Oldtimer

Jaguar Continuation-Modelle - Rasende Raritäten aus dem Jurassic Park

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Manchmal geht es in den ,,Classic Works", wie sie die Werkstätten in Coventry nennen, nicht zu wie bei automobilen Archäologen, sondern wie im Jurassic Park. Foto: Jaguar

Normalerweise hält niemand die Historie so hoch wie die Klassik-Abteilung eines Herstellers. Doch wenn es ums Geschäft geht, sehen sie die Sache bisweilen auch mal ein bisschen lockerer und spätestens, wenn man am Steuer eines Rennwagens wie des Jaguar C-Type sitzt, ist man dafür ganz dankbar.

Der XJ ist fast schon ein Oldtimer, der I-Pace längst über seinem Zenit und F-Type & Co. haben ihre besten Zeiten auch schon hinter sich. Es ist schon eine ganze Weile her, dass Jaguar ein neues Modell präsentiert hat. Doch während sich seine Kollegen aus dem Neuwagenvertrieb und der Produktentwicklung mehr schlecht als recht über die Zeit retten, kann David Foster nicht über einen Mangel an Beschäftigung klagen. Denn er gehört zum Team von Jaguar Classic und hat als Head of Engineering in den letzten Monaten mehr Neuheiten eingeführt als seine Kollegen drüben in Gaydon in den letzten paar Jahren. Oder was er halt so Neuheiten nennt. Denn bei Classics kümmern sie sich eigentlich um das Erbe der Marke und beschäftigen sich ausschließlich mit Oldtimern.

Doch manchmal geht es in den ,,Classic Works", wie sie die Werkstätten in Coventry nennen, nicht zu wie bei automobilen Archäologen, sondern wie im Jurassic Park. Denn so, wie dort die Dinosaurier einfach weiterleben, so bringen Foster und seine 200 Kollegen mittlerweile auch fabrikneue Oldtimer zur Welt. ,,Continuation Modells" heißen die Zwitter zwischen den Zeiten, die mit neuen Methoden und alter Technik auf dem engen Grat zwischen Klassiker und Kopie balancieren und dem Classic-Team bei Preisen zwischen 1,2 und 1,75 Millionen Pfund ein erkleckliches Auskommen sichern. ,,Denn wir sind kein Anhängsel des Marketings, sondern arbeiten als Profitcenter und müssen Geld verdienen", sagt Foster.

Angefangen hat die Geschichte mit der verdrehten Geschichte gleich nach der Gründung der Special Vehicle Operations (SVO) bei Jaguar und Land Rover, zu denen auch das Classic-Team gehört. Denn schon vor acht Jahren haben sich die Briten des Lightweight E-Types angenommen, von dem 1963 exakt 18 Exemplare geplant waren, am Ende aber nur 12 gebaut wurden und deshalb die Lücken in der Chronik mit sechs Continuations geschlossen. 2017 haben sie diesen Trick mit dem XKSS wiederholt, weil dort nach einem Feuer im Jahr 1957 von 25 Fahrgestellnummer 9 wieder frei geworden waren. Und nachdem sie so auf den Geschmack gekommen waren und alle Autos auf Anhieb verkaufen konnten, haben sie sich auch des D-Type angenommen, mit dem Jaguar von 1955 bis 1957 die 24 Stunden von Le Mans gewonnen hat. Wie praktisch, dass damals 100 Autos geplant waren, die Produktion aber bereits nach 75 Fahrzeugen gestoppt wurde, weil der D-Type in den Jahren danach nur noch hinterhergefahren wäre.

So haben sich die Briten in der historischen Bedeutung immer weiter nach oben gearbeitet und jetzt sogar den C-Type neu aufgelegt. Immerhin das erste Auto, mit dem Jaguar vor exakt 70 Jahren in Le Mans gewonnen hat und auf dem Olymp der Briten deshalb ganz oben. Wenn man bedenkt, dass eines der 53 Originale schnell mal für 5 oder 8 Millionen den Besitzer wechselt, erscheinen die 1,5 Millionen Pfund plus Steuern für eines der acht Continuation-Modelle fast schon als Schnäppchen. Kein Wunder also, dass die Autos längst ausverkauft sind und Jaguar schon leise über eine zweite Serie nachdenkt.

Allen Autos gemein ist die ebenso liebevolle wie aufwändige Rekonstruktion, die schnell mal zwei Jahre für Recherche und Berechnungen dauert. ,,Schließlich reden wir hier von Rennwagen, bei denen damals längst nicht jeder Entwicklungsschritt dokumentiert wurde", sagt Chefingenieur Foster. Und da sind die teilweise über 10.000 Arbeitsstunden für den Bau noch gar nicht mit eingerechnet. Also haben sie die Originale vermessen und in den Archiven gekramt, haben ihre Lager leergeräumt, die Zulieferer von damals ausfindig gemacht und manche Teile sogar wochenlang bei Ebay gesucht, haben Rentner aus dem Ruhestand geholt und den jungen Kollegen zur Seite gestellt und so gehörig den Zeitstrahl verbogen.

