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50 Jahre Volkswagen Käfer 1302 - Die Neuerfindung des Krabbeltiers

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  • 1. September 2020, 07:14 Uhr
  • Wolfram Nickel/SP-X

Er lief und lief und lief - bis der Wettbewerb modernere Kompakte hervorbrachte. Vor 50 Jahren kam der weltweite Käfer-Boom zu einem plötzlichen Ende, aber Volkswagen konnte sein kultiges Krabbeltier noch einmal revitalisieren. Aufgeblasen zum Super-Käfer 1302 brachte es die gedopte Ikone zum Produktionsweltmeister

Heute ist es die Elektromobilität, die Volkswagen und dem Golf als scheinbar ewigem König der Kompaktklasse eine Wendezeit beschert. Dramatische Veränderungen, die an die Ereignisse des Jahres 1970 erinnern. Damals bewegten sich die Wolfsburger das erste Mal zwischen Boom und Krise und das mit dem Käfer als automobilen Hauptdarsteller. Der ,,Beetle", wie die New York Times den Volkswagen bereits bei seiner Weltpremiere im Jahr 1938 nannte, war das erste Auto für alle und tatsächlich war er auch 1970 noch omnipräsent auf allen Kontinenten. Ein Auto, mit dem Arbeiter zum Werkstor und Professoren zur Oper fuhren, ein Volkswagen, der für junge Amerikaner zum Lovebug mutierte und nigerianischen Ärzten als Buschtaxi diente. Ein Krabbeltier, das als Kultobjekt bei Hippiefestivals und als Hauptdarsteller in Kino-Kassenschlagern von ,,Dudu" bis ,,Herbie" Schlagzeilen machte. Ein Multimillionen-Erfolg, der Volkswagen die Kassen füllte und eine ganze Boxer-Familie mit Heckmotoren hervorgebracht hatte, die über Bulli und Karmann Ghia zur Mittelklasse 1500/1600 führte und zuletzt bis zum großen VW 411 reichte. Trotz Feinschliffs blieb der Käfer jedoch ein Vorkriegstyp, der Ende der 1960er von der Zeit überholt wurde, vor allem durch dynamischere und effizientere neue Frontantriebstypen der Konkurrenz. Als dann auch noch der Auslandsabsatz aufgrund der starken Mark stagnierte, entschied sich VW-Konzernchef Kurt Lotz für einen kurzfristig realisierbaren Superkäfer als Krisenkiller, den Volkswagen 1302.

Tatsächlich ließ dieser ,,Super Beetle", wie die Amerikaner den 1302 sofort feierten, die Verkaufszahlen des Veteranen noch einmal anziehen. Im Februar 1972 avancierte der 1302 sogar zum weltmeisterlichen Sympathieträger, denn mit der Stückzahl von 15.007.034 gebauten Einheiten stellte der Käfer den Produktionsrekord des legendären Ford Model T ein, des ersten Fließbandmodells der Automobilgeschichte. Nun trug der Käfer den Titel des Weltmeisters und VW feierte dieses Ereignis mit einem auffälligen 1302 als allererstem offiziellen Sondermodell in der Geschichte des Krabbeltieres: Lackiert war die limitierte Auflage des 1302 S in der Sonderfarbe ,,Marathonblaumetallic", dazu gab es spezielle ,,Weltmeister-Felgen", Halogenscheinwerfer, Rückfahrleuchten, schwarze Cordsitze, eine Medaillle und ein Zertifikat. Details, die für eine verblüffend hohe Begehrlichkeit sorgten, wie sich zeigte, als Käfer-Fans Gebote für den ,,Weltmeister" abgaben, die über Listenpreis lagen. Mit diesem Sondermodell-Coup hatte Volkswagen dem Käfer frischen Kultstatus injiziert, den folgende Editionen wie das coole 1303 Cabrio ,,World Cup 74"  zur Fußball-WM in Deutschland oder der heiß begehrte 1303 S ,,Gelb-Schwarzer Renner" - heute als Klassiker mit bis zu 60.000 Euro gehandelt - weiter steigerten.

