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Vor 20 Jahren: Rassige Roadster und kultige Cabrios - Festivalsommer der Verdeckträger

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  • 11. Juli 2016, 10:02 Uhr
  • Wolfram Nickel/SP-X

Wo ist die Sonne, fragten sich sehnsüchtig alle Cabriofans im nasskalten Sommer 1996. Wartete doch eine heiße Welle neuer Frischluftmodelle auf die erste Oben-Ohne-Ausfahrt. Von Alfa bis Wiesmann boten über 100 Roadster und Cabrios Plätze unter der Sonne - oder dem wetterfesten Verdeck. Erstmals dabei der Mercedes SLK mit Klappdach

Sonnenhits wie Macarena, Coco Jamboo und Lemon Tree lagen vorn in den Musikcharts jenes Sommers vor 20 Jahren, der Frischluftfahrern dennoch alles abverlangte: Kalte Tiefausläufer wechselten abrupt mit Hitze-Hochs und heftigen Gewittern. Gut, wer da alle Sonnenstrahlen nutzte und dafür schon über ein elektrisches Verdeck verfügte wie im neuen US-Cruiser Chrysler Stratus, mit dem automatischen, zweiteiligen Variodach des gefeierten Mercedes SLK die Passanten beeindruckte oder auf die simple Einhand-Verdeckbetätigung vertraute wie beim Roadsternachwuchs BMW Z3, Fiat Barchetta und MGF. Die Sonne im Herzen trugen im Jahr 1996 über 100 verschiedene Verdeckträger, darunter rund 30 Neuheiten. Fast fühlten sich Faltdachfans an die Swinging Sixties erinnert, als der Roadsterhype einen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Woran allerdings neue Roadster im Retrodesign - etwa der Plymouth Prowler und der Kia KMS im Lotus-Look - oder puristisch freizügige Fahrmaschinen wie der Renault Sport Spider und der federleichte Lotus Elise nicht ganz unschuldig waren.
 
Im Unterschied zu früher ließ sich der automobile Traum von Licht, Luft und Sonne 1996 aber auch mit bezahlbaren Geländewagen realisieren, etwa von Suzuki (SJ Samurai) und Asia-Kia (Rocsta). Tatsächlich waren diese abenteuerlustigen Kraxler sogar rund ein Drittel billiger als klassische Kleinwagen-Cabrios wie der Fiat Punto und passten deshalb zur deutschen Tugend jenes Jahres: Sparen. Davon kündete auch die anhaltende Diskussion über die besorgniserregende Lage der öffentlichen Finanzen und die steigenden Arbeitslosenzahlen. Weshalb Sprachforscher den Begriff ,,Sparpaket" zum Wort des Jahres kürten, dicht gefolgt von den Worten ,,Haushaltslöcher" und ,,Lohnfortzahlung".
 
Eine pessimistische Stimmung, die auf den Straßen des erst seit sechs Jahren wiedervereinigten Deutschland erfolgreich durch den Dresscode Bikini bekämpft wurde. Also mit sommerfrischen Cabriolets, die unten eine feste Blech- oder Plastikkarosserie, darüber ein flexibles Top trugen. Letzteres wahlweise als Textil-, Targa-, T-Roof-, Kunststoff- oder Stahldach, in jedem Fall automatisch oder manuell klapp- oder abnehmbar. Nie zuvor gab es vielfältigere Verdeckkonstruktionen, um den Vorhang zur Sonne oder zu den Sternen zu öffnen.
 
Ganz klassisch wie einst kamen die sturmdurchtosten Zweisitzer von den britischen Inseln nach Kontinentaleuropa. So zelebrierte der Morgan 4/4 sein 50-jähriges Produktionsjubiläum mit endlosen Lieferzeiten, während der ultraflache Caterham Super Seven den Lotus Seven aus den 1950er Jahren zitierte und AC die giftige Cobra trotz PS-Schwund am Leben hielt. Ginetta, Marcos, Reliant und TVR setzten auf Plastikflitzer, die teils sogar über Versandhäuser geliefert wurden. Masse und Rasse in moderner Roadsterform gab es dagegen von der Rover Group, die mit dem neuen Mittelmotormodell MGF an die Zeiten des MG B anknüpfen wollte, des einst weltweit meistverkauften Roadsters. Wünsche, die Rover auch als Teil des BMW-Konzerns nicht realisieren konnte. Dafür diente der 1,8-Liter-Vierzylinder aus dem MGF auch dem 675 Kilogramm leichten Lotus Elise als Kraftwerk. Gerade einmal 88 kW/120 PS genügten dem Lotus, um beim Tempo-100-Sprint den fast doppelt so starken neuen Porsche Boxster zu schlagen und es mit den Ikonen 911 Cabriolet oder Targa aufzunehmen.
 
