News

Virtuelle Autorennen - Das Phänomen E-Sports

  • In NEWS
  • 28. November 2022, 13:36 Uhr
  • Rudolf Huber/SP-X
  • 7 Bilder
img
Renn-Atmosphäre: Gafik- und Sound-Qualität liegen bei den virtuellen Rennen annähernd auf Analog-Niveau. Foto: Getty Images/GT World Series

An der Konsole oder am PC Sport treiben? Klingt etwas seltsam, ist aber hunderttausendfache Realität. Das Finale der Gran Turismo World Series zeigt exemplarisch, was die Faszination von E-Sports ausmacht.

E-Sports erlebt nicht erst seit Corona einen massiven Aufschwung. Hunderttausende Menschen weltweit sind nur zum eigenen Vergnügen oder im Rahmen regionaler und globaler Wettbewerbe dabei. Einer davon: die Gran Turismo World Series. Deren Weltfinale wurde jetzt erstmals seit 2019 wieder in Präsenz in Monte Carlo ausgetragen und rund um den Globus von Millionen von Fans live mitverfolgt. Ein Besuch beim Finale des Hersteller-Cups im Le Sporting Monte Carlo gibt Antworten auf die Fragen, was denn die virtuellen Rennen spannend macht, wie sich Autohersteller bei E-Sports engagieren und wie es mit dessen wirtschaftlicher Bedeutung aussieht.

Einer der genau weiß, was E-Sports oder SimRacing ausmacht und wie eng die virtuelle und die reale Rennwelt inzwischen verknüpft sind, ist Tim Heinemann. Der 2022er DTM Trophy-Champion ist seit 2011 erfolgreich als E-Sportler unterwegs, seit 2017 auch als ,,realer" Rennsportler. In Monte Carlo trat er in einem Vip-Wettbewerb an und legte gleich beim ersten Qualifizierungs-Rennen eine absolut wettbewerbsfähige Zeit hin. Der Wanderer zwischen den zwei Welten hat im Lauf der Jahre miterlebt, wie an der Spielkonsole immer realistischere Rennen möglich wurden, wie sich essenzielle Zutaten wie Fahrphysik, Grip, Traktion und Reifenverschleiß immer näher ans analoge Renngeschehen anglichen. Sein Karriere-Slogan: Rennfahrer from virtual to real.

Auch als erfolgreicher Verbrenner-Rennfahrer ist der Toyota GR Supra-Pilot nach wie vor viel und erfolgreich am Simulator zugange. Und schätzt diese Möglichkeit unter anderem, weil sie ihm beim Kennenlernen von Strecken unschätzbare Dienste leistet. Statt x-mal im echten Renner über die Piste zu brettern, lernt er jedes einzelne Detail und jede Bodenwelle virtuell kennen. Eine besondere Herausforderung, so der Rennfahrer: Der Reverse-Modus, bei dem bekannte Strecken rückwärts gefahren werden. Das schult die zuständigen Gehirnregionen enorm.

Heinemanns Begeisterung für die elektronische Rennfahrerei springt beim Showdown der weltbesten Auto-Esportler in Monte Carlo schnell auf die Zuschauer über. Wie sich die Dreier-Teams von zwölf Autoherstellern beim Manufacturers Cup gegenseitig um die Schikanen des verkehrt herum gefahrenen ,,Deep Forest Raceway" aus der Schweiz und um die zwischendurch kräftig mit Regen gesegnete Piste von Spa-Francorchamps jagen, das ist großes Kino - und auch für Laien erkennbar nah dran am richtigen Leben. Die richtige Reifentaktik für die wechselhafte Witterung, die richtige Runde für den Boxenstopp und der passende Moment für eine erfolgversprechende Attacke auf den Vordermann inklusive einer wirklichkeitsgetreu nachgebildeten Geräuschkulisse sorgen für Spannung, Schrecksekunden und Begeisterung beim Publikum.

