte. Vier-Automatik-Fahrstufen standen im 500 E serienmäßig zur Verfügung, was heute im Zeitalter von Neun- oder Zehngang-Automaten fast anrührend wirkt. Damals allerdings setzte manche Luxusmarke noch auf Dreigang-Automaten und eigentlich galten automatische Gangwechsel für Teilnehmer im Vmax-Championat ohnehin als uncool. Bis zum Auftritt des 500 E. ,,Wahnsinn, was da auf uns zurollt", titelte ein Fachmedium über die ,,sündhaft schnelle Familienlimousine", die trotz Getriebeautomatik auch von Rennfahrern wie dem früheren Mercedes-Werkspiloten Hans Herrmann als adäquates persönliches Fortbewegungsmittel geschätzt wurde. Die Schaltbox des 500 E wechselte die Gänge fast ruckfrei und passte damit zu dem souveränen Umgang des 4,75 Meter langen Liners mit Fahrbahnunebenheiten, die an der Hinterachse durch aufwendige Stoßdämpfer mit automatischer Niveauregulierung geglättet wurden. Fast hätte man diesen V8 als Chauffeur-Limousine für den Chef hinten rechts durchgehen lassen können.

Andererseits sollte sich der in automobiler Unschuldstracht gekleidete Bolide gegen Bayern-Bomber wie den BMW M5 behaupten, was klar machte: Der Mercedes musste die Ansprüche eines rasanten Fahrerautos erfüllen. Porsche, mit V8- und GT-Expertise ausgestattet, leistete sogar ein wenig Entwicklungshilfe für die Sportlimousine, deren Endmontage dann in Zuffenhausen erfolgte. Tatsächlich markierte der 500 E seine Position im Mercedes-Portfolio und am Markt über die vehementen Fahrleistungen: Die elektronisch abgeregelte Höchstgeschwindigkeit betrug 250 km/h, wie sonst nur beim 500 SL, und die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h wurde mit 5,9 bis 6,1 Sekunden angegeben. Dank kürzerer Achsübersetzung also noch besser als beim SL, besser als alles aus München und Ingolstadt und bereits fast auf dem Niveau reinrassiger Supersportler á la Ferrari Testarossa. Das allerbeste Erlebnis für die Fahrer des 500 E war jedoch die Freude, dieses Hochleistungstemperament in einer unauffälligen Karosserie genießen zu können, die sonst betuliche Diesel-Taxis kennzeichnete.

Klar, dass sich der 500 E auf der Kostenseite ebenso dramatisch von einem 200 D differenzierte. Die Preisliste des V8-Viertürers begann bei 134.520 Mark, dafür gab es rechnerisch 3,5 Diesel-Droschken und sogar der neue BMW M5 war um ein Drittel billiger. Gar nicht zu reden vom Kraftstoffkonsum der trotz überraschend hoher Nachfrage nur in kleiner Stückzahl - insgesamt lediglich 10.479 Einheiten - gebauten Hochleistungslimousine. Zwar bewirkte der beherzte Tritt aufs Gaspedal Verbrauchswerte zwischen 12 und 17 Litern, andererseits waren die Wettbewerber kaum sparsamer. Dennoch wollten die Mercedes-Ingenieure Effizienz-Diskussionen vermeiden und drosselten deshalb 1992 im Zuge einer Nachjustierung des Motors dessen Leistung minimal auf 235 kW/320 PS. Mit dem Ergebnis geringerer Schadstoffemissionen. Zeitgleich startete übrigens der kleinere 4,2-Liter-V8, bekannt aus der S-Klasse, im Typ 400 E, der die Reisequalitäten über dynamische Bestwerte stellte.

So viel Luxus wie nötig, so viel Power wie möglich, lautete die Formel für den 500 E, der deshalb wichtige Accessoires wie den Airbag anfangs noch in die Aufpreisliste integrierte. Im Jahr 1993 avancierte er jedoch als E 500 - so wie die gesamte, nun fast zehn Jahre alte W124-Reihe - mit Plakettengrill und anderen Modifikationen zur ersten, offiziell E-Klasse genannten Mercedes-Reihe. Dieses Ereignis feierte der mächtige V8 mit zwei feinen Upsizing-Maßnahmen: Die auf 500 Einheiten begrenzte Sonderserie E 500 Limited glänzte 1994 durch exklusive Farben außen wie innen und außerdem hielt der in Affalterbach geschliffene Hochkaräter E 60 AMG Einzug in die Mercedes-Schauräume. Mit 280 kW/381 PS aus dem auf 6,0 Liter vergrößerten V8 war dieser Viertürer ein frühes Ergebnis der seit 1990 bestehenden Kooperation zwischen Mercedes und AMG und er legte die Basis für einen bis heute bestehenden AMG-Powerzeig in der E-Klasse.



