Motorrad

Fahrbericht: BMW K 1600 Grand America - Bis zum Horizont - und weiter...

  • In MOTORRAD
  • 13. August 2019, 13:15 Uhr
  • Ulf Böhringer/SP-X

Bis zum Horizont - und weiter...Die ,,Grand America' zeigt als Vorhut für die ins Auge gefasste Eroberung Amerikas durch BMW Motorrad durchaus Qualitäten - auch in Europa

Gut 900 Meilen, also etwa 1.500 Kilometer, liegt Sturgis von Chicago entfernt, mehr als 2.200 Kilometer sind es gar von San Francisco aus. Sturgis liegt in South Dakota, also im Niemandsland der amerikanischen Prärie, in einem typische Überflugsstaat. BMW hat es dieses Jahr erstmals dorthin geschafft: Die Sturgis Motorcycle Rally war das Ziel, der Anlass der bevorstehende Beginn des bayerischen Eroberungsfeldzuges des amerikanischen Motorradmarkts im Jahr 2020. Man wollte sich den etwa eine halbe Million Besuchern stellen, die alljährlich in den ersten zehn August-Tagen nach Sturgis kommen - mindestens. Größer ist kein Motorradfahrer-Treffen auf diesem Planeten.

Dabei haben die Bayern bereits seit Anfang 2018 ein Motorrad im Programm, das sich dezidiert an amerikanische Kunden wendet und seine Bestimmung deshalb sogar im Namen trägt: Grand America heißt die mit Topcase und Rückfahrhilfe aufgepeppte Version der Bagger-Variante K 1600 B. Sechs Zylinder, gut 1.600 Kubikzentimeter Hubraum, 160 PS, 364 Kilogramm fahrfertiges Leergewicht - die Grand America passt schon von ihren Eckdaten und Dimensionen her ausgezeichnet in das Land der Riesen-Pick-ups und der sechsspurigen Interstate Highways. Dass der Marktanteil von BMW in den USA trotz seit Jahren verstärkter Bemühungen noch immer nicht über einen mittleren einstelligen Prozentsatz hinausgekommen ist, will man in München bekanntlich ändern. In Sturgis zeigte sich zwar Harley-Davidson, wie erwartet, übermächtig, doch unter den nicht-amerikanischen Marken liegen die Bayern mit Honda ungefähr gleichauf, vor allen anderen Mitbewerbern aus Japan, Italien oder England. Insbesondere die Sechszylinder-Modelle sind erstaunlich oft nach Sturgis pilotiert worden, von Denver, Dallas oder San Diego her.

Es trifft sich deshalb gut, dass wir eben erst gut 2.500 Kilometer mit einer solchen BMW K 1600 Grand America zurückgelegt haben, wenn auch auf deutschen Autobahnen, aber auch Bundes-, Landes- und Kreisstraßen. Über Leistung reden wir an dieser Stelle nicht, denn die ist selbstverständlich in jeder Lebenslage einfach da. Ebenso allgegenwärtig ist ein ausgezeichneter Fahrkomfort, egal ob bei zügiger oder beschaulicher Fahrt; das umfasst Schutz vor Wind und Wetter genauso wie Federung, Dämpfung, Sitze und Audio-Anlage. Die ist ab sofort samt zweier ins große Topcase eingebauter Lautsprecher serienmäßig im Preis von nunmehr 26.795 Euro enthalten, denn bislang zählte die Top-Beschallung noch als Sonderausstattung. Auch die zwingend nötige Rückfahrhilfe muss nicht mehr extra bezahlt werden. Dennoch hält die Preisliste noch einige Verlockungen bereit, so dass Interessenten mit einem realistischen Preis von 30.000 Euro rechnen sollten.

Während der Komfort einer voll ausgestatteten Grand Amerika mit Schaltassistent, Keyless Ride samt Zentralverriegelung und integriertem Navigationsgerät über jeden Zweifel erhaben ist, kann man an der Kraftübertragung weiterhin mäkeln. Zu spüren ist mitunter ein deutliches Rucken im Antriebsstrang, aber auch die Gangwechsel hinterlassen gelegentlich Zweifel am geschmeidigen Ineinandergreifen aller Zahnräder. Gut leben lässt sich mit der auf 162 km/h limitierten Höchstgeschwindigkeit der Grand America: Zumindest bis zu diesem Tempo läuft sie auch im Einpersonenbetrieb sauber geradeaus, und man ist auch auf deutschen Autobahnen schnell genug, um längere Etappen flott absolvieren zu können, sollte die Bahn ausnahmsweise mal frei sein. Dank souveräner Motorleistung und erstaunlich großer Schräglagenfreiheit lassen sich auch auf kurvigen Landstraßen hohe Durchschnittstempi erzielen, wobei der Benzinkonsum mit 5,4 Litern pro 100 Kilometer im Test ein bescheidener bleibt.

