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Tradition: 50 Jahre BMW Touring 1600 bis 2002 tii - Die Zukunft im schnellen Rücken

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Als erste deutsche Kombi-Limousine mit geteilter Rücksitzbank wird der von Paul Bracq gezeichnete BMW Touring 1600/1800/2000/2000 tii (letzterer mit Kugelfischer-Benzineinspritzung) 1971 vorgestellt Foto: BMW Group Archiv

Dieses Auto wies den Weg in die Zukunft des sportiven Lifestylekombis, fuhr aber seiner Zeit noch zu weit voraus. Der BMW Touring der legendären 02-Serie bot alles, was die Sportfahrer-Fraktion der frühen 1970er liebte. Dennoch verkörperte sein Konzept zwischen Coupé und Kombi für konservative Käufer zu viel Avantgarde.

Coupé oder Kombi, das fragten sich die BMW-Fans vor 50 Jahren, als die Bayern ihre bereits ikonischen 02-Sportlimousinen überraschend in der extravaganten dreitürigen Karosserieversion Touring und mit den Typencodes 1600 bis 2000 tii präsentierten. ,,Ihre universelle Verwendbarkeit macht sie gleich geeignet als rasantes Instrument ambitionierter Sportfahrer wie als Zweckfahrzeug der wirtschaftlich denkenden Familie", erläuterte das Pressecommuniqué, ohne wirklich eine Antwort zu geben. Allerdings: Billige Zweckfahrzeuge waren die von Medien als ,,Hochleistungslimousine mit Heckklappe", als Sportkombi oder als Shootingbrake bejubelten Touring-Typen nie. So bewegte sich bereits das nur 63 kW/85 PS abgebende Basismodell Touring 1600 auf dem Preisniveau starker Sechszylinder von Ford oder Triumph. Andererseits durfte Avantgarde schon damals mehr kosten als Massenware, wie die frühen Fastback-Trendsetter Fiat Dino oder Audi 100 Coupé gezeigt hatten. Schräge Heckabschlüsse waren schick und wer noch mehr Mut hatte, wagte gleich einen Shootingbrake á la Reliant Scimitar GTE oder Volvo 1800 ES. In diese Reihe kühner Design-Meilensteine fügten sich 1971 die ersten BMW Touring Modelle. Keines dieser Fastback-Modelle brachte es zu spektakulären Stückzahlen, die Münchner mit dem schnellen Rücken immerhin auf stattliche 30.000 Einheiten in drei Jahren. Ganz große Zahlen gelangen dann erst dem 3er Touring (E30), der 1987 als Lifestyle-Kombi antrat.

Kompakter BMW mit großer Klappe, das war 1971 eine gelungene Überraschung, vor allem als Kraftprotz 2000 tii mit 96 kW/130 PS durch eine Kugelfischer-Einspritzung, die einen Hauch Hightech vermittelte - bevor zwei Jahre später die kaum zu bändigende 2002 Limousine die wilde Turbo-Ära einleitete. Allerdings gelang es bereits dem spurtstarken Touring 2000 tii, gehörig Staub aufzuwirbeln, glänzte er doch mit Beschleunigungswerten, die sogar einen Porsche 911 T in Verlegenheit brachten. Rasante 8,8 Sekunden für den Sprint aus dem Stand auf 100 km/h, damit lieferte der Injection-Touring 1971 eine Ansage, gegen die auch der rasende ,,Schneewittchensarg" Volvo 1800 ES chancenlos war, nicht einmal der brandneue Mercedes 350 SL mit V8-Power konnte es besser. Verstärkt wurde der adrenalinhaltige Charakter des Touring 2000 tii durch ein optionales Rallye-Paket mit breiten Alurädern, Sportsitzen und anderen Details, die von sportlichem Lifestyle erzählten.

Der agile Touring passte perfekt zum sportiven Markenimage, das sich BMW seit Vorstellung der viertürigen ,,Neuen Klasse" im Jahr 1961 aufgebaut hatte. Diese Neue-Klasse-Viertürer der Typen 1500 bis 2000 tii lieferten fünf Jahre später die konstruktive Basis für den kompakten zweitürigen 1600 als Urvater der 02-Familie, die die ,,Freude am Fahren" abermals in eine neue Klasse katapultierte. Aus heutiger Sicht kaum mehr vorstellbar, aber Mitte der 1960er schienen die kleinen Dynamiker ein Wagnis, weil sie ungewohnt kostspielig waren. Gewiss, es gab schon die Alfa Giulia und auch Triumph bereitete handliche, nicht gerade billige Renner für junge Familien vor. Das Risiko, eine 4,23 Meter kurze zweitürige Stufenhecklimousine - Prestige verlangte damals optische Größe - zu Premiumpreisen einzuführen, ging jedoch allein BMW ein. Und dann das: Als der flotte 1600 Verstärkung durch furiosere ti-Versionen und den 2002 erhielt, gab es warnende Medienstimmen, die Bedenken äußerten, ob derartige Pulsbeschleuniger nicht die ohnehin explosionsartig gestiegenen Zahlen in der Verkehrsunfallstatistik mit dem traurigen Allzeitrekord von deutlich über 21.000 Getöteten im Jahr 1970 (sieben Mal mehr als heute) noch negativer beeinflussen würden. Von ,,übermotorisierten Kleinen" und ,,Rasern mit Rallyestreifen" war die Rede.