Neben dem Heimatmarkt, auf dem der Käfer durch Kompakte wie Opel Kadett und Ford Escort, aber auch die größeren 1,2- und 1,6-Liter Typen Ascona und Taunus bedrängt wurde, sowie Italien und Frankreich, wo Fiat, Renault, Simca und Citroen mit Frontantriebstypen attackierten, versuchten Compacts von Ford, AMC, GM und Chrysler den Käfer in den USA in eine Nische zu drängen. Dabei war es doch einer global gefeierten Anzeigenkampagne von Volkswagen of America gelungen, den Käfer als zeitlos aktuelle Ikone zu inszenieren. Sprüche wie ,,Es gibt Formen, die man nicht verbessern kann" oder ,,Da weiß man, was man hat", waren nicht nur außergewöhnlich für jene Zeit, die von jährlich veränderten automobilen Moden bestimmt wurde. Sie gingen sogar in den allgemeinen Sprachgebrauch über. Nun folgte: ,,VW 1302. Der Käfer der Käfer."

Vergeblich versuchte Detroit diesen Super Beetle zu bekämpfen. Laut den führenden Verbrauchermagazinen verfügte er über den ,,best durability record of any car" - mit anderen Worten war er so gut wie unzerstörbar. Tatsächlich waren deshalb noch zehn Jahre nach Produktionsende des Käfers mehr als eine Million der kleinen Boxer in den USA zugelassen. Dank des 1302 errang Volkswagen 1970 wieder über sieben Prozent Marktanteil in Nordamerika, während fast alle anderen Importeure auf dem größten Automarkt der Welt ein Nischendasein fristeten.


Was zeichnete den 1302 technisch aus? Mit dem von Ferdinand Porsche erfundenen Ur-Käfer hatten die VW 1302 des Jahrgangs 1970 nur noch das Konzept und die Silhouette der Karosserie gemeinsam. Ansonsten gab es eine Doppelgelenk-Hinterachse für mehr Fahrsicherheit auch bei Seitenwind, eine neue Federbein-Vorderachse statt der antiquierten Kurbellenkerachse, einen auf 260 Liter Volumen vergrößerten Frontkofferraum, der erstmals in der Käfergeschichte auch große Koffer fasste, und einen bei fast unveränderter Gesamtlänge vergrößert und verbreitert gestalteten Vorderwagen mit breiter Spur. Hinzu kamen endlich die klassenüblichen vorderen Scheibenbremsen beim Toptyp 1302 S, Komfort-Details wie die verbesserte Innenbelüftung und ein kleinerer Wendekreis für Kleinstwagen-ähnliche Handlichkeit im Stadtverkehr, einhergehend mit einer leichtgängigen Lenkung und abgewinkelter Sicherheitslenksäule. Vor allem aber präsentierte sich der 1302 S als stärkster Serienkäfer aller Zeiten und dies wahlweise als Limousine oder schickes Cabriolet.

Während der aus dem VW 1300 bekannte 1,3-Liter-Heckmotor im nachfolgenden 1302 weiterhin 32 kW/44 PS für beschauliche 125 km/h Vmax abgab und sich in der Knauser-Version 1302 A ein 25 kW/34 PS-Boxer in 32 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h quälte, kam der 1302 S dank lebendiger 37 kW/50 PS auf klassenübliches Temperament. Laut Tests in Fachmedien bedeutete dies 141 km/h Höchstgeschwindigkeit und noch mehr entlockten getunte 1302 LS, etwa mit 43 kW/59 PS und zwei Vergasern von Riechert Tuning. Und dann gab es noch die beiden 99 kW/135 PS starken Rallye- und Kraft-Käfer 1302 S ,,Salzburg" und ,,Theo Decker", die einen legendär brabbelnden Boxersound auf Straße und Rallyepiste zum Besten gaben. Im Jahr 1973 - da hatte sich der 1302 bereits zum 1303 mit Panoramafrontscheibe weiterentwickelt - machten gleich vier der Super-Käfer bei internationalen Rallyes von sich reden, auch mit Gesamtsiegen wie bei der Rallye Elba.

Dennoch näherte sich die Zeit der Heckmotormodelle nun dem Ende. Ernst wurde es, als Opel auf dem Heimatmarkt sogar kurz die Nase vorn hatte. Aber das Glück blieb VW hold, denn durch ein damals beispiellos teures Milliarden-Mark-Entwicklungsprogramm bewältigte die Konzernführung diese Krise. Ab 1974 ersetzte der Golf den Käfer, dessen deutsche Produktion gut vier Jahre später eingestellt wurde als die finalen VW 1303 Cabriolets von Karmann in Osnabrück ausgeliefert wurden. Nur die Mexikaner hielten dem ,,Escarabajo" als erstem eigenen Volksauto noch bis ins 21. Jahrhundert die Treue. Heute scheint sich VW-Geschichte zu wiederholen, denn nun liegt es am Golf sich gegen seinen potentiellen Nachfolger VW ID.3 durchzusetzen.

