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Panorama: Design-Chef im Homeoffice - Barfuß auf der Road to the Future

  • In AUTO
  • 8. Mai 2020, 13:10 Uhr
  • Benjamin Bessinger/SP-X

Die Zentrale in Sindelfingen, weitere Studios in Nizza, Peking und Carlsbad und die Familie in Kalifornien - Gorden Wagener ist viel unterwegs. Umso härter trifft ihn der Lockdown in Corona-Zeiten. Doch der Hausarrest hat für den Designchef nicht nur Nachteile. 

 Es ist halb acht Uhr am Morgen und Gorden Wagener sitzt schon seit geraumer Zeit am Schreibtisch. Schließlich sind seine Kollegen bereits auf dem Weg in den Feierabend. Denn während das Gros seiner Mannschaft die Corona-Krise in Stuttgart aussitzt, hält er zwölf Flugstunden weiter westlich daheim bei der Familie in Kalifornien die Fäden im zusammen. Als Designchef bei Mercedes musste er schon bislang durch die Zeitzonen balancieren und mit Kollegen auf mehreren Kontinenten zusammenarbeiten. ,,Doch in Corona-Zeiten mit Hausarrest und Flugverbot hat sich das alles noch einmal verstärkt", stöhnt der Stilführer.Aber das ist kein Klagelied. Wagener kann der Situation auch durchaus Vorteile abgewinnen, selbst wenn sie eher persönlicher Natur sind: ,,Wenn der Alltag aus Einzelarbeit und Video-Konferenzen besteht, interessiert sich plötzlich keiner mehr dafür, wie wir unter der Tischkante aussehen", sagt Wagener und lässt es mit der Etikette ein wenig lässiger angehen. Wann sonst kann man schon mal in Shorts mit dem Vorstand über kommende Modelle philosophieren oder barfuß über die Road tothefuture wandeln?Aber auch für den Job selbst kann Wagener dem Home-Office ein paar positive Seiten abgewinnen: ,,Wenn der Weg zur Arbeit ins Büro nur noch die paar Schritte vom Frühstücks- zum Schreibtisch sind und die ganze Pendelei entfällt, spart man erstaunlich viel Zeit", hat er festgestellt. Selbst wenn zumindest anfangs viel davon in den endlosen Video-Konferenzen wieder verloren ging. ,,Wir mussten erst einmal eine Routine finden und eine neue Etikette definieren, um dort effizient und zielführend zusammen zu arbeiten."Dabei ist das Arbeiten über Kontinente und Zeitzonen hinweg für die Designer nicht neu. Schließlich sind die vielen Tausend Mitarbeiter in Wageners Mannschaft schon seit Jahrzehnten um die halbe Welt verteilt. Sie sitzen nicht nur in der riesigen Zentrale in Sindelfingen und im neuen Studio an der Coted'Azur. Wagener hat auch ein Design-Team in Peking und in Kalifornien. ,,Videokonferenzen und virtuelle Designpräsentationen gehören deshalb bei uns seit Jahrzehnten zum Tagesgeschäft."In Corona-Zeiten ist das Netz nur noch etwas engmaschiger geworden und seit jeder zu Hause arbeitet, gibt es keine großen Knoten mehr. Allerdings war das mit dem Home-Office trotzdem nicht ganz so einfach, räumt Wagener ein: ,,Viele mussten erst einmal die technischen Voraussetzungen schaffen, ihre Rechner mit nach Hause nehmen und für ausreichend schnelle Datenleitungen sorgen."Dabei gab es aber auch ein paar ungewohnte Fragen zu klären: Weil es bei den allermeisten digitalen Meetings um künftige Modelle geht und sich die Hersteller da nicht gerne  in die Karten schauen lassen, musste auch die Werkssicherheit ran und die nötige Verschlüsselung garantieren.Aber auch mit der besten Ausstattung im Home-Office mussten sich die Design-Prozesse ändern, um den Laden am Laufen zu halten.  ,,Klar, hat jeder von uns einen Skizzenblock und Zeichenstifte zu Hause und die nötigen Programme auf dem Rechner. Aber selbst der größte Bildschirm kann unsere Powerwalls nicht ersetzen, auf denen wir kommende Modelle in 1:1 simulieren", sagt Wagener und hat im Team deshalb erstmal eine Ladung VR-Brillen verteilt. Und auch mit dem Knetgummi aus dem Kinderzimmer, mit Bastelton oder Salzteig aus dem Backofen lässt sich die plastische Arbeit am Ton-Modell, das filigrane Fräsen der Formen und das Herausarbeiten einzelner Lichtkanten und Linien nicht nachahmen. ,,So gut wir in der virtuellen und animierten Welt sind, so schwer lässt sich dieses haptische, handwerkliche Arbeiten ersetzen." Kein Wunder, dass deshalb noch immer Modelleure in Sindelfingen ein- und ausgehen und an den großen braunen Blöcken formen - natürlich immer mit Abstand, mit reduzierter Teamgröße und versetzten Arbeitszeiten.Nur eine Gruppe in Wageners Team hat gut lachen: Denn am wenigsten geändert hat sich für die Kollegen im UX-Design, einer vergleichsweise neuen Disziplin, die aber zunehmend an Bedeutung gewinnt. ,,Die so genannte User Experience, also das Anzeige- und Bedienkonzept, wird ohnehin fast ausschließlich am Rechner gestaltet. Da muss sich niemand groß umstellen." Zwar musste sich Wageners Mannschafft vom Designer bis zum Modellbauer neu organisieren und natürlich fehlt dem obersten Kreativen der persönliche Kontakt zu den Kollegen genauso wie die physische Arbeit am Ton-Modell. Doch ist der Designchef überzeugt, dass sein Bereich gut durch den Lockdown kommt und keine Zeit verliert. Am Design soll es nicht liegen, sagt Wagener mit Blick auf den fragilen Zeitplan für die kommenden Premieren: ,,Wir sind diejenigen, die das Tempo hochhalten."

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