Modellgeschichte:
1984: Im November geht die mittlere Mercedes-Klasse (W 124) an den Start mit dem 3,0-Liter-Sechszylinder-Typ 300 E als Leistungsträger. Die angelsächsischen Medien feiern diesen in ECE-Spezifikation 230 km/h schnellen Viertürer als Q-Car, Sportwagen im Businessanzug. Für die Formgebung der neuen Reihe zeichnen Bruno Sacco, Joseph Gallitzendörfer und Peter Pfeiffer verantwortlich
1985: Auf der Frankfurter IAA feiert die neue Generation des Kombis T-Modell (Code S 124) Weltpremiere. Ebenfalls auf der IAA debütiert das Allradantriebssystem 4Matic
1986: Ab September sind alle Benziner mit geregeltem Drei-Wege-Katalysator ausgestattet
1987: Auslieferungsbeginn für die 4Matic-Versionen. Auf dem Genfer Salon feiern die Coupés der 230 CE und 300 CE Weltpremiere
1989: Auf der Frankfurter IAA wird im September die gesamte Baureihe mit großer Modellpflege gezeigt. Neu sind die Spitzen-Typen 300 E-24, 300 CE-24 und 300 TE-24 mit Vierventiltechnik
1990: Als Überraschungssensation debütiert im September auf dem Pariser Salon das neue V8-Spitzenmodell Mercedes-Benz 500 E. Erkennungszeichen sind verbreiterte Kotflügel, eine nach vorn gezogenen, fast senkrecht abfallende Bugschürze mit integrierten Nebelscheinwerfern, Tieferlegung der Karosserie um 23 Millimeter, damals groß wirkende 16-Zoll-Alumniumräder mit Reifen wie sie die SL der Serie 129 verwenden. Adaptiert aus dem SL wird auch der großzügig dimensionierte Hinterachsträger. Für souveränen Komfort des tief gelegten und sportlich ausgerichteten 500 E sorgen Stoßdämpfer mit hydropneumatischer Niveauregulierung an der Hinterachse. Der 5,0-Liter-V8 wird inklusive der Viergang-Automatik ebenfalls aus dem 500 SL adaptiert, allerdings in Form des so genannten Einheitsdeck-Motors. Dabei nutzt der 500 E ein Kurbelgehäuse, das auch für den geplanten 400 E mit 4,2-Liter-V8 genutzt werden kann, das alles zugunsten einer um 16,5 Millimeter niedrigeren Bauhöhe des V8 im 500 E gegenüber dem SL. Kürzere Pleuel lassen das Hub-Bohrungsverhältnis im modifizierten V8 beibehalten. Eine kürzere Achsübersetzung (1:2,82) gegenüber dem 500 SL bewirkt im 500 E eine bessere Beschleunigung, erhöht jedoch zugleich den Verbrauch. Porsche begleitete das Projekt Mercedes 500 E schon während der Entwicklung und übernimmt nun die Montage der Fahrzeuge im nicht ausgelasteten Werk Stuttgart Zuffenhausen. Von Mercedes dafür angeliefert werden lackierte Rohkarossen und die in Sindelfingen sowie Untertürkheim gebauten Teile. Mit Preisen ab 134.520 Mark kostet der 500 E mehr als doppelt so viel wie ein 300 E Sechszylinder. Zur Serienausstattung des 500 E zählten zwar ASR und Klimaanlage, anfangs jedoch nicht der Airbag, der optional war   
1991: Im Februar Serienstart für den 500 E. Auf der IAA zeigt Mercedes im September das Cabriolet 300 CE-24. In den USA wird Typ 400 E mit hubraumkleinerem V8 lieferbar und unterstützt die S-Klasse gegen die neuen Wettbewerber von Lexus und Infiniti
1992: Im Juni läuft das zweimillionste Fahrzeug der W-124-Reihe vom Band. Im Herbst Modellpflege für die W-124-Serie und neues Sechszylinder-Topmodell 320 E, auch ein Cabriolet wird verfügbar. Der Fahrerairbag ist nun Serie und der 400 E wird auch in Deutschland lieferbar. Ausgestattet ist der 400 E mit dem aus der S-Klasse vertrauten 4,2-Liter-V8, der 278 PS leistet. Im Oktober wird die Motorleistung im 500 E auf 235 kW/320 PS reduziert, um die Schadstoffemissionen zu verringern
1993: Ab Februar gibt es größere Bremsscheiben für den 500 E, so wie sie schon aus dem 600 SL bekannt sind; diese Modifikation betraf jedoch keine für Nordamerika und Japan bestimmte Fahrzeuge. Im Juni wird die Baureihe ein weiteres Mal überarbeitet und mit neuem Namen präsentiert. Die Fahrzeugfamilie heißt nun E-Klasse, analog zur S-Klasse und C-Klasse. Optisches Kennzeichen ist der sogenannte Plakettenkühlergrill im Stil der S-Klasse, hinzu kommen farblose Blinker-Deckgläser vorn, sowie eine geänderte Linienführung am Heck und zweifarbige Abdeckungen der Heckleuchten. Aus dem 500 E wird der neue E 500. Im September 1990 ging Mercedes-Benz eine Kooperation mit AMG ein, ein Ergebnis davon ist das ab September 1992 bestellbare neue Topmodell der E-Klasse, der E 60 AMG aus Affalterbach mit 280 kW/381 PS starkem, auf 6,0 Liter vergrößertem V8, leicht zu erkennen am markanten AMG-Logo. Nach nur 20 Sekunden passiert der E 60 AMG die 200-km/h-Marke. Dank Vierventiltechnik und variablen Einlassnockenwellen gilt die Maschine als drehfreudig und verrät die Verwandtschaft mit dem Motorsport, wo sie als Biturbo-Variante in Le Mans die Typen Sauber C9 und C11 antrieb  
1994: Im März debütiert auf dem Genfer Automobilsalon die auf 500 Einheiten limitierte Sonderserie Mercedes-Benz E 500 Limited mit Sonderlackierung Saphirschwarz oder Brillantsilber, Leichtmetallrädern im Stil des 190 E 2.5-16 Evolution II und ein farblich individualisiertes Interieur. Am 10. Oktober nimmt der ehemalige Mercedes-Rennfahrer Hans Herrmann als Kunde den zehntausendsten Mercedes-Benz E 500 in Empfang und das im Porsche Werk-Zuffenhausen, wo die Limousine montiert wird. Die Preisliste für den E 500 beginnt nun bei 145.590 Mark
1995: Schon im April läuft die Fertigung des E 500 aus. Zwei Monate später stellt Mercedes-Benz die E-Klasse-Limousinen der Baureihe 210 vor, die Nachfolger der Baureihe 124. Insgesamt wurden 10.479 Einheiten von 500 E/E 500 gebaut, inkludiert in diesem Wert sind die ausgelieferten Fahrzeuge des Typs E 60 AMG. Deren Stückzahl soll sich bei rund 150 Einheiten bewegen. Zum Vergleich: Insgesamt wurden von der Baureihe W 124 rund 2,07 Millionen Einheiten ausgeliefert  
2020: Der Mercedes-Benz 500 E wird 30 Jahre alt und damit potentieller Kandidat für ein amtliches H-Kennzeichen