Andererseits legten offene Sportwagen der preislichen Stratosphäre damals oft weniger Wert auf Vmax als auf stilvollen Fahrgenuss. Weshalb sich der Mercedes SL 600 trotz feudaler V12-Power 7,0 Sekunden für das Passieren der 100-km/h-Marke gönnte, dafür den Kunden für Regenwetter die Wahl ließ zwischen Stoffverdeck, Hardtop oder Panorama-Hardtop mit Fenster zum Himmel.Neu am Markt war auch ein Windschott, das Zugluft und zugleich Windgeräusche reduzierte. Während Diana, Princess of Wales, mit ihrem SL dieser Baureihe R 129 den Unmut der Briten hervorrief, setzte Charles, Prince of Wales, auf die Noblesse von Aston Martin. Ein Hoflieferant, der 1996 den verführerischen DB7 Volante als Einstiegsmodell präsentierte. Ein Sechszylinder, der mit 237.000 Mark fast doppelt so teuer war wie das ebenfalls neue Jaguar XK8 Cabriolet. ,,The cat is back", tönte die Jaguar-Werbung selbstsicher zum Deutschlandstart ihres ersten V8-Convertibles. Und tatsächlich waren die Bestelleingänge für die relativ preiswerte Katze beachtlich, wohl auch, weil der XK8 zeigte, dass Jaguar endlich wieder Qualitätsbewusstsein gelernt hatte.
  
Auch Bentley besserte in der Qualität nach und ließ deshalb sein majestätisches Azure Convertible erst mit einem Jahr Verspätung in die reguläre Serienfertigung gehen. 551.000 Mark - so viel wie ein respektables Einfamilienhaus - kostete die 5,34 Meter lange und knapp 250 km/h schnelle Landyacht. Teurer ging es damals nicht, zumindest mit Sonnenbrandgarantie. Aber rasanter, denn der Lamborghini Diablo Roadster reklamierte 325 km/h für sich. Und dies offen - damals eine Premiere! Zum Vergleich: Im schnellsten Ferrari F 355 GTS flogen die Toupets bei maximal 295 km/h, in der Corvette mit 5,7-Liter-V8 und im Porsche 911 bei 275 km/h.
 
Ganz im Gegensatz dazu stand eine Open-Air-Bewegung, für die Frischluftvergnügen nicht durch Vmax geformt wurde. Diese wachsende Zahl an Geländewagenfans erfreute sich stattdessen an gemächlichen Klettertouren durch die Berge oder dem Dünenreiten an nord- und südeuropäischen Strandlandschaften - oder eben an der damals billigsten Art offen zu fahren. Vorausgesetzt, die teils mühsam abzubauenden Verdeckkonstruktionen überforderten nicht Geduld und Geschick des Fahrers. Heute schon vergessen, gab es damals geöffnete Geländegänger auch von Marken wie Opel (Frontera), Mahindra aus Indien oder Daihatsu (Feroza). Daneben natürlich die etablierten Jeep, Land Rover und japanischen Allradler. Besonders kontrovers diskutiert wurde der Suzuki X-90, ein extravagantes zweisitziges Funcar mit herausnehmbarem, zweigeteiltem Glas-Dach (T-Roof), keckem Heckspoiler und auffälligen Farben. Schriller konnte Frau sich damals nicht kleiden, wenn es zum Boulevardbummel ging.
 
Die große Stunde vom Verdeck befreiter Familienviersitzer schlug schon im Frühsommer 1996 bei ausgedehnten Autokorsos, schließlich gewann Deutschland in England die Fußball-EM und dies in Wembley mit dem ersten Golden Goal. Bei den Siegesfeiern auf deutschen Straßen konkurrierten in der Klasse der Cabrios neben den etablierten VW Golf und Ford Escort mit Überrollbügel auch der bei Bertone gebaute Opel Astra, der von Pininfarina formvollendet gezeichnete Peugeot 306, die zweiten Generationen von BMW 3er und Saab 900, das bereits klassische Mercedes E-Klasse Cabrio und der erst zwei Monate zuvor geöffnete Renault Mégane.
 
