Fahrrad

Test: Stromer ST2 - Single-Speed mit Gangschaltung

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Ein Speed-Bike für Singles: das neue ST2 von Stromer Foto: SP-X/Mario Hommen

Heckmotor, Nabenschaltung und Riemenantrieb? Beim neuen S-Pedelec ST2 von Stromer ist diese attraktive Kombination tatsächlich möglich. Das Dilemma der starken Fahrradklasse bleibt jedoch.

Kommt in unseren Testfuhrpark ein S-Pedelec, ist es als Flitzer für den täglichen Weg zur Arbeit gefragt. Doch in Lockdown- und Homeoffice-Zeiten fällt dieses Nutzungsszenario aus. Im Fall des neuen Stromer ST2 blieb uns deshalb nur der Wochenendausflug mit der Familie, womit man sich automatisch in eine Grauzone begibt, denn eigentlich handelt es sich um ein Speed-Pedelec, das zwar praktisch überall gut fahren kann, aber leider nicht darf. Dabei ist das ST2 ein starkes Zweirad für eigentlich jeden Einsatzzweck.

Wie bei Stromer üblich, sticht auch das neue ST2 aus der Masse hervor. Dafür sorgen neben dem schick integrierten Tagfahrlicht im Steuerrohr vor allem die auffällig größeren Ausführungen von Unterrohr, Reifen, Bremsen und Motor im Hinterrad. Die großzügige Dimensionierung erlaubt und verträgt Beschleunigungsvermögen auf Kleinkraftrad-Niveau. Der vorbildlich verarbeitete Rahmen ist absolut verwindungssteif, die Bremsen packen souverän zu und die breiten Reifen sorgen zudem für guten Grip und Präzision in schnellen Kurven. Angst oder Unsicherheit, egal bei welchem Tempo, kommt hier nicht auf.

Apropos schnell: Für die Königsdisziplin des ST2 muss man lediglich etwas kräftiger in die Pedale treten, was die 750-Watt-Maschine im stärksten von drei Fahrmodi mit druckvollem Schub beantwortet. Bei niedrigerer Fahrstufe und lässiger Beinarbeit ist man im entspannten Cruising-Tempo unterwegs, hängt man sich rein, stehen flugs die 45 und gelegentlich auch mehr km/h auf dem Touchscreen-Tacho im Oberrohr. Das Stromer geht auf Wunsch ab wie der sprichwörtlich geölte Blitz, wenngleich das Anfang 2021 neu aufgelegte ST2 dank der smarten Kombination aus sauberem Riemenantrieb und Fünfgang-Nabenschaltung eben auf eine Ölung verzichten kann. Schwarze Schlieren an Rahmen oder Hosenbein gehören hier jedenfalls der Vergangenheit an.

Heckmotor und Nabenschaltung? Richtig gelesen. Den eigentlichen Widerspruch hat Stromer mit der Integration eines Fünfgang-Getriebes von Sturmey-Archer zentral im E-Antriebsaggregat elegant gelöst. Am rechten Lenkergriff befindet sich ein entsprechender Gripschalter zum Wechsel der Übersetzungsstufen. Die reichen angesichts der E-Unterstützung jedenfalls auf flachem Terrain absolut aus. Hier könnten es sogar weniger Gänge sein, denn das ST2 lässt sich schaltfaul fahren.

Das neue Stromer-Modell eignet sich ebenfalls für entspanntes dahingleiten mit moderatem Tempo, was prinzipiell auch den Ausflug mit der Familie möglich macht. Doch wer sich in Zurückhaltung übt, darf dennoch nicht die gleichen Wege wie etwa der Rest der Familie auf normalen Fahrrädern nutzen. Also fährt man mit dem ST2 im Fahrrad/Pedelec-Tempo nebenher und hofft, dass niemandem das Nummernschild am Heck auffällt. Und dann kommt sie wieder, die eine Frage: Warum erlaubt man Sportwagenfahrern eigentlich die Nutzung von Spielstraßen?

Legal darf man das ST2 nur auf Autostraßen bewegen, auf denen man ganz sicher nicht mit der Familie, sondern stets allein unterwegs ist. Speed heißt in diesem Fall eben auch die zwangsweise Nutzung als Single. Mit dem S-Pedelec auf Autostraßen zu fahren, ist vielerorts allerdings keine wirklich befriedigende Lösung, denn obwohl es den Fahrradtypus schon viele Jahre gibt, reagieren Autofahrer weiterhin alles andere als tolerant auf selbstbewusst in ihrer Spur befindliche Einspurfahrzeug mit Pedalantrieb. Vielleicht wäre es doch besser, Radwege für S-Pedelecs unter Einhaltung von Tempolimits freizugeben. Dann könnten S-Pedelecs nämlich eine attraktivere Alternative zum Auto sein, was neben der Temposause für den schnellen Weg zur Arbeit eben auch den gemeinsamen Familienausflug erlaubt. Angesichts der im Vergleich zu vielen Nachbarländern unbefriedigenden Gesetzgebung bleibt das S-Pedelec auf deutschen Straßen weiterhin ein Exot.

Grundsätzlich bringt das neue ST2 jedenfalls viele Eigenschaften als gutes Alltags-Pedelec mit. Es ist sauber, solide, pflegeleicht, einfach gut fahrbar und auf Wunsch auch besonders reichweitenstark. Mit dem optionalen 983-Wh-Akku sind mit einer Ladung immerhin 180 Kilometer drin. Zudem ist es vernetzt, was im Zusammenspiel mit der Omnia-App viele Vorteile und Nutzungsmöglichkeiten bietet und das Geschäft der Fahrraddiebe erschwert. Die Technik ermöglicht Diebstahlschutz mit GPS-Ortung, automatische Ver- und Entriegelung, Over-the-Air-Updates wie auch individuelle Motoreinstellungen. Ein besonderer Clou: Den im Rahmen integrierten Akku kann der Nutzer ,,keyless" über ein kurzes Berühren des Touchscreens im Oberrohr entnehmen. Das ist auch praktisch wichtig, denn man wird sich schwertun, das über 30 Kilogramm schwere Stromer ST2 zum Laden über Treppen zu tragen.

Der XL-Akku ist, wie auch das Rad insgesamt, nicht gerade billig. Knapp über 6.100 Euro kostet die Standardversion des ST2, die eine bereits gut dimensionierte 618-Wh-Batterie mit 120 Kilometer Reichweite bietet. Soll es der große Stromvorrat sein, werden rund 7.000 Euro fällig. Mit optionaler Federgabel und gefederter Sattelstütze lässt sich der Preis weiter steigern. Viel Geld angesichts der in Deutschland leider eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten.

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