Technische Daten Mercedes-Benz 500 E/E 500/AMG E 60:
Limousine der oberen Mittelklasse, Länge: 4,75 Meter, Breite: 1,80 Meter, Höhe: 1,41 Meter, Radstand: 2,80 Meter.
500 E/E 500 mit 5,0-Liter-V8-Benziner, 240 kW/326 PS bzw. 235 kW/320 PS (ab 10/1992), maximales Drehmoment: 480 Nm bei 3.900 U/Min bzw. 470 Nm bei 3.900 U/Min (ab 10/1992), Viergang-Automatik, 0-100 km/h: 6,1 s, Vmax: 250 km/h (abgeregelt), Verbrauch bei 90 km/h / 120 km/h / Stadtzyklus: 10,7 /12,3 / 17,5 l bzw. 10,3 / 11,9 / 16,9 l (ab 10/1992),  Preise ab 134.520 Mark (1990) bzw. ab 138.396 Mark (1991), bzw. ab 144.324 Mark (ab 1992) bzw. ab 145.590 Mark (ab 1993).
AMG E60 mit 6,0-Liter-V8-Benziner, 280 kW/381 PS, maximales Drehmoment: 470 Nm bei 3.900 U/Min, Viergang-Automatik, 0-100 km/h: 5,4 s, Vmax: 250 km/h (abgeregelt), Verbrauch bei 90 km/h / 120 km/h / Stadtzyklus: 9,9 /11,9 / 16,1 l,  Preise ab 179.860 Mark (1993).

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