Motorrad

Test: Harley-Davidson Pan America 1250 Special - Jeep auf zwei Rädern

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Mit der Pan America 1250 will Harley-Davidson im Reiseenduro-Segment Fuß fassen Foto: SPX/fbn

Die erste Reiseenduro von Harley-Davidson, die Pan America 1250, zeigt sich im Alltagsbetrieb sehr leistungsfähig und von guter Zugänglichkeit. Doch es gibt auch einige Verbesserungsvorschläge.

Mit der Pan America 1250 will Harley-Davidson im Reiseenduro-Segment Fuß fassen. Hier dominieren bislang europäische Produkte: Die intensive Auseinandersetzung mit der Pan America führt zur Erkenntnis: Künftig wird man außer den drei Schwergewichten von BMW, Ducati und KTM auch die Pan America zu den Spitzenprodukten rechnen müssen. Die Behebung einiger Ungereimtheiten und kleinen Schönheitsfehlern genügt dafür.

Beim längeren Fahren fällt eine gewisse Ähnlichkeit zur KTM 1290 Super Adventure auf. Nicht nur, weil beide von einem quer eingebauten V2-Motor angetrieben werden, sondern weil das Lauf- und Leistungsverhalten der beiden Triebwerke ähnlich ist. Niedrige Drehzahlen unter 3.000 U/min mag auch der 60 Grad-V2 der Pan America in den höheren Gängen nicht wirklich; da läuft die Verbrennung trotz der variablen Ventilsteuerung eher hart ab, so dass man lieber einen Gang runterschaltet. Jenseits dieser Grenze schnurrt das Hochdrehzahl-Aggregat dann umso feiner. Dank genügend Druck in der Drehzahlmitte beschränkt man sich auf Land- und Bergstraßen meist auf den Bereich zwischen 3.000 und 6.500 Touren, die vollen 112 kW/152 PS kW bei 8.750 U/min werden höchst selten vorgespannt. Resultat dieser Fahrweise ist ein geringer Verbrauch: Unsere Land- und Bergstraßenwerte lagen zwischen 4,9 und 5,6 Liter pro 100 Kilometer (Normwert 5,5 Liter); der 21,2 Liter-Tank ermöglicht damit sichere 350 Kilometer ohne Nachtanken. Verbräuche muss man selbst errechnen; eine Anzeige verstieße gegen das US-Denken. Die Restreichweitenanzeige im sonst bestens ausgestatteten, aber mit zu kleinen Info-Anzeigen bestückten Touchscreen-TFT-Display arbeitet exakt.

Größte Stärke der Pan America ist ihre ausgezeichnete Fahrbarkeit: Das fahrfertige Gewicht von 258 Kilogramm - es liegt im Bereich der Wettbewerber - ist ausschließlich beim Rangieren und beim Aufrichten vom Seitenständer lästig; unterwegs gibt sich diese Harley leichtfüßig-agil. Man dreht gerne am Gas. Die Pan America lenkt leicht ein, hält jede Schräglage stabil und läuft auch bei Höchsttempo (220 km/h, abgeregelt) perfekt geradeaus. Dazu prima Bremsen und eine gute Federung, wenn auch keine Sänfte. Der nicht einstellbare Lenkungsdämpfer ist im Sommer so gut wie nicht spürbar, bei einstelligen Temperaturen dagegen überdämpft. Über Seitenkoffer verfügte das Vorserienfahrzeug noch nicht. Kleine, sehr kurvenreiche Straßen fallen mit der Harley leicht, anspruchsvolle Fahrmanöver auf engem Raum dank des üppigen Lenkeinschlags ebenfalls. Offroad liegt die gut austarierte Pan America in etwa auf dem Niveau ihrer Wettbewerber; vergleichende Eindrücke haben wir noch nicht. Aber in dieser Gewichtsklasse ist ohnehin die Geschicklichkeit des Fahrers entscheidend.

Nicht gespart hat Harley-Davidson an der Elektronik-Ausstattung. Fünf sehr unterschiedliche Fahrmodi plus drei individuell konfigurierbare Programme sind mehr als üblich. Das große, neigungsverstellbare Touchscreen-Display und die fünf Bedienungstasten links am Lenker machen viele Justierungen recht einfach, sei es zur Motorbremse, der Intensität der dynamischen Traktionskontrolle, der Wheelie-Kontrolle und mancherlei mehr. Einige Steuerungsfunktionen auf dem Display empfinden wir als wegweisend gut. Leider fehlt manchen Anleitungen im 243 Seiten starken Fahrerhandbuch der nötige Tiefgang, weshalb man gelegentlich im Info-Nebel stochert.

