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Impression: 64er Chrysler New Yorker trifft Dodge Charger Hellcat - Höllisches V8-Finale

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Alt trifft neu: 64er Chrysler New Yorker (links) neben Dodge Charger Hellcat Foto: SP-X/Patrick Broich

Außergewöhnliche Limousinen gab es im Chrysler-Konzern etliche. Die Suche nach dem historischen Vorbild für den riesenvolumigen und achtzylindrigen Dodge Charger Hellcat mündet beispielsweise in das Auffinden eines 1964er Chrysler New Yorker mit 6,8 Litern Hubraum.

Es ist wohl ein Indikator dafür, dass wir in besonderen Zeiten leben, wenn sich der Neuwagen-Part bei einem Vergleich eines aktuellen mit einem historischen Fahrzeug schon nicht mehr zeitgemäß anfühlt. Der Achtzylinder wird zwar noch etliche Jahre erhältlich sein, aber ob in einer solchen Form wie im Charger Hellcat, darf bezweifelt werden. Da wütet nämlich ein nicht elektrifiziertes Hubraum-Monster, und als ob das noch nicht genug wäre: Der Kompressor macht aus dem Sechspunktzwo auch noch ein Leistungsmonster. Lauscht man Dodge-Chef Timothy Kuniskis, wird brachiale Motorleistung auch weiterhin Markenzeichen von Dodge sein. Aber einem Achtzylinder wird sie ziemlich sicher nicht mehr entstammten. Doch verdrängen wir diese Tatsache noch eine Weile, denn bis auf Weiteres kann man den Charger Hellcat ja kaufen.

Spulen wir knapp 60 Jahre zurück. US-Cars waren dem deutschen Markt grundsätzlich vorenthalten, und große Achtzylinder die Regel - kleine Motoren hingegen die Ausnahme. Unser Vergleichskandidat - ein kurzfristig verfügbarer 64er Chrysler New Yorker, den Auto SL aus Düsseldorf beisteuert, passt gut zum höllischen Charger mit dem Zusatz Hellcat, also Hölllenkatze. Eine konsistente Ahnenlinie hat der Charger gar nicht, denn der Ur-Charger war ein Coupé.

Der hier antretende Chrysler New Yorker mit 6,8 Litern Hubraum ist auch im amerikanischen Autokosmos der Sechzigerjahre alles andere als gewöhnlich. Und somit ist er ein tauglicher Kandidat, um gemeinsam mit einem aktuellen Ausnahme-US-Car die Entwicklung amerikanischer Limousinen über die letzten Jahrzehnte nachzuempfinden. Auch wenn der Achtzylinder im Land der fast unbegrenzten automobilen Möglichkeiten sicherlich inflationär gebaut wurde, dürften sich die meisten Menschen wohl mit Hubräumen von weniger als sechs Litern abgefunden haben. Und fahrbare Untersätze mit sechs Töpfen waren auch nicht gerade selten unterwegs.

Schnell wird klar, welchen Pfad die starken amerikanischen Viertürer genommen haben: Hand an den dürren Türgriff und den Knopf gedrückt. Schon springt die Tür auf, hinter der eine durchgehende weiche Sitzbank montiert ist. Grollend verfällt der klassische Achtender in einen stabilen Leerlauf. Und dann geht es auch schon los. Es heißt, ganz in Ruhe und ungestört dem großen Motor zu lauschen und den Schub aus dem Drehzahlkeller zu genießen. Ein sportliches Auto ist der New Yorker natürlich nicht, ehrlich gesagt hat man sogar Mühe, den 5,47 Meter langen Ami mit der überengagierten Servolenkung auf der Straße zu halten. Beim energischen Losfahren hebt der blickfangende blaue Riesenliner mit den goldenen Schriftzügen seine Nase, wie es auch bei den zeitgenössischen Luxuslinern aus Crewe der Fall war und immer noch ist. Bei den Instrumenten, einem Gemisch aus großen und kleinen Anzeigeskalen fehlt der Drehzahlmesser. Geschenkt, der 6,8-Liter hat so viel Power und muss nicht hochdrehen. Macht er sowieso nur widerwillig. Dafür gibt es keine Schaltpausen, weil der Dreigänger eh nur ein- bis zweimal die Übersetzung wechselt. Überholen geht auch mit zweitausend Touren im großen Gang lässig.

Zeit, sich dem aktuellen Dodge Charger zu widmen. Es gibt tatsächlich nicht mehr viel Auswahl, wenn man sich für eine amerikanische Limousine mit acht Zylindern interessiert. Genau gesagt kann man sich nur noch zwischen Cadillac CT5-V (hierzulande nicht einmal verfügbar) und dem Dodge Charger entscheiden - die Zeiten ändern sich eben. Letzterer kommt zumindest von seinem Format mit 5,11 Meter Außenlänge der klassischen Oberklasse nah. Ein Raumwunder ist der Charger trotz 3,05 Meter Radstand keineswegs, aber eng ist es hier immerhin auch nicht, außer im Sitz. Die Charger-Stühle nehmen ihre Passagiere derart in die Zange, dass die sich in einem Rennsportwagen wähnen. Dabei ist selbst die Hellcat-Version nichts für feinfühlige Zehntelsekunden-Jagden auf komplex gestalteten Tracks. Die weit auseinanderliegenden Achsen bremsen das Raubtier in der Querperformance.