Assoziationen an Rallyestreifen trug der 2002 zwar allenfalls im zweifarbigen Kühlergrill, ansonsten waren die 02-Limousinen preislich und vom Radstand eigentlich sogar der Mittelklasse zuzuordnen, dennoch schien es für BMW gut, frühzeitig in eine Rückversicherung zu investieren, den Dreitürer. Tatsächlich hatten die Bayerischen Motoren Werke einen allerersten Fastback-Sportkombi sogar schon kurz vor dem Debüt der 02-Serie eingekauft: Zum Portfolio des im Januar 1966 übernommen Wettbewerbers Glas im niederbayerischen Dingolfing gehörten nicht nur die Werksanlagen, die später die Heimat des ersten 5er BMW werden sollten, sondern auch sportive, technologisch fortschrittliche Modelle wie der 1304 CL mit Shootingbrake-Anklängen. Diese spiegelten sich in den langen hinteren Seitenfenstern, der großen Heckklappe und einer temperamentvollen Motorisierung. Nach nur zwei Jahren bereinigte BMW sein Modellangebot um die Glas-Typen, aber das Glas-Logo tarnte fortan Erlkönig-Prototypen der 02-Serie, die das Touring-Konzept testeten. Der im Versuch intern vorläufig ,,City" genannte Praktiker orientierte sich anfangs an den Abmessungen des BMW 02. Dann aber wurde der hintere Überhang um zwölf Zentimeter auf minimalistische 4,11 Meter gekürzt (das eines heutigen Cityflitzers, etwa vom Format des VW Polo), die Dachlinie um drei Zentimeter reduziert, und fertig war ein neu gedachter 02-BMW, mit dem die Öffentlichkeit nicht gerechnet hatte.

Die Vorstellung des 02-Touring verzögerte sich jedoch, zu gut liefen die Zweitürer, und BMW scheute die Kosten für eine zusätzliche Produktlinie. Im Jahr 1971 passte aber alles: Die 02-Reihe konnte eine Auffrischung vertragen, der frisch inthronisierte BMW-Vorstandsvorsitzende Eberhard von Kuenheim gab sein ,,Go" und die Autowelt hatte ihre kleine Sensation in jenem Jahr, als die Neuheiten-Show der IAA Frankfurt erstmals ausfiel. Automobile mit mehr Variabilität und Nutzwert passten in die 1970er, denn Freizeit und Urlaub bekamen einen höheren Stellenwert und so streiften Kombis das Handwerkerimage ab. Aber ein Touring mit Raffinessen wie der innovativen, geteilt umlegbaren Rückbank sowie mit feinem Teppich auf dem Ladeboden und Reserverad in separatem Fach, dafür ohne verstärkte Hinterachse wie bei konventionellen Lastenträgern, spielte in einer neuen Liga: Der Nische zwischen exaltiert teuren Shootingbrakes und konventionellen Kombis, ein Feld, auf dem ab 1973 auch Saab mit dem dreitürigen 99 Combi Coupé spielte.

Marktnischen mit kreativen Konzepten zu erschließen war seit Präsentation der Neue-Klasse-Baureihe im Jahr 1961 eine Spezialität von BMW und dieses Talent half nun auch beim Touring als finaler Karosserieversion der 02-Reihe. Die hohen Stückzahlen der Limousine erreichte der Touring zwar nicht, aber er lenkte frische Aufmerksamkeit auf die ganze Baureihe, die so 1974 mit insgesamt 111.239 Einheiten ihr bestes Jahresergebnis erreichte. Damit hatte der Touring seinen Zieleinlauf erreicht, dies mit den Typencodes 1802, 2002 und 2002 tii, denn seit 1973 durften sich endlich auch die Dreitürer mit der 02 schmücken. Manchmal wiederholt sich Geschichte: Auch der folgende BMW Touring, der 3er (E30), debütierte 1987 erst fünf Jahre nach der Limousine und brachte so neuen Elan in die Baureihe.



