Motorrad

Assistenzsystem ACC bei der BMW R 1250 RT - Locker mitschwimmen

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Weil bei BMW die R 1250 RT zur turnunsmäßigen Generalüberholung anstand, haben die Bayern-Ingenieure dieses Modell für den Erst-Einsatz der radarbasierten Geschwindigkeitsregelung gewählt Foto: BMW_Künstle

Die R 1250 RT weist als erste BMW die adaptive Geschwindigkeitsregelung ACC auf. Die ersten Erfahrungen übertreffen die Erwartungen.

Bis auf sehr wenige, meist kleinvolumige Fahrzeuge sind Motorräder innerhalb der vergangenen fünf Jahre zu wahren Hightech-Vehikeln entwickelt worden. Ein paar Stichworte sollen genügen: Kurven-ABS, schräglagenabhängige Traktionskontrolle oder semiaktive Radführungen finden sich mittlerweile bei allen renommierten Herstellern. Sechsachsen-Sensoren erfassen sämtliche Fahrzustände; ihre Daten sind selbst bei Traditionsfirmen wie Harley-Davidson Basis der elektronischen Eingriffe. Im Jahr 2021 erfolgt mit der radarbasierten Geschwindigkeitsregelung ACC ein weiterer, vollkommen neuer Schritt in die Technik-Zukunft des Motorrads: Das Motorrad hat - zumindest bei BMW, Ducati und KTM - mit Hilfe von Radar sehen gelernt, kann deshalb es ohne Zutun des Fahrers Gas geben und sogar bremsen. Anders als beim Pkw stellt sich bei solchen Manövern auf dem Motorrad anfangs gelegentlich ein indifferentes Gefühl ein.

Weil bei BMW die R 1250 RT zur turnunsmäßigen Generalüberholung anstand, haben die Bayern-Ingenieure dieses Modell für den Erst-Einsatz der radarbasierten Geschwindigkeitsregelung gewählt; der Frontbereich, in dem sich der Signal-Empfänger befindet, musste bei der RT wegen der Implantation einer neuen LED-Scheinwerferanlage mit neuartigem Kurvenlicht ohnehin umgestaltet und aerodynamisch optimiert werden. Ducati wählte die vollkommen neu entwickelte Multistrada V4, KTM die tiefgreifend modellgepflegte 1290 Super Adventure S für den ACC-Einsatz aus. Das Basissystem stammt in allen drei Fällen von Bosch, doch ist die Abstimmung auf das jeweilige Fahrzeug unterschiedlich gehandhabt worden.
Durch die Implantation des schwarzen Radar-Kästchens ist auch die RT nicht ansehnlicher geworden; immerhin gelang es den BMW-Designern, die Front insgesamt dennoch formidabel zu gestalten. Aber klarerweise muss das Sende- und Empfangsmodul für die adaptive Geschwindigkeitsregelung an freier und zudem zentraler Position untergebracht werden. Der Einstellbereich umfasst den Bereich zwischen 30 und 160 km/h, auf 120 Meter Distanz wird alles erfasst, was sich bewegt. Innerhalb dessen regelt die BMW den Abstand zu vorausfahrenden Fahrzeugen und damit auch das Tempo selbständig. Die BMW fährt also langsamer, wenn das Tempo vorne sinkt, und sie beschleunigt, wenn es vor ihr wieder zügiger vorwärts geht. Man kann diese Eingriffe in das Fahrverhalten durchaus als Vorstufe automatisierter Fortbewegung empfinden. Wobei das System Notbremsungen nicht beherrscht; darauf weist BMW im Fahrerhandbuch ausdrücklich hin.

Vorrangig geht es um das Mitschwimmen im mehr oder minder dichten Verkehr, wenn freies Fahren eben nicht möglich ist. Das funktioniert auch ausgezeichnet und man fragt sich schon bald, wozu ein herkömmlicher Tempomat eigentlich gut ist. Denn bekanntlich fließt dichter Verkehr kaum einmal mit konstanter Geschwindigkeit. Insofern erscheint die Prognose nicht sehr gewagt, dass sich Motorradfahrer an dieses Assistenzsystem gern gewöhnen werden.
Auch deshalb, weil die ACC-Bedienung einfach ist: Sie erfolgt am linken Lenkergriff mittels einer Taste und eines Zweiwege-Hebelchens. Das riesige Display im Cockpit visualisiert die Einstellungen. So kann man den Abstand zum Vorausfahrenden in drei Stufen einstellen, und auch die Dynamik der Systemreaktion lässt sich variieren, ,,komfortabel" oder ,,dynamisch". Die Unterschiede sind gut wahrnehmbar.

Ist das vorgewählte Zieltempo hoch genug vorgewählt, lassen sich auch Überholvorgänge ohne händisches Gasgeben absolvieren; ist die Fahrspur frei, beschleunigt die RT zügig. Und verzögert natürlich beim nächsten Hindernis auch wieder. Schert man mit deutlich zu hohem Tempo rechts hinter langsamen Fahrzeugen ein, wird zusätzlich die Bremse aktiviert. Der Fahrer tut gut daran, sich bedacht an solche Situationen heranzutasten.
Außer auf mindestens zweibahnigen Strecken lässt sich das System auch auf normalen Landstraßen einsetzen. Man rollt dann als x-tes Glied in der Kette dahin, wechselt bei Bedarf den Gang und hält Kurs. Mehr ist im Prinzip nicht zu tun. Ob man solch passives Vorwärtskommen als Motorradfahren empfindet, hängt vom Fahrertyp ab.

Man kann dem ACC in der BMW R 1250 RT ein hohes Niveau attestieren. Nicht mal beim Passieren von Autobahnbaustellen mit gewundenen Zufahrten kam es im Test aus dem Tritt. Aber es gibt Grenzen, und man nimmt sie auch wahr: Vorausschauend fahren - das beherrscht die BMW nicht. Leuchten weiter vorne Bremslichter auf, verfällt sie nicht in einen Hab-Acht-Modus, wie dies ein routinierter Fahrer tut. Deshalb verzögert sie später und auch kräftiger, als man es selbst täte. Darauf verweist der Hersteller freilich im Handbuch. Das Verkehrsgeschehen auszublenden, ist deshalb keine gute Taktik für eine zwischenfallfreie Karriere als Motorradfahrer.

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