Nicht nur beim Gewicht, auch bei der Technik legt die neue BMW R 1300 GS Adventure zu und setzt damit eine Bestmarke bei den Premium-Fernreisemotorrädern. Zugleich wird sie aber zugänglicher.
Vor einem Jahr hat BMW die neue Reiseenduro R 1300 GS vorgestellt. Das Zentralgestirn der Gattung Adventurebikes gibt sich seither schlanker, sportlicher und noch stärker gepimpt mit elektronischen Heinzelmännchen. Diese leichte Richtungsänderung macht es GS-Interessenten leichter, zum Original dieser speziellen Fahrzeuggattung zu finden, sofern ihre Solvenz ausreicht. Diese leichte Positionsänderung öffnete aber auch das Feld für eine neue, nochmals „aufgestockte“ Adventure-Schwester; diese brauchte nicht leichter und zierlicher werden, um jene GS-Fans bei der Stange zu halten, die stets „Einmal Alles“ wollen. Einen größeren Zuspruch kann ein solches Big-Bike zum Basispreis von rund 23.000 Euro aber nur finden, wenn es zugleich zugänglicher und leichter zu handhaben ist.
Genau dies haben die Entwickler geschafft, denn trotz ihrer monumentalen Erscheinung gibt sich die R 1300 GS Adventure im Umgang vergleichsweise harmlos. Galt zuvor, dass man als Adventure-Pilot mindestens 1,85 Meter groß zu sein hat, um mit dem 269 Kilo-Brocken und dessen Sitz in luftigen 87 Zentimetern Höhe zurechtzukommen, so genügen neuerdings auch zehn Zentimeter weniger Körpergröße. Die seit einem knappen Jahr bekannte Fahrwerks-Höhenverstellung, eine von mehreren BMW-Sonderausstattungsmöglichkeiten, „hievt“ die GS Adventure auf eine neue Wohlfühlebene, denn sie ist nun auch für Otto Normalmann – und selbstverständlich auch Frauen mit gut 1,70 Meter Größe – anstandslos zu fahren. Drei Zentimeter machen echt einen großen Unterschied. Was vermutlich die Beliebtheit dieser Version – schon bisher waren etwa 45 von 100 gebauten R 1250 GS eine Adventure – weiter steigen lassen wird. Vom Spezialisten-Bike könnte sie zum echten Multi-Tool werden.
Motorseitig gibt es nichts Neues gegenüber der aktuellen Basis-GS; die gebotenen 107 kW/145 PS in Verbindung mit dem büffelhaften Drehmoment von 149 Newtonmetern verhelfen auch der rund 40 Kilo schwereren Extrem-GS richtig auf die Sprünge. Das gilt auch für den Zweipersonenbetrieb mit Expeditionsgepäck. In letzterem Fall geht’s dann eher um die Frage, ob 216 Kilogramm möglicher Zuladung tatsächlich genügen. Auch in punkto Bremsen – es gibt drei große Scheiben, ein schräglagenfähiges ABS, eine Kombibremse und alle sonstigen bremsrelevanten Finessen – ist für alle Eventualitäten vorgesorgt.
Erstmals bietet BMW ab Produktionsbeginn eines neuen Modells den Automated Shift Assistant (ASA) an; es handelt sich dabei um ein Schaltgetriebe mit elektronisch betätigter Kupplung sowie der Möglichkeit, die Gänge durch eine Automatik wechseln zu lassen. Im manuellen Betrieb funktioniert das Ganze ähnlich einem Quickshifter, aber besser, weil zumeist geschmeidiger und präziser. Nach einem Knopfdruck links am Lenker im Automatik-Modus werden die sechs Gänge automatisch sortiert. Zwei Dinge sind speziell: Man muss beim Starten, wie auch bei einem modernen Roller, eine Bremse betätigen, und man findet die Neutralposition nicht mehr zwischen dem 1. und 2. Gang, sondern unterhalb des ersten. Dafür ist weiterhin der linke Fuß zuständig. Einen Kupplungshebel gibt es nicht mehr.
Zum Probieren des ASA stand das gesamte Programm auf dem Stundenplan: Sand- und Kiesstraßen, Knüppelwege, Geröllstrecken, Wasserdurchfahrten, dazu harte, steindurchsetzte Lehmpassagen. Natürlich waren grobstollige Reifen montiert. Das ASA funktionierte auch im Automatikbetrieb einwandfrei und bietet zudem als unschätzbaren Vorteil, dass der Boxermotor niemals abgewürgt werden kann, denn die Kupplung greift ja automatisch stets rechtzeitig ein. Zwar rümpfen Offroad-Cracks die Nase über derlei Späßchen, aber nicht jeder, der gerne vom Asphalt abbiegt, ist deshalb gleich ein Superkönner. ASA erweitert jedenfalls die Möglichkeiten, ohne zu bevormunden.
