Oldtimer

Tradition: 50 Jahre Peugeot 104 - Minimalist im Maßanzug

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Peugeot präsentiert 1972 das Modell 104 mit Schrägheck als damals kürzesten europäischen Viertürer Foto: Peugeot

Er war ein Meisterwerk italienischer Alta Moda und dies in knalligen Farben der Prilblüten-Ära: Den sensationell kleinen Peugeot 104 entwarf Pininfarina 1972 für die Löwenmarke, später aber wurde das preisgekrönte Design wie ein Pop-Art-Kunstwerk in vielen Variationen aufgelegt und auch unter anderen Marken verkauft

Die Italiener liebten dieses vor 50 Jahren enthüllte Meisterwerk des Ferrari-Hausdesigners Pininfarina anfangs sogar mehr als die Franzosen. Vielleicht weil der ultrakurze und vom Maestro in vollendeter Eleganz eingekleidete Peugeot 104 maßgeschneidert wirkte für die vornehmen Altstadt-Quartiere von Rom, Mailand oder Florenz. Centri storici, die nur über schmale Gassen erreichbar waren und bis dahin vor allem von winzigen Fiat oder Autobianchi bevölkert wurden. Aber ein familientauglicher Viertürer von lediglich 3,58 Meter Länge?

Dieses Raumwunder realisierte Peugeot 1972 als einziger europäischer Autobauer und toppte es zwei Jahre später mit dem nochmals 22 Zentimeter kürzeren, nun aber dreitürigen Peugeot 104 ,,C" wie ,,Compact". Als dann auch noch der Viertürer mit weit aufschwingender fünfter Tür vorgestellt wurde, war Peugeots bis heute kleinste Großserienbaureihe komplett und auf dem Weg zum Millionenerfolg - und dies ganz ohne damals angesagte modische Provokationen à la Plastikstoßfänger (Renault 5), Primitivausstattung (VW Polo in Basislinie) oder altertümlichem Heckmotor in frischem Fastback-Design (Fiat 133 & 126). Stattdessen präsentierte sich der Peugeot 104 in stilprägender, unaufgeregter Couture nach Art eines Armani-Anzugs. Alta Moda, die 16 Jahre aktuell blieb und auch die Konzernzwillinge des Peugeot 104 einkleidete, also Citroen LN (1976) und Talbot Samba (1981). Damit avancierte der Peugeot 104 zum frühen Protagonisten einer Mehrmarken-Plattformstrategie, wie sie Produktplaner bis heute lieben.

Vor allem aber lancierte der Peugeot 104 die kleinste Modellnummer im Programm der Löwenmarke, die 100er Serie. Eine Baureihe, die über den 1991 gestarteten 106 (inklusive früher batterieelektrischer Versionen 2,8 Millionen Mal verkauft), den im Jahr 2004 aufgelegten, kuriosen Schiebetüren-Typ 1007 (nur 124.000 Exemplare), den 2005 gezündeten 107 (819.000 Einheiten) bis zum seit 2014 in rund 430.000 Einheiten verkauften Peugeot 108 reicht. Nicht zu vergessen die weiteren Parallelmodelle der Schwestermarke Citroen wie Saxo und C1. Eine bemerkenswerte Cityflitzer-Geschichte, deren Schlussakkord allerdings zum 50. Jubiläum des Peugeot 104 gespielt wurde. Künftig beginnt der Einstieg in die Kleinwagenwelt mit Löwenlogo beim Typ 208, denn die Kooperation mit Toyota über eine gemeinsame Produktion der Drillinge Peugeot 108, Citroen C1 und Toyota Aygo wurde von den Franzosen gekündigt.

