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Panorama: Mein erstes Mal auf der Nordschleife - Unterwegs im persönlichen Grenzbereich

  • In AUTO
  • 17. August 2018, 08:03 Uhr
  • Hanne Schweitzer/SP-X

Geliebt und gefährlich, respekteinflößend und atemberaubend - über die legendäre Nordschleife spricht man mit Ehrfurcht. Warum eigentlich? Das weiß die Autorin jetzt endlich auch.

Es ist erstaunlich, wie viele Gedanken in anderthalb Sekunden passen: ,,Jetzt müsste er bremsen, nein, okay. Dann aber jetzt - auch nicht. Äh, Kurve, Leitplanke, Bäume?" Die Pylonen fliegen links vorbei, erst kurz vor der letzten leuchtet kurz das Bremslicht beim Vordermann auf, schon lenkt er nach rechts ein. Ich trete voll in die Eisen, fliege in den Gurt, löse den Fuß, lenke ein - und sehe den Instruktor Längen vor mir davonrasen. Ein stiller Fluch: wieder vertan! Zu stark gebremst, zu vorsichtig am Gas und das nur, weil die Kehre in der Erinnerung vor einer knappen Viertelstunde noch viel enger war. Oder wohl eher: Weil irgendeine der 73 Kurven in der Vorrunde noch viel enger war.  

Es sind viele Faktoren, die die Nordschleife in der Eifel zur berühmt-berüchtigten, nicht nur unter Motorsportfans in der ganzen Welt bekannten Rennstrecke gemacht haben. Ihre Länge mit 20,8 Kilometern und die Komplexität gehören dazu. Die Grand-Prix-Strecken auf denen die Formel 1 heute beispielsweise fährt, sind höchstens ein Drittel so lang, wie Silverstone mit 5,9 Kilometern und 18 Kurven, Le Castellet mit 15 Kehren auf 5,8 Kilometern oder Spa mit 7 Kilometern und 21 Kurven.  

Stellt sich auf kürzeren Kursen nach einigen Runden ein Gefühl für Brems- und Einlenkpunkte ein, ist es schier unmöglich, sich die Finessen der Nordschleife auf die Schnelle zu merken. Was aber dutzende mehr oder weniger geübte Fahrer nicht davon abhält, die ,,Grüne Hölle" heute einen Tag lang erfahren zu wollen. In der Aufstellung zum Start in Leistungsgruppen warten von Seat Ibiza Cupra oder VW Passat über C-Klasse C 63 AMG und diverse BMW M3 bis zu Nissan GT-R, AMG GT oder Porsche 911 GT3 RS auf das Handzeichen zum Start der Höllenfahrt.

Angetreten mit Range Rover Sport SVR und Jaguar SVR gehören wir zu den stärksten und am besten für dieses Abenteuer gewappneten im Teilnehmerfeld. Aus den 5,0 Litern ihres Kompressor-V8 holen die beiden Briten 423 kW/575 PS, die Abteilung ,,Special Vehicle Operations" hat ihr Maximum gegeben, um die Boliden  für Herausforderungen wie diese vorzubereiten.

Im Line-up auf der Döttinger Höhe grummelt der Achtzylinder in dem 2,3-Tonnen-SUV vielversprechend, die geöffneten Klappen des Auspuffs warnen auch die Mitstreiter vor der Übermacht. Und auch wenn man in einer ruhigen Minute dem Power-SUV die Daseinsberechtigungsfrage stellen würde: Zieht der Instruktor Richtung Antoniusbuche ab, stellt man den Fuß aufs rechte Pedal, brüllt der Achtzylinder markerschütternd und der vehemente Vortrieb drückt den Fahrer in den Sitz. Das Schwergewicht wird plötzlich leichtfüßig, in 4,5 Sekunden schnellt der Range Rover aus dem Stand auf 100 km/h.

Den richtigen Rhythmus zu finden, sei eines der wichtigsten Dinge auf der Nordschleife, hatte Trainer Dominik Schraml vorher gesagt. Also auch: Möglichst flüssig lenken und im Grunde so wenig wie möglich, fällt mir in den S-Kurven am Hatzenbach wieder ein, als ich versuche, seine Ideallinie nachzufahren. Mit Tempo geht es die Quiddelbacher Höhe hinauf, die Kuppe ist uneinsehbar, wie eine Rampe gen Himmel. Im Renntempo kann man hier auch abheben.