Besonders wichtig ist bei einem (Fern-)Reisebike der Aspekt Komfort und, damit zusammenhängend, die Langstreckeneignung. Hier fährt die jüngste GS Adventure Bestnoten ein: Federung, Geräuschniveau, Wind- und Wetterschutz, Platzangebot für Fahrer und Passagier – alles erstklassig. Selbst an eine leichte Fixiermöglichkeit für Zusatzgepäck auf dem Soziusplatz haben die Entwickler gedacht. Das gilt auch für das werksseitig angebotene Zubehör: Der Tankrucksack ist clever mit einem hinteren Scharnier ausgestattet, sodass Tankklappe (das Keyless-Ride-System ist Serie) und das davor platzierte Ablagefach binnen Sekunden erreichbar sind. Auch die kleinen Textiltaschen für Kleinzeug überzeugen, die sehr einfach an den Tankflanken und den Fahrzeugseiten fixierbar sind. Nicht anders ist das mit den Gepäckboxen; sie öffnen nach oben, bieten massig Platz und überzeugen durch einen sinnvollen Öffnungs- und Schließmechanismus.
Trotz ihrer Größe ist die Adventure in Fahrt leicht zu handhaben, nimmt Kurven aller Radien quasi „mit Links“, ermöglicht ohne Nervenaufwand bemerkenswerte Schräglagen und transportiert damit eine solch große Menge an Fahrspaß. Trüber werden die Aussichten für jene, die aus finanziellen Gründen warten müssen, bis eine nennenswerte Anzahl von Gebrauchtbikes dieses Typs verfügbar ist. Wer beim Preisschild von „ab 22.335 Euro“ für die Basisversion nicht gleich abwinkt, erhält in jedem Fall großen Gegenwert: Das gilt auch für die Varianten Triple Black, Trophy und Option 719 Karakorum. Keine von ihnen entfaltet ohne Zusatzinvestition ihr gesamtes Vergnügungspotenzial: BMW hat fast alle Goodies in schicke Pakete verpackt, ein paar Nice-to-haves gibt es auch einzeln, wie das beschriebene ASA oder die Fahrwerks-Höhenverstellung.
BMW R 1300 GS Adventure - Technische Daten:
Motor: Flüssigkeitsgekühlter Zweizylinder-Boxermotor, 1300 ccm Hubraum, 107 kW/145 PS bei 7.750 U/min., 149 Nm bei 6.500 min; Einspritzung, 6 Gänge, Kardan
Fahrwerk: Zweiteiliges Rahmenkonzept aus Stahlblechschalen-Hauptrahmen und angeschraubtem Aluguss-Heckrahmen, Motor mittragend; vorne BMW EVO-Telelever mit DSA-Zentralfederbein, 21 cm Federweg; hinten Aluminiumguss-Einarmschwinge (BMW EVO-Paralever), DSA-Zentralfederbein, 22 cm Federweg; Kreuzspeichenräder; Reifen 120/70 R19 (vorne) und 170/60 R 17 (hinten). 31 cm Doppelscheibenbremse vorne, 28,5 cm Einscheibenbremse hinten
Assistenzsysteme: volllintegrales, abschaltbares ABS mit Schräglagenfunktionen, dynamische, schräglagenoptimierte Traktionskontrolle, vier Fahrmodi, Matrix-LED-Scheinwerfer, Temporegelung DCC, schlüsselloses Startsystem, automat. Blinkerrückstellung, Antihoipping-Kupplung, DSA (Dynamic Suspension Adjustment), Fahrmodi Pro [a.W. zusätzlich ACC (radarbasierte Geschwindigkeitsregelung,/Frontkollisionswarnung/Spurwechselwarnung), adaptive Fahrzeughöhenregelung, Automatischer Schaltassistent ASA
Maße und Gewichte: Radstand 1,534 m, Sitzhöhe 87/89 cm, Gewicht fahrfertig 269 kg; Tankinhalt 30 l
Fahrleistungen: 0-100 km/h ca. 3,4 s, Höchstgeschwindigkeit über 200 km/h.
Normverbrauch lt. EU5+ 4,9 l/100 km (mit ASA 5,0 l)
Preis: ab 22.335 Euro