Chronik:
1961: Der Jaguar E-Type wird vorgestellt und avanciert in den Folgejahren zum ersten Inbegriff des begehrenswertesten Gran Turismo mit großer Ladetür am Heck
1966: Präsentation des BMW 1600 als Vorbote der zweitürigen sportiven Kompaktlimousine auf Basis der neuen Klasse zum 50. Unternehmensgeburtstag am 7. März in der bayerischen Staatsoper in München. Drei Tage später feiert der BMW auf dem Genfer Salon Messepremiere. Schon im ersten Jahr verkauft BMW 13.244 Einheiten des Typs 1600-2. Im August startet der zum Jahresbeginn von BMW übernommene bayerische Autobauer Glas mit der Serienfertigung des Typ 1304 CL als dreitürige Schrägheck-Limousine im Stil eines Shootingbrakes. Als Showcar wurde der Glas CL schon 1965 gezeigt. Das Design des CL wurde bei Frua entwickelt. Sportive Avantgarde aus Frankreich vermittelt 1966 das Peugeot 204 Coupé mit Heckklappe und Frontantrieb
1967: Erste Prototypen des BMW Touring werden gesichtet mit Glas-Logo zur Tarnung. Vorstellung und Marktstart des 1600 TI mit zwei Doppelvergasern und 105 PS Leistung. Der BMW 1600-2 erzielt 38.572 Zulassungen
1968: Im Februar Markteinführung des BMW 2002 und im September des 2002 ti mit Doppelvergasermotor. Schon im ersten Produktionsjahr werden 29.000 Einheiten des Typs 2002 abgesetzt. Einsatz des 2002 bei Rundstreckenrennen und wenig später auch bei Rallyes. Im April entfällt der Glas 1304 CL aus dem BMW-Glas-Programm. Der vorläufig intern als ,,City" bezeichnete BMW 02 Touring wird für eine mögliche Präsentation auf der IAA 1969 vorbereitet  
1971: Facelift der 02-Reihe, optisch erkennbar an seitlicher Schutzleiste. Als erste deutsche Kombi-Limousine mit geteilter Rücksitzbank wird der von Paul Bracq gezeichnete BMW Touring 1600/1800/2000/2000 tii (letzterer mit Kugelfischer-Benzineinspritzung) vorgestellt. In Frankreich erfolgt die Vermarktung als Kombi-Coupé. Ungewöhnlich und kreativ war die Ausstattung des Touring mit einzeln umlegbaren Rücksitzen und einer ebenen Ladefläche. Die Preise für den Touring 1600 beginnen bei 10.940 Mark, für den Touring 1800 bei 11.460 Mark, für den Touring 2000 bei 11.544 Mark und für den Touring 2000 tii bei 13.653 Mark. Der neue Volvo 1800 ES folgt ebenfalls der Sportkombi-Idee, bewegt sich aber preislich deutlich oberhalb des BMW Touring
1972: Einstellung des BMW Touring 1600 und des Touring 2000 Automatic. Das Touring-Angebot wird damit reduziert auf die Typen Touring 2000 und 2000tii
1973: Facelift für alle 02-Modellen mit einteiligem mattschwarzem Kühlergrill, breiterer und flacherer Niere und neuen Rädern. Dazu rechteckige Rückleuchten, während jedoch der Touring die runden Rücklampen bewahrt. Kopfstützen, Sicherheitsgurte vorn und aufpralloptimiertes Vierspeichen-Lenkrad nun bei allen 02-Modellen serienmäßig. Neue Ausstattungslinie ,,L". Neue Nomenklatur bei den Touring-Typen als 1802 (die 90-PS-Version mit 1,8 Liter Hubraum wird erst jetzt angeboten), 2002 und 2002 tii. Aus Schweden ergänzt das Saab 99 Combi Coupé das Angebot sportiver Dreitürer  
1974: Einstellung der Touring-Modelle im April. Mit 111.239 Einheiten erlebt die 02-Reihe ihr erfolgreichstes Jahr
1987: Im August stellte BMW der Presse den 3er (E30/3) als Touring vor, die Publikumspremiere erfolgt im September auf der Frankfurter IAA. Besonderheiten des ersten Premium-Großserienkombis in der Mittelklasse sind der nahezu ebene, mit Teppich ausgelegte Laderaum und vollständig abgedeckte Radhäusern mit integrierten Staufächern und Boxen für das Soundsystem. Nachteilig für die Beladung sind die feststehenden, breiten Rückleuchten
1991: Mit dem BMW 5er (E34) wird im September die erste Touring-Version dieser Baureihe eingeführt
1995: Im März startet die neue 3er Touring Generation (E36/3) im Handel, das Touring-Konzept ist nun so etabliert und erfolgreich, dass bis heute alle BMW 3er und 5er auch als Touring erhältlich sind
2001: Die BMW-Touring-Modelle der 02-Serie werden 30 Jahre alt und damit Kandidaten für das amtliche H-Kennzeichen
2021: Das BMW Touring Konzept und die Typen BMW Touring 1600 bis 2000 werden 50 Jahre alt und von der Community gefeiert

Produktionszahlen:
Insgesamt 30.207 Einheiten (1971-1974), davon
BMW Touring 1600: 4.379 Einheiten (1971-1972)
BMW Touring 1802: 4.075 Einheiten (1973-1974)
BMW Touring 2000/2002: 15.969 Einheiten (1971-1974)
BMW Touring 2000 Automatic: 989 Einheiten (1971-1972)
BMW Touring 2000/2002 tii: 5.783 Einheiten (1971-1974)

Motorisierungen:
BMW Touring 1600 mit 1,6-Liter-Vierzylinder-Benziner (63 kW/85 PS)
BMW Touring 1802 mit 1,8-Liter-Vierzylinder-Benziner (66 kW/90 PS)
BMW Touring 2000/2002 mit 2,0-Liter-Vierzylinder-Benziner (74 kW/100 PS)
BMW Touring 2000 tii/2002 tii mit 2,0-Liter-Einspritz-Vierzylinder-Benziner (96 kW/130 PS)

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