Wer weiß, wie es nach diesem Sprunghügel weiter geht, lässt sich weit links raustragen und rast konzentriert Richtung blauen Himmel, im Wissen, das Auto perfekt für die Doppelrechts am Flughafen ausgerichtet zu haben. ,,Nordschleife fahren heißt, das Auto immer schon für die nächste Ecke zu positionieren", hat Instruktor Schraml gesagt. ,,Das gibt es heute kaum noch."

Nicht ohne Grund ist der Eifelkurs berühmt und berüchtigt, seine Komplexität ist Teil der Faszination. Seit rund 90 Jahren werden in der Eifel Rennen gefahren, nicht wenige Piloten ließen hier ihr Leben. Trotz Umbaumaßnahmen, die die Nordschleife sicherer machten, trug die Formel 1 1976 zum letzten Mal den Großen Preis von Deutschland hier aus, bei dem Nikki Lauda bei einem Unfall schwer verletzt wurde. Anlaufpunkt für Motorsportfans ist die Strecke heute gleichwohl noch, zum Beispiel für das jährliche 24-Stunden-Rennen.

Dann heizen die GT3-Fahrzeuge mit knapp 300 über die gut 20 Kilometer mit ihren unübersichtlichen Kurven, der ständig wechselnden Fahrbahnbeschaffenheit, dem starken Gefälle. Wie sich das anfühlt, kann der Laie nur erahnen, wenn er zum Beispiel mit sich ziemlich rasant anfühlenden 150 Sachen durch die Fuchsröhre donnert und sich in der Kompression der Magen zusammen zieht, dass die Luft wegbleibt. Kräfte von 7 oder 8 g wirken dort bei 270 km/h auf den Körper, schätzt Schraml.

Anders als die Rennfahrer mit ihren viele Runden dauernden Stints lässt beim Laien die Konzentration schneller nach und er ist froh um die Verschnaufpause in Form eines Fahrzeugwechsels. Hat man im Hochleistungs-Hochsitz zwar den besten Blick in die Kurven, will das in den ersten Runden gelernte nun mit einem echten Rundstrecken-Fahrzeug angewandt werden. Mit allen Vieren krallt sich der Jaguar F-Type SVR in den Asphalt. Er lässt schon auf den ersten Metern keinen Zweifel daran, dass nun keine Zeit mehr für Ausblicke auf das schöne Eifel-Panorama ist, das man von der Strecke genießen könnte, wenn dies nur eine Sonntagsausfahrt wäre.

Am Schwedenkreuz den Asphaltwechsel als Marker für den Anbremspunkt nutzen, in der Fuchsröhre kann man den Curb links mitnehmen, am Bergwerk spät einlenken - dankbar für die Tipps aus dem Funkgerät arbeite ich am Volant, finde den Rhythmus, verbremse mich und verliere ihn wieder. Trotz Klimaanlage bin ich unter meinem Helm schweißgebadet.

Dann zieht der Instruktor das Tempo noch mal an, ab Kilometer 11 wird es jedes Mal richtig schnell. Es geht jetzt immer wieder bergauf, mit bis zu 17 Prozent Steigung. Der V8 röhrt, die Bäume links und rechts verwischen zu einem einzigen Dunkelgrün, die Straße verengt sich optisch merklich, Leitplanken und Fangzäune kommen näher. Noch näher, möchte man sagen, stehen sie vielfach doch schon fast unmittelbar neben dem Asphalt. Während man in Spa ins Kiesbett rutscht, wenn am Ende der Haftung noch zu viel Kurve zu fahren ist und man in Le Castellet auch nach Verfehlen des Bremspunktes vor der Kurve noch mehrere Meter Asphalt hat, um zum Stehen zu kommen, verzeiht die Nordschleife keine Fehler. Muss noch mal gesagt werden, dass auch das Teil der Faszination ist? Warum allenthalben mit Ehrfurcht über den Eifelkurs gesprochen wird, weiß die Autorin jedenfalls jetzt.

Die kann jeder mit Benzin im Blut miterleben: Im gestellten Jaguar F-Type SVR kosten 1,5 Tage Training mit Instruktor in der Kleingruppe 2.450 Euro, wer ein eigenes Fahrzeug hat, zahlt 1.250 Euro, jeweils inklusive Übernachtung und Verpflegung. Auch der Nürburgring selbst bietet regelmäßig solche Trainings an, für 1.100 Euro zum Beispiel das ,,Sportfahrertraining Nordschleife XL" im eigenen Auto. Übrigens muss man gar nicht selbst fahren, um der Faszination zu erliegen: Auch als Co-Pilot kann man sich die eingangs erwähnten Gedanken machen. Für 200 Euro im Jaguar F-Type SVR oder für 300 Euro im Mercedes-AMG GT R beispielsweise.

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