Tatsächlich startete bereits die Entwicklung des Peugeot 104 mit einer geplatzten Kooperation. So sollte es damals zu einem Joint-Venture mit Renault kommen, das vorsah, Peugeot- und Renault-Fahrzeuge in einer gemeinsamen Fabrik vom Band rollen zu lassen. Realisiert wurde am Ende aber nur die Entwicklung von Motoren und technischen Komponenten für verschiedene Modellreihen. Dabei sollten sich Peugeot 104 und Renault 14 Vorderachse, Getriebe, Bremsanlage und Auspuff teilen, eine Verwandtschaft, die durch komplett unterschiedliche Karosseriedesigns kaschiert wurde. Als zeitloser Longseller etablierte sich allein das Modell 104 in den kantigen und klaren Konturen des Peugeot-Hausstilisten Pininfarina, der sich in seinem Studio im piemontesischen Grugliasco streng an das aus Sochaux geschickte Lastenheft gehalten hatte: Danach hatte das Projekt PF 944 einen reisetauglichen Frontantriebs-Mini zum Ziel, einen Viertürer mit damals extralangem Radstand von 2,42 Metern und am Ende sensationellen 700 Liter Stauraum für Freizeitgepäck und Sportgeräte.
Anfangs fehlte zwar - ähnlich wie beim Fiat 127 - noch die Heckklappe, aber sobald diese verfügbar war, nahmen die Verkaufszahlen des in trendig-leuchtenden Farben lackierten Peugeot Tempo auf. Beschleunigt wurde die Karriere der kleinsten Nummer mit Löwen-Logo durch formidable Fahrleistungen. Bereits das 1,0-Liter-Basisaggregat mit 33 kW/45 PS machte den 780 Kilogramm leichten familientauglichen Viertürer ähnlich schnell wie die bis zu zwei Klassen größeren Ford Taunus (1300), Renault 12 oder VW 1600. Noch agiler waren später die coupéartigen Dreitürer 104 C und ZS oder gar der GTI-Vorläufer 104 ZS Rallye mit Spoilern und Kotflügelverbreiterungen und 59 kW/80 PS Leistung, in kleiner Zahl sogar mit 68 kW/93 PS. Dieses muskulöse Löwenbaby zeigte in Sprintderbys sogar manchem BMW 3er, Ford Capri oder Opel Manta seine scharfen Krallen. Die Herzen der Frauen gewann der kleine Peugeot dagegen durch exklusive Metalliclackierungen und leuchtende Farben wie korallrot, zitrusgelb oder südfruchtorange, passend zum Zeitgeist der 1970er, der es poppig-bunt liebte.
Nicht alle Karosseriekonzepte der Peugeot-104-Familie fanden den Weg in die Serie: Eine Stufenhecklimousine (1975), Kombi (1975), Pick-Up (1976), der aufregende Roadster Peugette (1976) und das Sicherheitsfahrzeug 104 VLS (Vehicule Léger de Sécurité) blieben nur Studien. Der Roadster Peugette machte immerhin Karriere als Attraktion aller großer Automobilmessen.

Dagegen lieferte der 3,36 Meter kurze Peugeot 104 C die Vorlage für zwei Rettungswagen: Das frugal-freche Citymobil Citroen LN von 1976 und den fröhlichen Talbot Samba von 1981, der als auch als Cabriolet - kreiert und in Serie gebaut von Altmeister Pininfarina - Geschichte schrieb. Kürzer und preiswerter als der Sonnensegler von Talbot war in den 1980ern kein offener Viersitzer.

Doch der Reihe nach: 1976 übernahm Peugeot den angeschlagenen Rivalen Citroen. Da Citroen keinen finanziellen Spielraum für neue Modelle hatte, implantierte die Marke mit dem Doppelwinkel den Zweizylinder-Motor der legendären ,,Ente" 2 CV in den dreitürigen Peugeot 104, minimalisierte dessen Ausstattung und - voilà -   fertig war der Citroen LN. Dieser ,,Spatz aus Paris", wie er vor allem in Deutschland beworben wurde, konnte später auch als LNA mit kräftigem Vierzylinder (ab 1978) oder in feiner ausgestatteten Sondermodellen wie LNA Cannelle und LNA Prisu (ab 1984) erworben werden, sich jedoch nie richtig am Markt durchsetzen. Zu sehr fehlten ihm die Citroen-typische Eigenständigkeit und der Charme der anderen Minimalisten dieser Kultmarke. Immerhin verkörpert der LN den Urvater aller folgenden dreitürigen Cityflitzer von Citroen bis hin zum Citroen C1.

