Die elektrische Euphorie ist abgekühlt und die Konkurrenz aus Asien und Amerika mächtig: Deshalb besinnen sich die Europäer auf dem Weg in die Zukunft auf ihre Vergangenheit und kramen alte Namen hervor. Oft haben die mit dem Original aber nicht mehr viel mehr als den Namen gemein.
„The legend is back“. Wenn Ford in diesen Tagen für den neuen Capri trommelt, dann spielen sie die Rhythmen von gestern und erinnern damit an bessere Zeiten. Kein Wunder - schließlich ist die aktuelle Lage in Köln nach dem verstolperten Start in die E-Mobilität alles andere als rosig. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, sind auch noch die Kunden verunsichert, wissen nicht wohin der Zug der Zeit fährt, und wollen sich partout nicht fürs Elektroauto erwärmen.
Das kann ein bisschen Stimmungsmache nicht schaden: „Wir wollen die Vibes aus den Siebzigern ins hier und heute übertragen“, sagt Designchef Amko Leenarts und erinnert an das coole Coupé, das eine Mischung aus Sportwagen und Familienkutsche war, Ford aus der Ecke des Biedermeier geholt und die Idee vom Mustang auch den Europäern schmackhaft gemacht. Daran erinnern sie sich in Köln genauso gerne wie an die überraschend hohen Verkaufsahlen für den 1969 präsentierten Capri – und nichts wäre ihnen lieber, als wenn sich das mit dem Nachfolger wiederholen würde. 
Mit dieser Hoffnung sind Leenarts und seine Kollegen nicht alleine. Allerorten wagen insbesondere die Europäer gerade den Rückgriff auf ihre glorreiche Vergangenheit, um den Weg in die Zukunft zu ebnen. Fiat lässt deshalb die „Tolle Kiste“ als Grande Panda wieder aufleben, VW macht den Bulli als ID.Buzz zum Van der Generation E und Renault hat bei seiner selbst ausgerufene „Renaultlution“ gar eine ganze Retro-Welle losgetreten. Dem gerade laut bejubelten R5 lassen die Franzosen deshalb im nächsten Jahr einen R4 folgen und kündigen für 2026 im Geist des Originals ein Comeback des Twingo an. 
Ja selbst BMW, sonst eigentlich fest der Zukunft zugewandt, blickt ausgerechnet bei der „Neuen Klasse“ auf ein altes Auto. Denn zumindest die ersten Studien für die Limousine, die binnen eines guten Jahres zum elektrischen Erbe des Dreiers werden soll, erinnern verdächtig an den 2002, der vielen als die Mutter der sprichwörtlichen Freude am Fahren gilt.
Das ist kein Zufall, sagt Designchef Damagoj Dukec und sieht darin den Versuch, sich von den vielen Newcomern aus dem weiten Westen oder dem fernen Osten abzugrenzen. Schließlich kommen gerade aus China fast im Quartalsrhythmus neue Marken, die mit immer neuen Elektromodellen auf sich aufmerksam machen. Die mögen schneller in der Entwicklung sein, haben gute oder manchmal vielleicht sogar bessere Technik, oft einen attraktiveren Preis und mittlerweile auch ein durchaus eigenständiges Design sowie einen bisweilen starken Charakter. „Aber was uns von all diesen Marken unterscheidet, das ist unsere Heritage, unsere Tradition, unsere Geschichte“, sagt Dukec. 
Der zweite Grund für den Hype um die Wiedergänger ist die müde Stimmungslage bei den Kunden: Viele Verbraucher seien angesichts des Umbruchs in der Antriebswelt nach wie vor sehr verunsichert, erläutert Leenarts. „Da können alte, bewährte und beliebte Modelle ein gewisses Vertrauen schaffen und ihnen ein paar Sorgen nehmen.“ Und ein paar positive Erinnerungen sind sicher auch kein Schaden, wenn man die Stimmung heben will. Und wenn man sich mit seinen Kollegen bei VW, bei Fiat oder bei Renault unterhält, hört man ganz ähnliche Geschichten. Sogar Hyundai, mit den Ioniq-Modellen unbestritten weit vorne auf der Electric Avenue hat sich für den Ioniq 5 vom legendären Pony inspirieren lassen. 
Allerdings ist das für die Designer ein zweischneidiges Schwert: Einerseits freuen wir uns über die Chance, eine Legende wiederzubeleben, sagt Renault-Designchef Laurens van den Acker und räumt ein, dass bei solchen Projekten womöglich mehr Leidenschaft und am Ende deshalb auch mehr Kreativität im Spiel sei als bei einem x-beliebigen neuen Modell. Nicht umsonst haben sie für den R5 pfiffige Petitessen wir den Baguette-Halter oder einen Getriebewählhebel in den Farben der Tricolore entworfen und sie bei den Buchhaltern sogar durchgesetzt. Doch zugleich steige mit solchen Projekten auch der Druck, räumt van den Acker ein. „So eine Chance hat man nur einmal, die verbockt man besser nicht.“
Zwar ist der Blick zurück nach vorn gerade weit verbreitet und viele der Argumente dafür leuchten ein. Aber ungeteilte Zustimmung ernten die Designer dafür nicht. Im Gegenteil. Design-Professor Paolo Tumminelli jedenfalls geht mit seinem Kollegen hart ins Gericht: Sie seien unwillig, überzeugende Konzepte für ein zeitgenössisches, nachhaltiges Automobil zu formulieren, aber auch unfähig, sich gegenüber der jungen asiatischen Konkurrenz aktiv zu positionieren. „Deshalb verkleidet die europäische Industrie ihre neueste Technologie in ästhetischen Motiven der Vergangenheit,“ urteilt der Professor. Das Storytelling möge glanzvoll erscheinen, die Substanz aber sei eher erbärmlich. „Während die Chinesen das fliegende Auto realisieren, freut man sich hier auf die Wiederentdeckung des Stoff-Faltdachs.“
Ja, auch Tumminelli räumt ein, dass Retro funktionieren kann. „Die Welle der 1990er hatte grandiose Wirkung: Die Wiederbelebung von generationsübergreifenden Pop-Ikonen wie Mini, Beetle und Cinquecento erklärte das Automobil als transnationales Kulturgut. Durch bekamen die Baby Boomer ein Teil Ihrer Jugend zurück,“ analysiert der Experte. R5, Grande Panda und neue Neue Klasse dagegen stellten eine eher theoretische Abstraktion ihrer Vorgänger dar. „Diese Transformation ergibt im gegenwärtigen sozialen Kontext kaum Sinn.“ Stattdessen ziele diese „New Retro“ auf den wankelmütigen Geschmack von Millennials und Gen-Zs. Damit werde das Auto zu einer Kreuzung aus Vintage und Restomod, sagt Tumminelli und fasst es noch drastischer zusammen: „Das Auto wird Fast Fashion, oder auch: Einwegprodukt.“