Übrigens folgte auf den wechselhaften Sommer ein milder Herbst mit verheißungsvollen Verdeckkünstlern, die auf dem Premierenpodium des Pariser Salons debütierten. Darunter der Vorbote des ersten Volvo C70 Cabriolets und offene Geländegänger für die Wintersonne in traumhaften Schneelandschaften.

 
 

Cabrio-Marken und -Modelle 1996:
AC Ace bzw. AC Cobra (Großbritannien), Alfa Romeo Spider (Italien),  Aro 10.4 Duster bzw. Aro 244 (Rumänien), Asia Rocsta Softtop (Korea), Aston Martin Virage Volante bzw. Aston Martin DB7 Volante (Großbritannien), Audi Cabriolet (Deutschland), Bentley Azure (Großbritannien), BMW 3er/M3 Cabrios bzw. BMW Z3 Roadster (Deutschland), Caterham Super Seven bzw. Caterham 21 (Großbritannien), Chevrolet Cavalier Convertible bzw. Chevrolet Camaro Convertible bzw. Chevrolet Corvette Convertible (USA, im Januar 1997 erneuert), Chrysler Stratus Convertible (USA) bzw. Chrysler Viper RT/10 (wird 1996 durch Viper GTS ersetzt, USA), Daihatsu Feroza 4WD Cabrio (Japan), Dallas Fun (Frankreich), De Tomaso Bigua (Italien), Donkervoort D8 (Niederlande), Ferrrari F355 Spider bzw. Ferrari F50 (Italien), Fiat Punto Cabrio bzw. Fiat Barchetta (Italien), Ford Mustang Convertible (USA), Ford Escort Cabriolet (Deutschland), Ginetta G34 Roadster bzw. Ginetta G27 Roadster (Großbritannien), Honda CRX del Sol bzw. Honda NSX T-Bar (Japan), Isuzu Rodeo bzw. MU/Amigo (Japan), Jaguar XK8 Convertible (Großbritannien), Jeep Wrangler Softtop (USA), Kia Sportage Softtop bzw. Kia KMS-II Elan Roadster (Korea), Lada Samara Cabriolet (Russland), Lamborghini Diablo Roadster (Italien); Land Rover Defender 90 Softtop (Großbritannien), Lotus Elise (Großbritannien), Luaz 4x4 bzw. Luaz 1302 (Russland), Mahindra CJ/Armada (Indien), Marcos Mantis Roadster 4.6 V8 (Großbritannien), Maserati Biturbo Spyder (Italien), Mazda MX-5 (Japan), Mercedes-Benz SLK bzw. Mercedes-Benz SL bzw. Mercedes-Benz E-Klasse Cabriolet bzw. Mercedes-Benz G-Klasse (Deutschland),  MGF (Großbritannien), Mitsubishi Eclipse Spider bzw. Mitsubishi GTO 3000 Spyder bzw. Mitsubishi RVR Open bzw. Mitsubishi Jeep bzw. Mitsubishi Pajero Canvas Top (Japan), Morgan 4/4 bzw. Morgan Plus 4 bzw. Morgan Plus 8 (Großbritannien), Nissan 300 ZX Twin Turbo (Japan), Oldsmobile Cutlass Supreme Convertible (USA), Opel Astra Cabriolet bzw. Opel Frontera Sport Soft Top (Deutschland), Panoz AIV Roadster (USA), Peugeot 306 Cabriolet (Frankreich), Plymouth Prowler (USA), Pontiac Sunfire Convertible bzw. Pontiac Firebird Convertible (USA), Porsche Boxster bzw. Porsche 911 Cabriolet bzw. Porsche 911 Targa (Deutschland), Reliant Scimitar Sabre (Großbritannien), Renault Mégane Cabriolet bzw. Renault Sport Spider (Frankreich), Rinspeed Roadster (Schweiz), Rover Cabriolet (Großbritannien), Saab 900 Cabrio (Schweden), Shelby Series 1 (USA), Suzuki Swift Cabrio (Auslaufmodell) bzw. Suzuki Cappuccino bzw. SJ Samurai Cabrio bzw. Suzuki Vitara Cabrio bzw. Suzuki Vitara X-90 (Japan), Toyota Paseo Cabriolet bzw. Toyota MR2 bzw. Toyota Celica Cabriolet (Japan), TVR Chimaera bzw. TVR Griffith Speed Six bzw. TVR Griffith 500 (Großbritannien), UAZ 3151 (Russland), Venturi Convertible 260 (Frankreich), Volkswagen Golf Cabriolet (Deutschland), Volvo C70 Cabriolet (nur als Concept für 1997 angekündigt, Schweden), Westfield Seight (Großbritannien), Wiesmann Roadster (Deutschland).
 