Den Untergang der finanziell maladen Marke Talbot verzögern, aber nicht aufhalten: So sah die Erfolgsbilanz des Samba aus. Peugeot hatte 1978 die europäischen Chrysler-Tochtergesellschaften übernommen und Simca sowie die britischen Rootes-Marken in Talbot umbenannt. Drei Jahre startete der auch im Motorsport aktive kleine Talbot Samba als Zwilling des dreitürigen Peugeot 104. Aber spätestens mit der Markteinführung des modernen Millionsellers Peugeot 205 (1983) wollten die früheren Simca-Kunden nicht länger Samba tanzen. Auch der Peugeot 104 verschwand nun von wichtigen Märkten wie Deutschland, das endgültige Adieu erfolgte jedoch erst 1988. Heute sind die kleinen Charmeure rar wie klassische Bugatti. Gleich ob Peugeot 104, Citroen LN oder Talbot Samba, fast alle entschwanden bei Autoverwertern ins Nirwana der Geschichte.



Chronik
1972: Peugeot präsentiert das Modell 104 mit Schrägheck als damals kürzesten europäischen Viertürer. Einziger Motor ist zunächst ein 34 kW/45 starker 1,0-Liter-Vierzylinder
1973: Vorstellung des zweitürigen Peugeot 104 C mit Heckklappe. Das ,,C" steht für Compact
1974: Deutscher Vertriebsstart für den Peugeot 104 C. Peugeot und Citroen bereiten eine Fusion vor
1975: Neu sind die Typen Peugeot 104 CS und 104 ZS mit 49 kW/66 PS. Prototypen-Entwicklung von Peugeot 104 als Stufenhecklimousine, Kombiversion Break und Pick-Up
1976: Neu sind die Typen 104 GL 6 und 104 SL. Den viertürigen Peugeot 104 gibt es nun ebenfalls mit großer Heckklappe. Pininfarina präsentiert die Roadster-Studie Peugette auf Basis des 104. Peugeot übernimmt von Michelin die Aktienmehrheit an Citroen. Eine neue Holding entsteht unter dem Namen PSA Peugeot-Citroen. Abgeleitet vom Peugeot 104 debütiert der Citroen LN als erstes Ergebnis dieser Fusion. Unter der Haube des Citroen LN arbeitet zunächst ausschließlich ein Zweizylinder-Boxer. Peugeot lässt den Vertrieb des 204 auslaufen, eine Lücke im Portfolio, die der 104 ausfüllt
1977: Der sportliche Spitzentyp Peugeot 104 ZS Rallye leistet 59 kW/80 PS. Marktstart des Citroen LN in Deutschland. Hierzulande wird der kleinste Citroen als ,,Spatz von Paris" beworben
1978: Im Februar wird das Citroen-LN-Sondermodell ,,Frühlingsspatz" lanciert, erkennbar an markanten Chrom-Radkappen. Im Zuge eines Facelifts mit neuen Vierzylindermotoren mutiert der Citroen LN im November zum Citroen LNA. Peugeot übernimmt vom amerikanischen Chrysler Konzern die Europa-Division und gliedert sie unter dem Markennamen ,,Talbot" in den Konzern ein. Damit ist Peugeot größter Hersteller Europas
1979: Die Typen Peugeot 104 ZS und 104 S (mit 1,1-Liter-Vierzylinder) sowie 104 ZA bereichern das Portfolio. Vorstellung der Sicherheitsstudie Peugeot 104 VLS (Vehicule Léger de Sécurité)
1980: Neue Peugeot-Typen sind 104 GR und 104 ZR
1981: Facelift für den Peugeot 104, erkennbar an überarbeiteten Scheinwerfern und Stoßstangen sowie einem modifizierten Kühlergrill. Außerdem startet der Talbot Samba als Zwilling des dreitürigen Peugeot 104, wenig später folgt ein eigenständiges Cabriolet, das Pininfarina produziert. Der Samba ersetzt den dreitürigen Sunbeam mit Hinterradantrieb
1982: Auf dem Pariser Salon feiert der Talbot Samba Rallye mit 66 kW/90 PS Weltpremiere, der ab Januar 1983 ausgeliefert wird
1983: In Deutschland wird der Peugeot 104 nicht mehr angeboten und durch den Peugeot 205 ersetzt. Mit den Sondermodellen Citroen LNA Cannelle und LNA Prisu sollen die LNA-Verkaufszahlen noch einmal angeschoben werden. Der Talbot Samba Rallye tritt die Nachfolge des früheren Sunbeam ti und des einstigen Simca 1000 Rallye an
1984: Erneut erhält der Peugeot 104 optische Modifikationen
1985: Im Dezember endet die Fertigung des Talbot Samba Cabrio nach 13.062 Einheiten
1986: Produktionsende für den Citroen LNA (zusammen mit Citroen LN wurden 345.694 Einheiten gebaut) sowie für den Talbot Samba. Mit dem Samba endet die Pkw-Produktion bei der Marke Talbot (nur ein Transporter lief noch etwas länger). Offiziell sollen die Konzernmodelle Peugeot 205 und Citroen AX die Nachfolge des Talbot Samba antreten. Der AX ersetzt überdies den LNA. Allein vom Citroen LNA (1978-1986) wurden 164.275 Einheiten gefertigt, vom Citroen LNA Commerciale (1978-1986) waren es 51.808 Einheiten. Zusammen mit dem LN wurden 345.694 kleine Citroen dieser Baureihe ausgeliefert. Letzte Modellpflege für den Peugeot 104, erkennbar an modifiziertem Kühlergrill
1988: Im März endet nach 1.624.992 Einheiten in 16 Jahren die Produktion des Peugeot 104. Interims-Ersatz wird zunächst der 1983 eingeführte Peugeot 205
1991: Der Peugeot 106 wird als Nachfolger des 104 vorgestellt und bis 2003 in einer Auflage von 2,8 Millionen Einheiten gebaut. Neues Parallelmodell von Citroen ist der Saxo
2004: Der 3,73 Meter lange dreitürige Peugeot 1007 setzt Akzente durch ein Monospace-Konzept im Stil eines Vans und durch zwei elektrische Schiebetüren, scheitert aber letztlich am Markt, wie nur 124.200 gebaute Einheiten zeigen
2005: Als Kooperationsmodelle gehen Peugeot 107, Citroen C1 und Toyota Aygo an den Start. Bis 2014 werden 819.062 Peugeot 107 ausgeliefert
2014: Nun setzt der Peugeot 108 (in Kooperation mit einer Neuauflage von Citroen C1 und Toyota Aygo) das Erbe des Peugeot 104 fort. Bis zum Auslaufen des Modells im Jahr 2022 entstehen 427.968 Peugeot 108
2022: Der Peugeot 104 wird 50, ein Jubiläum, das die inzwischen zum Stellantis-Konzern zählende Marke würdigt

