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Impression: Bentley Arnage Red Label trifft auf den Bentley Flying Spur W12 - Man gönnt sich ja son

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Der Arnage ist ein Vierteljahrhundert alt, der Flying Spur ist noch als Neuwagen zu haben Foto: Patrick Broich/SP-X

Vor fast einem viertel Jahrhundert ließ Bentley seinen damals neu entwickelten Arnage auf die Straße - damals waren Bentley und Rolls-Royce noch unter dem Dach des Rüstungskonzerns Vickers vereint. Heute bleibt Fans großer Luxuslimousinen nur noch der Bentley Flying Spur mit weniger Hubraum, aber mehr Zylindern als beim Vergleichskandidat Arnage Red Label. Doch das war nicht immer so. 

SP-X/Köln. So verwirrend und dramatisch das Gezerre hinter den Kulissen von luxuriösen Automarken manchmal auch ist - der Kunde mit potentem Kontoauszug bekommt davon wenig mit und kann seiner automobilen Lust frönen. Fakt ist aber auch, dass der chronische Geldmangel von Luxusmarken deren Produkte ganz schön zeichnet in Form oft veralteter Technik. Als der Bentley Brooklands 1998 beispielsweise endlich durch den Arnage abgelöst wurde, war die betagte Limousine (Debüt 1980) ganz schön ausgebrannt. Zwar waren Bentley und Rolls-Royce damals noch in einer Hand, und zwar der des britischen Vickers-Konzerns, aber längst hatte BMW auf Entwicklungsebene seine Finger im Spiel bei der Realisation des Arnage. So kam es auch, dass der Bentley den Achtzylinder der Baureihe M62 aus dem Hause BMW erbte - hier aber turboaufgeladen. Und der in alter Tradition baugleiche Rolls-Royce Silver Seraph bekam schlicht den Zwölfzylinder aus der BMW-Siebenerreihe E38, hier in identischer Ausführung mit 326 PS.

Doch als Volkswagen nach einem Bieterstreit zwar Bentley Motors übernehmen konnte, die Markenrechte an Rolls-Royce allerdings zu BMW wanderten, hatten die Wolfsburger ein Problem - BMW dachte gar nicht daran, Bentley weiterhin Motoren zu liefern. Doch Ferdinand Piëch machte aus der Not eine Tugend, nahm einfach den alten 6,75-Liter-V8 als Vorlage und modernisierte das Triebwerk so grundlegend, dass nur wenige Teile gleichblieben. In der Folge spendierten die Ingenieure dem Arnage Red Label eben exakt diesen Riesen-V8, wie er auch im Vergleichsfahrzeug steckt, das aus dem Jahr 2001 stammt. Heute sind die Zeiten längst andere, allerdings tat der legendäre ,,Sechsdreiviertel" bis vor zwei Jahren noch Dienst im großen Mulsanne - ebenfalls inzwischen auf dem Altenteil.

Und auch wenn die Ära riesiger Verbrenner langsam dem Ende zugeht - noch ist sie nicht vorbei, und Fans großer Limousinen mit üppigen Motoren kommen aktuell noch auf ihre Kosten. Statt klassischer V8-Klänge aus acht Töpfen, dirigiert der Sechsliter des Flying Spur-Topmodells ein zwölffaches Ensemble - allerdings mit Synthesizer-Elementen, um in der Musikwelt zu bleiben. Längst hat das gesetzt-sonore Zwölfzylinder-Summen sportlich-schnaubenden Tönen platzgemacht und es wird zunehmend schwieriger, den Zwölfender akustisch zu identifizieren. 

Der Bentley Flying Spur ist nach wie vor eine Luxuslimousine, aber nicht mehr nur samtig-sanft, wenngleich das für die herrschaftlichen Sitze sehr wohl zutrifft. Aber nicht für das tendenziell straff abgestimmte Luftfahrwerk, womit der Zweieinhalbtonner halbwegs behände um die Ecken fegen kann, wenn der Fahrer Lust darauf bekommt.

Aber am Ende des Tages geht es um maximalen Reisekomfort, eine Disziplin, die beide hier thematisierten Kandidaten exzellent beherrschen. Der betagte Arnage vielleicht noch etwas mehr im ursprünglichen Sinne. Er beeindruckt durch Souveränität in Reinform. Der Sechsdreiviertel muss weder viel sagen noch viel tun. Seine Kurbelwelle macht 835 Newtonmeter locker, und das bei 2.100 Umdrehungen. Kein Wunder, dass hier ein Vierstufenautomat völlig reicht, um dem Fahrer ein breites Grinsen auf das Gesicht zu zaubern. Die frühen Versionen mit BMW-Maschine hatten noch fünf Gänge. Am Ende sind 6,3 Sekunden für den Sprint von null auf 100 km/h kein irrer Wert, aber die Art der Kraftentfaltung fasziniert schon. Dazu kommt ein seidig abgestimmtes Fahrwerk, das zusammen mit den 17-Zöllern der 55er-Serie Wohlfühlstimmung aufkommen lässt. 