Cabrio-Premieren 1996:
AC Ace (Großbritannien) mit 4,9-Liter-V8-Benziner (179 kW/243 PS); Aro 10.4 Duster 4x4 (Rumänien) mit 1,4-Liter-Vierzylinder-Benziner (46 kW/63 PS); Asia bzw. Kia Rocsta Softtop (Korea) mit 2,2-Liter-Vierzylinder-Diesel (45 kW/61); Aston Martin DB7 Volante (Großbritannien) mit 3,2-Liter-Sechszylinder-Benziner (250 kW/340 PS); Bentley Azure Facelift (Großbritannien) mit 6,8-Liter-V8 (286 kW/389 PS); BMW Z3 2.8 (Deutschland) mit 2,8-Liter-Sechszylinder-Benziner (141 kW/192 PS); Caterham Super Seven 1.6 (Großbritannien) mit 1,6-Liter-Vierzylinder-Benziner (86 kW/117 PS bzw. 103 kW/140 PS); Chevrolet Cavalier Convertible (USA) mit 112 kW/152 PS leistendem 2,4-Liter-Vierzylinder-Benziner; Chrysler Stratus Convertible (USA) mit 2,5-Liter-V6-Benziner (120 kW/163 PS); De Tomaso Bigua (Italien) mit 4,6-Liter-V8-Benziner (224 kW/305 PS); Jaguar XK8 Convertible (Großbritannien) mit 4,0-Liter-V8-Benziner (216 kW/294 PS); Jeep Wrangler Softtop (USA) mit 2,5-Liter-Vierzylinder-Benziner (87 kW/118 PS) bzw. mit 4,0-Liter-V8-Benziner (130 kW/177 PS); Kia KMS-II Elan Roadster (Korea) mit 2,0-Liter-Vierzylinder-Benziner (85 kW/116 PS) bzw. mit 1,8-Liter-Vierzylinder-Benziner (103 kW/140 PS); Lamborghini Diablo Roadster (Italien) mit 5,7-Liter-V12-Benziner (362 kW/492 bzw. 368 kW/500 PS bzw. 386 kW/525 PS); Lotus Elise (Großbritannien) mit 1,8-Liter-Vierzylinder (88 kW/120 PS bzw. 110 kW/150 PS); Mercedes-Benz SLK (Deutschland) als SLK 200 mit 2,0-Liter-Vierzylinder (100 kW/136 PS) bzw. als SLK 230 mit 2,3-Liter-Vierzylinder (142 kW/193 PS); MGF (Großbritannien) mit 1,8-Liter-Vierzylinder (107 kW/145 PS); Panoz AIV Roadster (USA) mit 4,6-Liter-V8-Benziner (227 kW/309 PS); Plymouth Prowler (USA) mit 3,5-Liter-V6-Benziner (160 kW/218 PS); Pontiac Sunfire Convertible 2.4 (USA) mit 2,4-Liter-Vierzylinder-Benziner 112 kW/152 PS); Porsche Boxster (Deutschland) mit 2,5-Liter-Sechszylinder-Boxer-Benziner (150 kW/210 PS); Renault Mégane Cabriolet (Frankreich) mit 1,6-Liter-Vierzylinder-Benziner (66 kW/90 PS) bzw. mit 2,0-Liter-Vierzylinder-Benziner (108 kW/147 PS); Renault Sport Spider (Frankreich) mit 2,0-Liter-Vierzylinder-Benziner (110 kW/150 PS); Suzuki Vitara X-90 (Japan) mit 1,6-Liter-Vierzylinder-Benziner (71 kW/97 PS); Toyota Paseo Cabriolet (Japan) mit 1,5-Liter-Vierzylinder-Benziner (66 kW/90 PS); TVR Griffith Speed Six (Großbritannien) mit 3,5-Liter-V6-Benziner; Volvo C70 Cabriolet (nur als Concept für 1997 angekündigt, Schweden).
 
 

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