Ampelsprints oder Drag-Races - dafür sollte sich der Hellcat eignen, unter vier Sekunden auf 100 km/h sind gesetzt. Doch selbst das ist nicht so einfach, weil der 6,2-Liter eigentlich zu stark ist. Hubraum mag durch nichts zu ersetzen sein, aber wenn sich ein Kompressor dazugesellt, bleibt kein Reifenprofil lange erhalten. Die unter dem Widebody platzierten 305er Pirelli P-Zero hinten haben keine Chance, wenn knapp 900 Newtonmeter Drehmoment über sie herfallen. Traktion ist ein Fremdwort für den Charger, zumindest im unteren Geschwindigkeitsbereich. Schon eine klitzekleine Gaspedalbewegung lässt den schon im Stand brachial aussehenden Charger bissig nach vorn springen. Volle Last dagegen erzeugt viel Qualm und wenig Vortrieb. Erst jenseits der 100 km/h-Marke bekommt das Biest sein unbändiges Moment auf die Straße. Mit Oberklasse-Gefühl geht der Dodge eher sparsam um, stattdessen sorgen die Ingenieure für stramme Sportlimousinen-Allüren. Das V8-Grollen fällt hier viel präsenter aus als im New Yorker, mit offener Auspuffklappe brüllt der Achtender so ohrenbetäubend, dass man sich überlegen sollte, ob man den Druck auf die kleine silberfarbene Taste für die Auspuffsteuerung vor Polizeistationen wagt.

Während Performance für den betagten New Yorker trotz Hubraumüberflusses keine Rolle spielt, ist die größte aktuell erhältliche V8-US-Limousine in der zweitstärksten Kompressor-Ausgabe eine wilde, ungezähmte Angelegenheit, die die 300 km/h-Marke mühelos knackt. Das Infotainment haben die Techniker ganz ordentlich angepasst - es gibt ein gut funktionierendes Navigationssystem, das auch in den Jeep-Produkten zum Einsatz kommt. Außerdem dient der Touchscreen dazu, viele Fahrzeugfunktionen zu justieren - darunter so manchen Antriebsparameter wie die Schaltstrategie der Achtgang-Wandlerautomatik oder auch die Freigabe der vollen 707 Pferdchen. Wer darauf nicht achtet oder den falschen Schlüssel verwendet, fährt nur mit 500 PS.

Chrysler New Yorker und Dodge Charger stehen stellvertretend für die Marschrichtung, in die sich der Grundcharakter der US-amerikanischen V8-Limousinen in den letzten 60 Jahren bewegt hat. Die ,,Straßenkreuzer" der Sechzigerjahre bestechen vor allem mit Eleganz, Komfort und fast kunstvoll gestalteten, detailreich ausgeschmückten Innenräumen, während die anno 2022 verbliebenen Exemplare vergleichsweise schlichte Innenräume ausweisen, es aber faustdick unter der Motorhaube haben. Ihre Jahre sind gezählt. Bald werden Downsizing und Elektrifizierung dominieren. Den Fahrleistungen wird das keinen Abbruch tun, aber das charakteristische Bollern werden so manche Autoenthusiasten doch schmerzlich vermissen.



Chrysler New Yorker Limousine mit vier Türen (1964) - technische Daten:
Viertürige Limousine (Fullsize), Bauzeit: 1961 bis 1964, Länge: 5,47 Meter, Breite: 2,01 Meter, Höhe: 1,40 Meter, Radstand: 3,10 Meter
6,8-l-V-Achtzylinder-Ottomotor, Hinterradantrieb, 254 kW/345 PS, maximales Drehmoment: 637 Nm ab 2.800 U/Min., 0-100 km/h: k.A., Vmax: k.A., Dreigangautomatik

Dodge Charger Hellcat (aktuell) - technische Daten:
Viertürige Limousine der Businessklasse, Länge: 5,10 Meter, Breite: 1,99 Meter, Höhe: 1,46 Meter, Radstand: 3,05 Meter
6,2-l-V-Achtzylinder-Ottomotor mit Kompressoraufladung, Hinterradantrieb, Leistung: 527 kW/717 PS, maximales Drehmoment: 881 Nm bei 4.800 U/Min., 0-100 km/h: 3,7 s, Vmax: 322 km/h, Achtgang-Automatik (Wandler), Durchschnittsverbrauch: 14,7 l/100 km, CO2-Ausstoß: 395 g/km, Effizienzklasse G, Grundpreis: ab 88.990 Euro

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