Nicht alle ist perfekt bei diesem Klassiker der wiederbelebten Marke Lambretta. Doch in vielerlei Hinsicht wird die X125 ihrem ambitionierten Preis durchaus gerecht.
Als Neuzugang komplettiert die Lambretta X125 das Modellprogramm der wiederbelebten italienischen Marke. Mit dem Leichtkraftroller zitiert das Unternehmen die eigene Historie, transferiert die Geschichte jedoch auf eine zeitgenössische Technikbasis. Der ab sofort erhältliche, in Thailand gefertigte Newcomer macht die Linie mit einem großen Schritt in Richtung Individualität und Markenhistorie nun auch für A1- und B196-Kandidaten zugänglich. Dafür nimmt die X125 Designmerkmale auf, die einer Lambretta seit jeher gut zu Gesicht stehen: Anders als die Vespa fürs Volk gerierte sich eine Lambretta schon immer als die rebellische Alternative für Enthusiasten. Diesen Ansatz nimmt die neue X125 durch ihre kantige Formensprache, die langgestreckte Silhouette und den starr mit dem Rahmen verbundenen vorderen Kotflügel glaubhaft wieder auf. Als Tüpfelchen auf dem i versieht eine gezogene Zweiarmschwinge den Radführungsdienst an der Front.
Wie in längst vergangenen Tagen verwöhnt die X ihren Piloten mit einem großzügigen Arrangement, wie es von den ausladenden Dimensionen auch zu erwarten war. Lässig gebettet auf 79 Zentimeter Höhe greift der Fahrer mit aufrechtem Oberkörper an den in angenehmer Höhe liegenden Lenker, die Trittbrettauflage ist gerade noch niedrig genug, um die Kniewinkel nicht zu stressen. Ein Dreh am Zentralknopf rechts im Bug aktiviert die Zündung, sofern der Transponder in der Jackentasche ist, dann leuchten das monochrome LC-Display und die nicht immer gut erkennbaren Kontrolllämpchen auf.
Der Druck aufs Starterknöpfchen bringt den flüssigkeitsgekühlten Vierventiler auf Trab, der angenehm zurückhaltend aus dem überlangen Quadratrohr säuselt. Mit knapp 13 PS und 10 Newtonmeter Drehmoment sortiert sich der Einspritzer im Mittelfeld der 125er-Liga ein. Beim Losfahren gönnt sich der Antrieb ein kleines Päuschen und kommt nur mäßig in die Puschen, um darauf aber seine Leistung gleichmäßig abzuliefern. Voll ausgefahren kratzt die Digitalanzeige am Dreistelligen, echt sind das 95 km/h. Das eicht, um bis auf Ampelsprint und Autobahn überall bei der Musik dabei zu sein. Allerdings merkt man dem Achtelliteraggregat seine Mühe mit den stattlichen 174 Kilo des Klassikers an.
Dieses Gewicht kommt nicht von ungefähr: Statt einer kostengünstigen und leichten Rohrkonstruktion mit Kunststoffhülle sorgt bei der Lambretta ein Stahl-Monocoque für den nötigen Rückhalt. Dazu kommt das bei der 125er-X weitgehend übernommene Fahrwerk der X300, für die höhere Fahrdynamik der dortigen 24 PS ausgelegt sowie die aufwendige Vorderradkonstruktion. Alles zusammen kostet an der Tanke recht hohe 3,8 Liter Durchschnittsverbrauch.
Dagegen stehen die Vorzüge der Konstruktion: Die X125 bügelt narrensicher und unbeirrbar über jegliches Terrain hinweg. Die mögliche Fahrdynamik nimmt das stabile Fahrwerksensemble achselzuckend zur Kenntnis, selbst bei hohen Geschwindigkeiten in Schräglage verliert die Lambretta nie die Contenance. Das gilt gleichermaßen für heftige Bremsmanöver, bei denen ihre stoische Ruhe für viel Vertrauen sorgt. Allerdings gehen die ABS-bewehrten Scheibenbremsen ihrem Job sehr indifferent und nur wenig nachfühlbar nach.
Mit ihrer gelassenen Art lässt sie etwaige Handlingnachteile durch das hohe Gewicht in den Hintergrund treten. Kleine Zwölfzollräder und die gute Fahrerintegration bringen die fürs alltägliche Stadtgetümmel erforderliche Wendigkeit. Dazu verschafft die doppelte Kurzschwinge an der Front eine außergewöhnlich stabile Führung mit transparentem Lenkverhalten. Gleichzeitig spricht die Konstruktion sehr feinfühlig schon auf kleinere Erhebungen an, davon könnten sich die beiden Federbeine am Heck noch eine ordentliche Scheibe abschneiden. Gleichwohl ist der ausgezeichnete Fahrkomfort eine der größten Stärken der Lambretta.
Kein besonderes Ruhmesblatt ist der Stauraum - trotz der üppigen Dimensionen. Ins Sitzbankfach passt lediglich ein Jethelm und hinter der kleinen Klappe im Bug verbirgt sich nur der Kühlflüssigkeitsbehälter sowie ein USB-Anschluss - wer das Navi oder Handy laden möchte, muss entweder das Kabel quetschen oder das Fach offenstehen lassen. Rücksicht übt der Lambretta-Fahrer nur durch den altbekannten Schulterblick, da die Spiegelausleger zu kurz ausfallen.
Angesichts der übrigen Qualitäten verlieren diese Details jedoch an Bedeutung: Zur souveränen Fahrvorstellung und dem gebotenen Komfort kommt eine moderne Grundausstattung beispielsweise mit kompletter LED-Technologie. Erfreulicherweise wird die Verarbeitung dem ambitionierten Preis von 5.760 Euro bis ins Detail gerecht - die X125 braucht sich vor keinem anderen Leichtkraft-Klassikroller der Oberklasse zu verstecken.
Lambretta X125 - Technische Daten:
Motor: flüssigkeitsgekühlter Einzylinder, 125 ccm Hubraum, 9,5 kW/12,9 PS bei 9.500 U/min, 10,1 Nm bei 7.500/min, vier Ventile/Zylinder, ohc, Einspritzung, CVT-Automatik, Fliehkraft-Trockenkupplung, Riemen-Sekundärantrieb
Fahrwerk: Stahl-Monocoque mit verschweißten Versteifungen; gezogene Zweiarm-Kurzschwinge (Federbasis einstellbar), Zweiarm-Triebsatzschwinge hinten, zwei Federbeine (Federbasis einstellbar); Leichtmetallgussräder; Reifen 120/70-12 (vorne) und 130/70-12 (hinten). 22 cm Einscheibenbremse vorne, 22 cm
Einscheibenbremse hinten
Maße und Gewichte: Radstand 1,37 m, Sitzhöhe 79 cm, Gewicht fahrfertig 174 kg, Zuladung 165 kg; Tankinhalt 7,0 l
Fahrleistungen und Verbrauch (Testangaben): Höchstgeschwindigkeit 95 km/h, Verbrauch 3,8 l/100 km
Preis: 5.759 Euro