Beim neuen Modell haben die Federelemente deutlich mehr zu tun angesichts 305er Walzen mit 35er-Niederquerschnitt und 21 Zoll. Die Welt ist schneller geworden, was auch an den Fahrleistungen des Flying abzulesen ist. Dessen 900 Newtonmeter stehen sogar schon ab 1.350 Touren zur Verfügung, aber trotzdem animiert er zur Drehzahl. Man möchte schon rausfinden, wie es sich anfühlt, mit einem 5,32 Meter-Schiff innerhalb von 3,8 Sekunden auf 100 km/h zu beschleunigen. Und der Vortrieb endet gar erst bei 333 km/h - irgendwie absurd. Aber auch cool. Unter voller Last lässt der Flying seine Gäste tief in den Ledersesseln versinken, hält auf der Autobahn selbst mit potenten Sportwagen Schritt, bekommt eine kehlige Klangfarbe, behält aber auch stets die gedämpfte Lounge-Atmosphäre bei. Der Arnage kann auch ganz schön rennen, beschleunigt beschwingt und eilt über die 200 km/h-Schwelle, erreicht mit dem entsprechenden Anlauf sogar 250 Sachen. Kann man machen, muss man aber nicht.

Den konservativen Autofans, die sich ärgern, dass ein Großserienhersteller wie Volkswagen das Zepter über Bentley übernommen hat sei gesagt: Das ist das Beste, was der Marke passieren konnte. Ohne VW gäbe es wohl kein Infotainment auf der Höhe der Zeit vom gestochen scharfen Head-up-Display bis zum schnell reagierenden Touchscreen. Und natürlich blickt die Fahrer auf ein Kombiinstrument, das aus TFT-Fläche besteht. Hinzu kommen technische Entwicklungen, die 48 Volt Spannung erfordern, sei es die Hinterachslenkung oder der Wankausgleich über elektrisch angetriebene Stabilisatoren. 

Keine Frage, die Lösung des Arnage besticht ebenfalls - klassische Tachoskalen haben etwas. Und schöner wohnen ist hier wie da angesagt. Wo beim Flying Klavierlack prangt, sieht man im Arnage hochglanzpoliertes Wurzelholz. Und noch feiner - ein Ensemble aus vielen klassischen Rundanzeigen für Batteriespannung, Öldruck, Tankfüllstand und Wassertemperatur in der Mittelkonsole wecken nostalgische Erinnerungen wach. Aber Moment! Das kann der Flying auch - auf Knopfdruck lässt sich der moderne Touchscreen gegen drei Skalen mit mechanischen Anzeige tauschen, auf denen man Dinge wie die Außentemperatur, die Himmelsrichtung oder eine gestoppte Zeit ablesen kann.

Viel Leder und massives Metall bieten Arnage wie Flying Spur - beste Verarbeitung sowieso. Legendär ist bei derart großen Limousinen freilich der Komfort im Fond. Beinfreiheit bis zum Abwinken, Fauteuils zum Träumen. Leider bleibt der Flying Spur für viele Interessenten als Neuwagen aber ein Traum angesichts eines Grundpreises von 180.400 Euro. Aber alleine das Zusammenstellen macht Spaß, schließlich bietet der Konfigurator schon knapp 60 Außenfarben. Sonderausstattungen im Wert eines Kompaktwagens sind außerdem ganz schnell geordert. Dagegen ist der Bentley Arnage ein wahres Schnäppchen, die Preise in den einschlägigen Autobörsen starten nämlich bei etwas über 20.000 Euro. Wer allerdings keinen versierten Schrauber an der Hand hat, sollte noch einmal den gleichen Kurs für etwaige Werkstattkosten einkalkulieren. Ganz zu schweigen von Spritkosten und Steuer. Aber man gönnt sich ja sonst nix.



Bentley Arnage Red Label (ab 2001) - technische Daten:

Viertürige Limousine der Luxusklasse, Bauzeit: 1998 bis 2010, Länge: 5,39 Meter, Breite: 1,93 Meter, Höhe: 1,52 Meter, Radstand: 3,12 Meter

6,75-l-V-Achtzylinder-Ottomotor mit Single-Turboaufladung, Hinterradantrieb, 298 kW/405 PS, maximales Drehmoment: 835 Nm bei 2.100 U/Min., 0-100 km/h: 6,3 s, Vmax: 249 km/h, Viergang-Wandlerautomatik

Ehemaliger Neupreis (2003): ab 259.210 Euro

Bentley Flying Spur W12 (aktuell) - technische Daten:

Viertürige Limousine der Luxusklasse, Länge: 5,32 Meter, Breite: 1,98 (mit Außenspiegeln 2,22) Meter, Höhe: 1,48 Meter, Radstand: 3,19 Meter

6,0-l-W-Zwölfzylinder-Ottomotor mit doppelter Turboaufladung, Allradantrieb, Leistung: 467 kW/635 PS, maximales Drehmoment: 900 Nm ab 1.350 U/Min., 0-100 km/h: 3,8 s, Vmax: 333 km/h, Achtgang-Automatik (Doppelkupplung), Durchschnittsverbrauch: 14,8 l/100 km (WLTP), CO2-Ausstoß: 337 g/km, Grundpreis: ab 180.400 Euro

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