Große Anerkennung verdienen einige technische Lösungen an der Pan America: Das Aufbocken auf den Hauptständer fällt für die Gewichtsklasse leicht, der einrastende Seitenständer bewahrt das Bike im Gefälle vor dem Wegrollen. Sitzposition, Knieschluss, Fußrasten, Bremshebel und Lenker gefallen, der Platz für Fahrer und Sozius ist reichlich, die automatische Blinkerrückstellung funktioniert gut, das Kurvenlicht ist ebenso überdurchschnittlich wie die sehr einfache Höhenverstellung des Fahrersitzes. Als positiv erwiesen hat sich der sehr gute Windschutz; der widerspenstige Revolvergriff des Windschilds erscheint nicht als der Weisheit letzter Schluss. Technisch nicht ganz befriedigen konnte der ruppige Kupplungseingriff bei kaltem Motor; auch schaltete sich das Getriebe in den unteren Gängen etwas zu hart. Aufgefallen ist, dass das Motorrad und mit ihm sein Fahrer bei nasser/schmutziger Straße wegen der arg sparsamen Hinterradabdeckung intensiv eingedreckt werden. Man braucht etwas Geduld beim Tanken, und die starke Hitzeabstrahlung von Motor und Auspuff beim Ampelstopp kann speziell bei warmem Wetter unangenehm sein.

Dass Harley für die Pan American auf längere Sicht noch mehr liefern muss, weiß man in Milwaukee: Die Entwicklung eines Quickshifters zum kupplungslosen Schalten steht bereits auf der Agenda, auch die recht kurzen Wartungsintervalle von 8.000 Kilometern will man längerfristig wohl ändern. Wir hätte noch ein paar weitere Anregungen: Den Tankdeckel und das Lenkschloss in das Keyless-System integrieren, die schwierige Bedienung von Blinker und Hupe vereinfachen, den gern versehentlich bedienten Fernlichtschalter verlegen und die Blockade für Bordcomputer-Einstellungen bei ausgefahrenem Seitenständer beenden. Wenn dann auch noch die 26 Knöpfe, Schalter und Tasten am Lenker hinterleuchtet würden, wäre die Pan America im Wettbewerbsumfeld ganz vorne dran.

Das ist sie bereits mit dem weltweit einmaligen Chassis-Absenksystem ARH (,,adaptive ride hight"), das für die Special-Version als 660 Euro kostende Option angeboten wird. Es reduzierte jedoch am Testbike leider nur direkt nach dem Einschalten der Zündung den Abstand zum Boden um einige, für viele Nutzer sicher wichtige Zentimeter, nicht aber bei jedem Fahrzeug-Stillstand. Dass sich ein Android-Smartphone und die Navigationssoftware der Pan America nur zeitweise mochten, blieb uns ein Rätsel; wir notierten jedenfalls mehrere Verbindungsabbrüche.

Die mit 18.000 Euro vergleichsweise zivil ausgepreiste Harley-Davidson Pan America ist ohne Zweifel eine Bereicherung der Reiseenduro-Szene. Mit ihrem bewusst eigenartigen Design setzt die Pan America eine starke Duftmarke. Eleganz a là Ducati Multistrada ist ihr fremd, Techno-Look a là GS ebenfalls. Uns erscheint sie markant, kräftig, in manchen Bauteilen fast ein wenig derb, was auch von der Verwendung vieler schwarzer Kunststoffteile und vom Verzicht auf optische Leichtigkeit herrühren mag. Durchaus glaubhaft, dass die Designer sich der Ikone ,,Jeep" erinnert haben. Kein Wunder, dass die deutschen Harley-Händler fast alle Bikes, die sie im Lauf der nächsten Wochen bekommen werden, schon verkauft haben.



Technische Daten Harley-Davidson Pan America 1250 Special
Motor: Flüssigkeitsgekühlter 60°-V2 Motor, quer eingebaut, 1252 ccm Hubraum, vier Ventile pro Zylinder, 112 kW/152 PS bei 8.750 U/min., 128 Nm bei 6.750 U/min; Einspritzung, 6 Gänge, Kette.
Fahrwerk: Dreiteiliger Leichtmetallrahmen mit Rohr-, Guss- und Formteilen, Motor mittragend;  4,7 cm Telegabel vorne, semiaktiv geregelt,  19,1 cm Federweg; Aluminium-Zweiarmschwinge hinten, Zentralfederbein, semiaktiv geregelt, 19,1 cm Federweg; Leichtmetallgussräder; Reifen vorne 120/70 R19, hinten 170/60 R 17; 32 cm Doppelscheibenbremse vorne, 28 cm Einscheibenbremse hinten.
Assistenzsysteme: Kurven-ABS, elektron. Bremskraftverteilung, Kurven-Traktionskontrolle, Fahrzeughalteassistent, Reifenluftdruck-Kontrollsystem, acht Fahrmodi (drei frei definierbar), Wegfahrsperre, schlüsselloses Startsystem, Tempomat, Blinker-Rückstellautomatik, Smartphone-Einbindung.
Maße, Gewichte und Verbrauch: Radstand 1,58 m, Sitzhöhe 83/85 cm, Gewicht fahrfertig 258 kg. Tankinhalt 21,2 l; Normverbrauch 5,5 l/100 km, Testverbrauch  4,9-6,7 l/100 km, im Mittel 5,33 l/100 km.
Garantie und Wartung: Zwei Jahre ohne km-Beschränkung; erster Service nach 1.600 km, dann alle 8.000 km.
Preis: ab 17.995 Euro

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