Herauskommen Autos, die zwar Aussehen wie das Original, die gleichen Spezifikationen haben und genauso funktionieren, die in der Regel aber deutlich besser sind. Nicht nur, weil die heutigen Produktionsmethoden einfach präziser sind, sondern auch weil das Classic-Team an manchen Stellen einfach das bessere Material genommen hat. ,,Schließlich sollen unsere Autos am besten Generationen überdauern und nicht wie damals einfach nur 24 Stunden lang halten", sagt Foster.

Klar kann man die Continuation-Modelle auch kritisch sehen, kann als Außenstehender über die ruchlose Geldmacherei der Briten schimpfen, die ungeniert ihre Historie ausschlachten. Und als Besitzer eines Originals fürchtet man wahrscheinlich vor allem um den Wert seines echten Oldtimers, wenn sich der Bestand plötzlich vergrößert.

Doch wenn man tatsächlich mal hinter das Steuer eines solchen Autos kommt, stellt man keine Fragen mehr und alle Überlegungen kommen spätestens in dem Moment zum Erliegen, wenn unter dem kunstvoll gedengelten Alublech ein neuer Motor mit alter Technik zum Leben erwacht. Erst recht, wenn der Ausflug in den automobilen Jurassic Park im C-Type gipfelt. Dort weckt die Zündung einen 3,4 Liter großen Reihensechszylinder, für dessen Montage die Mechaniker alleine neun Monate gebraucht haben.

Und auch wenn 240 PS oder 294 Nm heute fast schon lächerlich erscheinen, hat dieser Jaguar ausgesprochen scharfe Krallen und einen noch festeren Biss. Erst recht, wenn man die gerade mal 1.063 Kilo bedenkt, die der offene Zweisitzer auf die Waage bringt. Es braucht deshalb nur ein bisschen Übung mit dem unsynchronisierten Viergang-Getriebe und das nötige Geschick fürs Zwischengas, dann reicht ein beherzter Kickdown auf der langen Gerade, um sich vorzustellen, wie sie damit Le Mans gewinnen konnten.  Wenngleich man sich beim besten Willen nicht vorstellen möchte, auch nur 24 Minuten in diesem Schraubstock aus Aluminium gezwängt zu bleiben und die Füße mit dem Feingefühl eines Balletttänzers im viel zu engen Fußraum über die viel zu kleinen Pedale tanzen zu lassen - von 24 Stunden ganz zu schweigen.

Doch mit jeder Meile wächst das Vertrauen, der Schmerz lässt nach, die Begeisterung steigt und mit ihr das Tempo, selbst wenn sich an die 238 km/h, die damals auf der Hunaudieres-Geraden drin waren, hier und heute niemand traut. Und spätestens, wenn man nach der dritten, vierten Runde auf dem Testgelände etwas Mut gewinnt und mehr Fahrt aufnimmt, ist man vielleicht sogar ganz froh, dass man in einem fabrikneuen Oldtimer unterwegs ist - und sich entsprechend auf die Bremsen, die damals zum ersten Mal mit Scheiben statt Trommeln verzögert haben, oder zur Not sogar auf die Gurte verlassen kann.

Auch Chef-Ingenieur Foster und seine Kollegen nutzen natürlich bereitwillig jede Gelegenheit, hinter das Steuer ihrer Continuation-Modelle zu kommen und es folgt sicher auch einem kleinen bisschen Eigennutz, dass jedes Auto eingefahren wird, bevor es an den Kunden geht. Doch so richtig viel Zeit haben die Classic-Männer für solche Späße nicht. Denn erstens sind die aktuellen Modelle zwar alle ausverkauft, aber noch längst nicht aufgebaut. Und ein Jahr Bauzeit kommt da schnell mal zusammen. Und zweitens haben sie schon neue Ideen für weitere Modelle. Und halten sich dabei nicht mehr mit den verpassten Chancen der Vergangenheit auf. Denn wo sie beim E-Type, dem XKSS und dem D-Type noch die fehlenden Fahrgestellnummern nachgefertigt haben, orientieren sie sich schon beim C-Type einfach an Marktgeschehen und werden das auch künftig so machen: Alles, was rar und teuer ist und deshalb zu einem Geschäft werden könnte für das Classic Works-Team, ist für uns interessant, gibt Foster den nüchternen Manager.

Angst, dass ihn die Kollegen bei den Neuwagen mit ihren Premieren überholen würden, muss er dabei nicht hab

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