Motorrad

Test: Kymco Agility 300i - Kumpel-Typ

  • In MOTORRAD
  • 29. September 2020, 10:17 Uhr
  • Ulf Böhringer/SP-X

Der Großradroller Kymco Agility 300i gefällt beim Fahren und ist dank Bau in China ein reelles Angebot ohne größere Schwächen

Nicht weniger als fünf Modelle mit 300 Kubikzentimetern Hubraum finden sich im Modellprogramm des taiwanesischen Zweiradherstellers Kymco. Zu den preisgünstigeren gehört der neue Agility 300; erstens wird er, anders als die höherwertigen Modelle New People S und Downtown, nicht in Taiwan, sondern in China gebaut, was den Preis auf rund 4.200 Euro drückt. Und zweitens wird er nicht vom neuen Vierventilmotor angetrieben, sondern vom alten Zweiventiler. Dafür ist er rund einen Tausender günstiger zu haben als der New People S 300. Verglichen mit diesem hat der Agility 300 Nach-, aber auch Vorteile.

Generell gehört der Kymco Agility 300 zur Kaste der Großradroller: Vorne rotiert ein stabilitätsförderndes 16 Zoll-Leichtmetallrad, hinten eines mit 14 Zoll Durchmesser. Der Zweiventil-Einzylindermotor geht gut ans Gas, zeigt sich bei voller Beschleunigung allerdings akustisch nicht zurückhaltend; der Fahrer nimmt deutlich wahr, dass der Vortrieb auf Explosionen im Brennraum beruht. Ausgesprochen dezent gibt sich das Triebwerk dann bei gleichmäßiger Fahrt im mittleren Drehzahlbereich. Unangenehme Vibrationen sendet es nicht aus. Die 17 kW/23 PS reichen gut aus, um auch auf hügeligen Landstraßen stets im Bereich der dort geltenden Höchstgeschwindigkeit unterwegs zu sein.

Auch sonst macht der Agility im Fahrbetrieb seine Sache gut: Bei Höchstgeschwindigkeit von 125 km/h - der Tacho eilt vor und suggeriert fast 140 - liegt der Agility bockstabil, was freilich mit einer relativ harten Abstimmung von Federn und Dämpfern erkauft wird. Fahrbahnfugen oder Kanaldeckel bleiben dem Fahrer nicht verborgen. Doch zum Komfort zählt bekanntlich mehr als nur die Radführung: Der Windschutz ist dank des serienmäßigen Windschilds gut und verwirbelungsfrei, die Plexiglas-Handschützer stellen ein bei Nässe und Kälte sehr nützliches Ausstattungsdetail dar. Interessenten sollten prüfen, ob die Oberkante des Windschilds im direkten Sichtbereich liegt; wenn ja, wird das zumeist als sehr störend empfunden. Der normalgroße Tester hatte keine Probleme. Etwas ungewöhnlich erscheint die relativ hohe Montage des Lenkers. Der Fahrersitz ist gut geformt und bequem gepolstert, der Soziussitz ist sogar ausgesprochen voluminös ausgefallen.

Trotz der Betonung der Fahrstabilität ist der Agility ein handlicher Roller: Er macht seine Sache auch bei sehr langsamer Fahrt gut, weil er bestens austariert ist. So wuselig wie eine Vespa ist er wegen seines langen Radstandes von 1,55 Metern freilich nicht. Aber dafür bietet er auch mehr Platz. Nicht zuletzt unter dem Sitz, denn der beleuchtete Stauraum fasst neben einem Integralhelm auch noch einen Jethelm sowie etwas Kleinzeug.

Anders als beim New People ist der Boden des Agility nicht eben, sondern weist einen mächtigen Mitteltunnel auf. Deshalb ist das Auf- und Absteigen nicht besonders komfortabel; auch sind die für die Füße zur Verfügung stehenden Flächen beschränkt. Aber dafür bietet diese Konstruktion die Möglichkeit, den Tank nach vorne zu legen und sehr tief zu montieren. Zudem ist das Spritfass mit 13 Litern Volumen groß, was bei zurückhaltender Fahrweise Reichweiten von 320 bis 350 Kilometern ermöglicht. Der Verbrauch - im Mittel 3,7 Liter pro 100 Kilometer - ist klassenüblich; wer zügig über Landstraßen flitzt, muss nach etwa 280 Kilometern nach einer Tankstelle schauen; auch hier zeigt sich, dass der Motor keine taufrische Konstruktion ist.

Die Ausstattung des Kymco Agility ist gut. Er bremst mit seinen zwei Scheibenbremsen tadellos, das ABS regelt etwas früh, aber zuverlässig. LED-Beleuchtung gibt es rundum, zudem wird eine schlüssellose Zündung geboten. Die ist ausgesprochen einfach zu bedienen und daher komfortabel, bedarf aber eines wachen Blicks auf den Zustand der Batterie des Transponders.

Gut gelöst ist die Blinkerkontrolle mit Hilfe eines akustischen Tackers, der zum Ausschalten mahnt. Das LED-Abblendlicht überzeugte uns nicht, das Fernlicht dagegen schon. Ärgerlich ist, dass der Motor laut Hersteller auf Super besteht; E10 soll zu Verdauungsstörungen führen. Eine Feststellbremse, vorteilhaft beim Parken im Gefälle, gibt es nicht. Auch das hauseigene Konnektivitätssystem Noodoe hat sich Kymco beim Agility gespart; man darf vermuten, dass sich Fahrer unter 30 von diesem Modell aber ohnehin weniger angesprochen fühlen. Das digitale LCD-Instrumentarium ist ausreichend informativ und gut ablesbar.

Nach mehr als 2.000 Testkilometern haben wir den Kymco Agility 300 schätzen gelernt, auch wenn Begeisterung, ob seines etwas betulichen Wesens nicht aufgekommen ist. Mit knapp 4.200 Euro gehört er zu den preiswerten Vertretern seiner Klasse, beherrscht die wichtigen Disziplinen Fahrsicherheit, Platzangebot und Wetterschutz einwandfrei. Ein Kumpeltyp eben, kein flausenbehafteter Traumtänzer. 



Technische Daten Kymco Agility 300

Motor: Flüssigkeitsgekühlter Einzylinder-Viertaktmotor, 276 ccm Hubraum, 17 kW/23 PS bei 8.000/min., 22 Nm bei 6.500/min; zwei Ventile, ohc, Einspritzung, Fliehkraftkupplung, CVT-Riemengetriebe.

Fahrwerk: Stahlrohrrahmen; 3,7 cm ø Telegabel vorne, 11 cm Federweg; Triebsatzschwinge hinten, zwei Federbeine, Vorspannung fünffach einstellbar, 10 cm Federweg; Leichtmetall-Gussräder; Reifen 110/70-16 (vorne) und 140/70-14 (hinten). 30 cm ø Einscheibenbremse vorne, 24 cm ø Einscheibenbremse hinten.

Assistenzsysteme: ABS.

Maße und Gewichte: Radstand 1,55 m, Sitzhöhe 79,5 cm, Gewicht fahrfertig 191 kg, Zuladung 150 kg; Tankinhalt 13 l.

Fahrleistungen und Verbrauch: 0-100 km/h ca. 12 s, Höchstgeschwindigkeit 125 km/h; Normverbrauch lt. WMTC 3,6 l/100 km, Testverbrauch 3,4- 4,5 l/100 km, im Mittel 3,7 l/100 km.

Preis: ab 4.172 Euro.

STARTSEITE