Wichtige Motorisierungen
Peugeot 104 (1972 bis 1988) mit 1,0-Liter-Vierzylinder-Benziner (32 kW/44 PS bzw. 33 kW/45 PS) bzw. mit 1,1-Liter-Vierzylinder-Benziner (37 kW/50 PS bzw. 42 kW/57 PS bzw. 49 kW/66 PS) bzw. mit 1,2-Liter-Vierzylinder-Benziner (42 kW/57 PS) bzw. mit 1,4-Liter-Vierzylinder-Benziner (53 kW/72 PS bzw. 59 kW/80 PS bzw. 68 kW/93 PS).

Talbot Samba (1981 bis 1986) mit 1,0-Liter-Vierzylinder-Benziner (31 kW/42 PS) bzw. mit 1,1-Liter-Vierzylinder-Benziner (37 kW/50 PS) bzw. mit 1,2-Liter-Vierzylinder-Benziner (65 kW/89 PS) bzw. mit 1,4-Liter-Vierzylinder-Benziner (44 kW/60 PS bzw. 58 kW/79 PS).

Citroen LN (1976 bis 1978) mit 0,6-Liter-Zweizylinder-Benziner (24 kW/32 PS)
Citroen LNA (1978 bis 1986) mit 0,6-Liter-Zweizylinder-Benziner (24 kW/32 PS bzw. 26 kW/36 PS) bzw. 1,1-Liter-Vierzylinder-Benziner (37 kW/50 PS).

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