Chronik:
1934: Am 22. Juni beauftragt der ,,Reichsverband der Deutschen Automobilindustrie" (RDA) Ferdinand Porsche mit der Konstruktion eines ,,Volkswagens"
1935: Erster Prototyp mit luftgekühltem 700-ccm-Boxermotor und 22,5 PS Leistung
1937: 30 Fahrzeuge werden für Dauerbelastungsversuche produziert. Insgesamt werden 2,4 Millionen Testkilometer absolviert
1938: Weltpremiere für das Serienmodell, den Typ 38 als Limousine, Limousine mit Rolldach und Cabriolet. Kennzeichen Brezelfenster, Trittbretter und Stoßstangen sowie luftgekühlter Vierzylinder-Boxermotor mit einem Hubraum von 986 ccm und 24 PS Leistung. Im Mai erfolgt die Grundsteinlegung des Volkswagen-Werks in Fallersleben. Am 3. Juli wird in der New York Times erstmals das Wort ,,Beetle" für den Volkswagen verwendet
1939: Premiere feiert der KdF-Wagen auf dem Automobilsalon Berlin, inoffiziell wird er bereits Volkswagen genannt. Im September Kriegsausbruch mit folgender militärischer Nutzung des Werks
1945: Am 25. Mai wird aus der KdF-Stadt Wolfsburg. Im August beauftragt die Britische Militärregierung das unter der Leitung des britischen Majors Ivan Hirst stehende Volkswagenwerk mit der Lieferung von 20.000 Limousinen. Im Dezember 1945 läuft die Serienproduktion des VW-Käfers an
1946: Am 14. Oktober wird der 10.000ste Volkswagen produziert
1947: Von den in diesem Jahr gefertigten 8.987 Limousinen werden die ersten Fahrzeuge in die Niederlande exportiert
1949: Am 8. Januar werden die ersten zwei Limousinen von den Niederlanden aus in die USA verschifft. Am 13. Mai wird der 50.000ste Volkswagen seit Kriegsende
produziert. Am 1. Juni erfolgt die Präsentation des ,,Export-Modells" mit umfangreicherer Innenausstattung und zusätzlichen Chromelementen. Karmann karossiert das viersitzige Cabriolet Typ 15
1953: Am 3. Juli läuft der 500.000ste Volkswagen vom Band. Der Export erfolgt in 86 Länder
1954: Ab Januar stärkerer 30-PS-Motor
1955: Am 8. August sind eine Million Volkswagen produziert. Neu sind optionales PVC-Schiebedach, Doppelauspuff und modifizierte Heckleuchten
1957: Größere Heckscheibe und neue Armaturentafel
1959: Im August Einführung des Export-Modells VW 1200 mit 34-PS-Motor und vollsynchronisiertem Vierganggetriebe. Zudem erhalten Standard- und Exportmodell Blinker anstelle Winker, einen um 65 Prozent größeren Kofferraum, Scheibenwaschanlage und Scheinwerfer mit asymmetrischem Licht
1964: Mit der Gründung der ,,Volkswagen de México, S.A. de C.V." in Mexico City geht Volkswagen dort von der Fahrzeugmontage zur Eigenproduktion über
1965: Neuer Basistyp 1200 A mit 34 PS Leistung. Das bisherige Exportmodell mutiert zum VW 1300 mit 40-PS-Motor
1966: Das Standardmodell VW 1300 A ersetzt den 1200 A. Es ist mit 34 und 40 PS Leistung lieferbar. Im August Vorstellung des VW 1500 mit 44 PS sowie Scheibenbremsen vorn
1967: Der 10.000.000 Käfer wird produziert. Der ,,Sparkäfer" VW 1200 mit 34-PS-Motor ist ab Januar erhältlich. Neu sind Sicherheits-Lenksäule und Sicherheitsgurte. VW 1500 optional mit Automatikgetriebe und Schräglenker-Hinterachse
1968: Der Volkswagen wird nun auch in der Werbung Käfer genannt
1969: Einführung des VW 1300 L mit Sonderausstattung
