Fahrrad

Test: Urwahn Platzhirsch - Elf Freunde

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Fällt auf: Der Urwahn Platzhirsch kann Blicke auf sich ziehen Foto: SP-X/Mario Hommen

Für Purismus- und Fixie-Fans sind elf Zahnkränze am Hinterrad eigentlich ein No-Go. Doch fahrtechnisch kann man sie im E-Bike-Alltag durchaus als ein Yes-Go erleben.  

Das E-Bike Platzhirsch der Magdeburger Fahrradschmiede Urwahn ist ein besonders stylischer Vertreter im stetig wachsenden Reigen spartanischer Single-Speed-Pedelecs mit Heckantrieb. Akku im Unterrohr, Motor im Hinterrad, eine fixe Übersetzung - das kann sich nicht nur sehen, sondern oft auch gut fahren lassen. Dank E-Power reicht der eine Gang eigentlich. Allerdings nicht jedem und außerdem nicht überall. Deshalb bietet das junge Unternehmen auch die Kombination mit klassischer Kettenschaltung an, welche die puristische Optik etwas beeinträchtigt, der Nutzer aber im Gegenzug eine nach Lust, Laune oder Fahrsituation passende Alternativ-Übersetzungen findet.

Die Kettenschaltung ist natürlich kein Kaufkriterium für einen Platzhirsch. Der große Will-haben-Faktor ist das Design, welches in mehrfacher Hinsicht das Auge des Betrachters erfreut. Wichtigster Höhepunkt ist der leichte Stahlrahmen, der dank einiger im 3D-Drucker gefertigter Elemente auf eine Sitzstrebe verzichtet, die normalerweise ein festes Dreieck mit Kettenstrebe und Sitzrohr bildet. Letzteres biegt stattdessen auf Weg zum Tretlager Richtung Hinterrad ab und übernimmt zugleich die Aufgabe der Sitzstrebe. Dieses Konstruktionsprinzip sieht nicht nur besonders aus, es spart außerdem Material und Gewicht.  

Auf die schicke Rahmenintegration der Front- und Rückleuchte wie beim nichtelektrifizierten Schwestermodell Stadtfuchs verzichtet der Platzhirsch. Stattdessen sind diese dank smarter Lösungen aus dem Zubehör unscheinbar in Lenker und Sattelstütze integriert. Angesichts seines Miniatur-Formats fällt es schwer zu glauben, dass der LED-Strahler im Lenker die Anforderungen der Straßenverkehrszulassungsverordnung erfüllt. Doch im Einsatz verblüfft das kleine Oval mit seiner aus dem Traktionsakku gespeisten Leuchtkraft.  

Anders als bei Pedelecs im Fixie-Look üblich, ist der Bedienschalter für den E-Antrieb nicht im Oberrohr integriert, sondern unscheinbar am Lenker befestigt. Es handelt sich um eine Art Wippe mit farblich variablem Licht und einer haptischen Vibrations-Rückmeldung. Um die Schaltlogik dahinter zu verstehen, ist ein kurzer Blick in die Bedienungsanleitung hilfreich. Hat man den Bogen raus, wählt man zwischen dezenter oder heftiger E-Unterstützung. Drei Stufen stehen zur Wahl. Wer den Antrieb mit seinem Smartphone verbindet, kann per App unter anderem Feinjustierungen etwa bei der Leistungsentfaltung vornehmen.

Im Hinterrad steckt eine kompakte, weitgehend lautlose Mahle-Maschine, die sich durch eine homogene Leistungsentfaltung auszeichnet. 40 Newtonmeter Drehmoment klingt nach wenig, fühlt sich aber praktisch nach mehr an. Wer will, kann mit wenig Muskelkraft sehr spritzig unterwegs sein. Im Unterrohr stecken die Zellen der Traktionsbatterie, die mit 250 Wh etwas klein ausfällt, doch für das Nutzungsprofil eigentlich reicht. Der Platzhirsch ist kein Reiserad, sondern ein Stadtflitzer. Angesichts der nicht vorhandenen Federung und der auf Dauer etwas anstrengenden Sitzposition wird kaum jemand täglich viele Stunden auf ihm reiten wollen. Dafür macht es ungemein viel Spaß, temporeich das nur 15 Kilogramm wiegende Leichtgewicht um die engen Kurven der Stadt zu scheuchen. Messerscharf, mit fein dosierbaren Hydraulikbremsen, dem Grip profilloser Conti-Reifen und einer insgesamt sehr verbindlichen Art ist das Pedelec ein echter Tipp für erlebnisorientierte City-Flitzer.

Die Reichweitenfrage ist bei unserem Platzhirsch mit 1x11-XT-Kettenschaltung von Shimano ohnehin eine nachrangige Größe. Sollte die Batterie nicht mehr können, muss der Fahrer einfach ein wenig mehr mit den Beinen nachhelfen. Dank der vielen Gänge findet er dafür eine stets passende Übersetzung. Ohne E-Motor fährt sich das Urwahn-Pedelec eigentlich wie ein konventionelles, sportlich ausgelegtes Rad. Gegen den Antrieb muss man nicht ankämpfen. Wer aus einem Fitness-Gedanken heraus den E-Antrieb ohnehin nur selten nutzen will, wird sich über die Schaltung besonders freuen. Komplett überflüssig ist sie auch bei konsequenter E-Unterstützung nicht, denn beim Ampelsprint können die kurzen Übersetzungen helfen, noch schneller vom Fleck zu kommen. Und wer gerne mit niedriger Trittfrequenz fährt, wird sich über eine Auswahl langer Übersetzungen freuen. Sogar zum Muss wird die Kettenschaltung für Nutzer in bergigen Regionen oder in Städten mit vielen steilen Anstiegen.  

Allerdings muss man für die Gangschaltung noch tiefer in die Tasche greifen. Bereits mit Riemenantrieb und Einfachübersetzung werden rund 4.500 Euro für ein Platzhirsch fällig. Bei den meisten Rädern kostet eigentlich der Riemenantrieb Aufpreis, hier werden hingegen für die Kombination mit Kettenantrieb und 11er-Kassette zusätzlich 500 Euro aufgerufen, womit die 5.000-Euro-Marke erreicht wäre. Wer noch Schutzbleche und Gepäckträger will, muss nochmals 130 Euro investieren. Im Gegenzug gibt es einen gut bis edel ausgestattetes und vor allem sehr gut verarbeitetes Designerstück mit starker Technik. Das hat eben auch seinen Preis.

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