Die Fans, die Zuschauer, sind die eine Seite der virtuellen Rennerei. Die andere ist die Industrie, für die E-Sport ein Türöffner ist, eine perfekte Möglichkeit, um vor allem junge Menschen mit der jeweiligen Marke bekannt zu machen. Dazu ist SimRacing auch eine Chance für ,,echte" Rennfahrer, ihre Expertise nach dem Karriereende weiterzugeben. So wie der dreimalige Le Mans-Gewinner Kazuki Nakajima, der inzwischen Vice Chairman von Toyota Gazoo Racing Europe ist. Natürlich wird auf Szene-Treffs wie den World Series auch die direkte Kombination von virtuell und analog praktiziert. So stellt Toyota, neben den Kollegen von Genesis und Mazda Partner des weltumspannenden Wettbewerbs, in Monte Carlo den GR Yaris, den GR Supra und mit dem GR010 Hybrid auch das zweifache Siegerfahrzeug aus der FIA Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) zur Schau. Trommeln gehört zum Handwerk.

Auch eine gern praktizierte Methode der Kundenbindung: Virtuelle Rennautos werden zusammen mit den Fans entwickelt. Beispiel Ford: Fast eine Viertelmillion E-Sports-Fans nahmen an Online-Umfragen teil, bei denen es um das Design des Team Fordzilla P1-Rennfahrzeugs ging. Ein echter Scoop für die Marketing-Abteilung.

Bei BMW M Motorsport geht 2023 die Kooperation mit der Simulationsplattform iRacing in die nächste Runde. ,,Als weltweit erster Hersteller wird BMW M Motorsport sein neues Le Mans Daytona Hybrid-Fahrzeug, den M Hybrid V8, auch der Sim-Racing-Community zugänglich machen", heißt es voller Stolz aus dem Hauptquartier des weiß-blauen Sport-Ablegers zum Engagement im ,,schnellsten E-Sports der Welt". Dabei laufen wie schon beim M4 GT3 die reale und die virtuelle Entwicklung des Fahrzeugs parallel.

Direkt vernetzt sind analoge und virtuelle Autobauer auch bei der Marke mit dem Stern. Deren E-Sports-Team sitzt am Hauptquartier des Mercedes-AMG Petronas Formel 1-Teams in Brackley und ist in die Simulator-Abteilung eingebunden, in der die F1-Testfahrer ihr Feedback über virtuelle Modelle der Autos an die Ingenieure liefern. So wird jede Optimierung der realen Fahrzeuge direkt an die Esportler weitergereicht. Die Racer und deren Community wird's freuen.

Bei Porsche heißt die perfekte Kombination aus E-Sports und realen Rennen Laurin Heinrich. Er ist Sieger des Porsche Carrera Cup Deutschland und bezeichnet sich selbst als Hybrid-Racer. Sprich: Auch er sitzt wie Tim Heinemann nicht nur auf analogen Rennstrecken im Carrera, sondern auch auf virtuellen, jeweils auf professionellem Niveau. Dabei geht es um Langstreckenklassiker wie die 24 Stunden von Le Mans oder vom Nürburgring. Was er an am SimRacing besonders schätzt? ,,Die Nordschleife ist zum Beispiel eine sehr lange Strecke. Um den Streckenverlauf auswendig zu lernen, eignen sich Rennsimulatoren perfekt. Das ist eine große Hilfe, um nicht bei null anfangen zu müssen."

Dass die Attraktivität der diversen E-Sports-Wettbewerbe stetig steigt, ist an den Zuschauerzahlen zu erkennen. Denn mit denen geht es steil bergauf: von 2020 auf 2021 um gut zwölf Prozent, von knapp 436 auf mehr als 489 Millionen Menschen rund um den Globus. Die Prognosen für das Jahr 2025 gehen von 641 Millionen Zuschauern aus. Parallel dazu steigen auch die Umsätze mit E-Sports. Laut Statista ging es im Jahr 2021 noch um 1,14 Milliarden US-Dollar, für 2022 werden schon knapp 1,4 Milliarden Dollar aus Merchandising und Ticketverkäufen, Sponsoring und Publisher-Gebühren angepeilt.

Bleibt noch die Frage: Wer hat denn nun den bis zur letzten Sekunde spannenden und hochdramatischen Manufacturers Cup in Monte Carlo gewonnen? Die Antwort: Das Subaru-Team knapp vor den drei Jungs von Toyota. Denen hatte die falsche Reifen-Strategie den Sieg gekostet. So etwas soll es auch im richtigen Rennfahrer-Leben geben.

STARTSEITE