1970: Einführung der Spitzen-Modelle 1302 (34 PS bzw. 40 PS) und 1302 S (50 PS) mit Federbeinen vorn und Doppelgelenkachse hinten. Die Preisliste für den 1302 beginnt bei 5.745 Mark für die Basisvariante bzw. 5.945 Mark für den 1302 S mit 50 PS Leistung und 7.490 Mark für das Cabrio. Produktionsende für den VW 1500
1971: In Deutschland erzielt Volkswagen 444.560 Zulassungen, das genügt für Platz eins in der Zulassungsstatistik vor Opel mit 403.045 Zulassungen. Vom VW 1302 A (34 PS) werden 17.102 Einheiten zugelassen, vom VW 1302 (44 PS) 150.703 Einheiten, vom 1302 S (50 PS) 39.973 Einheiten. Hinzu kommen 55.324 VW 1200 und 22.362 VW 1300 sowie 106 VW 1600
1972: Am 17. Februar wird mit dem 15.007.034sten produzierten Käfer der bisherige
Produktionsrekord des Ford T-Modells eingestellt. Im August beginnt die Produktion
des ,,Panorama-Käfers" VW 1303 mit 44 und 50 PS-Motor, der den VW 1302 ablöst. Die Preise beginnen bei 6.690 Mark (VW 1303) bzw. 6.890 Mark (VW 1303 S) bzw. 8.840 Mark (VW 1303 Cabrio). Neu ist außerdem der VW 1300 S mit 1,6 Liter-Motor. Opel wird mit 456.189 Zulassungen in Deutschland Zulassungschampion vor Volkswagen mit 378.904 Einheiten. Vom VW 1302 A (34 PS) werden 5.732 Einheiten zugelassen, vom VW 1302 (44 PS) 97.295 Einheiten, vom 1302 S (50 PS) 28.311 Einheiten. Vom nachfolgenden VW 1303 A (34 PS) werden 653 Einheiten zugelassen, vom VW 1303 (44 PS) 30.947 Einheiten, vom 1303 S (50 PS) 15.454 Einheiten.
1973: Volkswagen bietet mehrere Sondermodelle an, darunter Jeans-Käfer, Big-Käfer, ,,gelbschwarzer Renner", City-Käfer. Der VW 1300 wird im Juli eingestellt. Die Zulassungszahlen des Käfers sind leicht rückläufig, aber immer noch ist er mit weitem Abstand das meistverkaufte Auto in Deutschland. So zählt die Zulassungsstatistik 145.000 VW Käfer vor 104.000 Opel Rekord, 78.000 Audi 80 und je rund 68.000 Opel Kadett und Opel Ascona  
1974: Vorstellung und Produktionsstart für den VW Golf. Am 1. Juni läuft um 11.19 Uhr im Stammwerk Wolfsburg der letzte Käfer vom Band. Im August wird die Produktion des VW 1303 A eingestellt
1975: Im Juli wird der letzte VW 1303 produziert.
1978: Die Preise für das VW 1303 Cabrio beginnen nun bei 13.255 Mark. Am 19. Januar läuft der letzte in Deutschland gebaute Käfer im Werk Emden vom Band. Insgesamt wurden 16.255.500 Käfer in Deutschland gebaut
1980: Am 10. Januar läuft das letzte Käfer 1303 Cabriolet bei Karmann in Osnabrück vom Band. Insgesamt wurden 330.281 Cabriolets produziert
2002: Am 25. Juni überholt die Produktionszahl des Golf mit 21.517.415 Exemplaren die des Käfer. Der Golf übernimmt vom Käfer den Titel des meistgebauten Volkswagen-Modells
2003: Der letzte Käfer läuft im Juli bei ,,Volkswagen de México" in Puebla vom Band

Motorisierungen Volkswagen 1302:
Volkswagen 1302 (ab 1971) mit 1,2-Liter-Vierzylinder-Motor (25 kW/34 PS), 0-100 km/h: 32 s, Vmax: 115 km/h
Volkswagen 1302 (ab 1970) mit 1,3-Liter-Vierzylinder-Motor (32 kW/44 PS), 0-100 km/h: 25 s, Vmax: 125 km/h
Volkswagen 1302 S (ab 1970) mit 1,6-Liter-Vierzylinder-Motor (37 kW/50 PS), 0-100 km/h: 21 s, Vmax: 130 km/h
Volkswagen 1302 LS Cabrio (ab 1970) mit 1,6-Liter-Vierzylinder-Motor (37 kW/50 PS), 0-100 km/h: 21 s, Vmax: 130 km/h

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