Die BMW K 1600 Grand America gibt also insgesamt eine gute Figur ab, sowohl in Europa wie auch in der Neuen Welt. Ihre zahlenmäßigen Erfolge sind nicht exakt messbar, weil BMW in der Statistik nicht zwischen der Bagger-Grundversion und der Grand America unterscheidet. Aber einiges weiß man doch: Etwa ein Drittel aller rund 3.500 im Vorjahr verkauften Einheiten ging in die USA, lediglich etwa sieben Prozent blieben in Deutschland.

Jetzt stellt sich nur noch die Frage, wie die Amis - sie haben den weltgrößten Tourer- und Cruisermarkt - auf das im Entstehen begriffene Boxer-Flaggschiff R 18 reagieren werden. Ein Trumm von Motor steckt da drin und viel Besinnung auf die Tradition der Bayern-Marke, dazu gibt's ein Design, dem bislang weltweit so gut wie niemand seine Anerkennung verweigert, ja manche Betrachter sogar zum Niederknien veranlasst hat. Auch in Sturgis wurde die Concept R 18 samt des oberstylischen Custombikes Revival Birdcage durchaus wohlwollend in Augenschein genommen - zumindest von jenen, die nicht gerade ,,in der Harley-Wolle gefärbt" sind.

Das Projekt R 18 ist zweifellos eine besonders sorgsame Entwicklung, steht für BMW Motorrad doch viel auf dem Spiel: Schließlich will man ja einen satten Erfolg holen in Amerika. Insofern wird das Serienfahrzeug bestimmt eine Lösung für den Punkt ,,feet forward" bieten, also das entspannte Ausstrecken der Beine während langer Fahrten auf endlos scheinenden Highways. Auch wenn die breit abstehenden Zylinder des Boxermotors nicht viel Platz für Motorradstiefel lassen, sind BMWs Marketingleute zuversichtlich, dass die Entwickler Erfolg haben werden. Einen Ansatz dafür weist auch die Grand America auf, nämlich sehr günstig montierte, bei schärferer Kurvenfahrt hochklappende Trittbretter. In Amerika funktioniert das System glänzend, muss man auf Tour doch so gut wie nie den 6. Gang verlassen. Das ist in Europa anders, weshalb der Fahrer in diesem Fall zumindest den linken Fuß vom Trittbrett nehmen muss. Wer jetzt meint, wir krittelten auf hohem Niveau, liegt nicht falsch. Aber so ist das halt im Premiumsegment.



BMW K 1600 Grand America - Technische Daten:

Motor: Flüssigkeitsgekühlter Sechszylinder-Reihenmotor, 1.649 ccm Hubraum, 118 kW/160 PS bei 7.750 U/min., 175 Nm bei 5.250 U/min; Einspritzung, 6 Gänge, Kardan.

Fahrwerk: Aluminium-Brückenrahmen, Motor mittragend; vorne Doppellängslenker-Radführung, 11,5 cm Federweg; hinten Aluminiumguss-Einarmschwinge (BMW Paralever), Zentralfederbein, 12,5 cm Federweg; Leichtmetallgussräder; Reifen 120/70 ZR17 (vorne) und 190/55 ZR 17 (hinten). 32 cm Doppelscheibenbremse vorne, 32 cm Einscheibenbremse hinten.

Assistenzsysteme: teilintegrales, kurvenfähiges ABS, zwei Fahrmodi (Road, Cruise), mehrstufiges Dynamic-ESA mit autom. Dämpfungsanpassung, Traktionskontrolle, automat. Blinkerrückstellung, Rückfahrhilfe, Hillstart Control; optional u.a. Schaltassistent, intelligenter Notruf, Zentralverriegelung, Keyless Ride.

Maße und Gewichte: Radstand 1,618 m, Sitzhöhe 75 cm, Gewicht fahrfertig inkl. Koffer 364 kg, Zuladung 196 kg; Tankinhalt 26,5 Liter.

Fahrleistungen: 0-100 km/h ca. 3,2 s, Höchstgeschwindigkeit 162 km/h. Normverbrauch lt. EU4 5,7 l/100 km, Testverbrauch 5,4 l/100 km.

Preis: ab 26.795 Euro

STARTSEITE