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Tradition: 50 Jahre Fiat 131 Mirafiori - Weltauto und Walter Röhrls Rallye-Champion

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Als Fiat vor 50 Jahren das Modell 131 Mirafiori einführte, staunten sogar Fachleute über die stockkonservative Technik Foto: Stellantis

Dieser Turiner verkörperte die konservative Revolution in der Mittelklasse. In kantigen Formen und mit biederer Technik konterte der Fiat 131 fortschrittliche Bestseller à la VW Passat. Als 131 Abarth dominierte der Italiener überdies jahrelang die Rallyepisten.

Wie begehrenswert kann Langeweile sein? Als Fiat vor 50 Jahren das Modell 131 Mirafiori einführte, staunten sogar Fachleute über die stockkonservative Technik dieses kantig gezeichneten Mittelklassefahrzeugs aus dem Turiner Mirafiori-Werk. Während Wolfsburg beim VW Passat zu fortschrittlichem Frontantrieb und modischem Fastbackdesign wechselte, beharrte Italiens größter Industriekonzern beim Nachfolger des seit 1966 millionenfach verkauften Fiat 124 auf Stufenheck und Hinterradantrieb. Eine bewährte Antriebskombi, die den neuen 131 Mirafiori als verlässlichen Fiat für alle Fälle in unruhigen Zeiten ausweisen sollte. Starteten die 4,24 Meter langen Volks-Fiat für Familien, Taxiflotten und Behörden doch im Jahr 1974, als Europa unter den Folgen der Ölkrise litt und Italien wirtschaftlich am Boden lag. Unzählige Streiks, Terroranschläge, 20 Prozent Inflation, Verhandlungen zwischen Roms Regierungschef Mariano Rumor und Bundeskanzler Helmut Schmidt über einen für Italien essenziellen Fünf-Milliarden-Mark-Kredit sowie die Niederlage von Ferrari-Pilot Clay Regazzoni in der Formel 1 gegen Emerson Fittipaldi, aber auch das Ausscheiden der Favoritin Gigliola Cinquetti gegen die schwedische Band Abba beim Eurovision Song Contest in Brighton: Italien erlebte sein Waterloo. In diesem Umfeld erwies sich der unaufgeregte Fiat 131 Mirafiori als Shootingstar - und er besaß sogar die Gene für eine globale Erfolgsstory, auch auf Rallyepisten: Walter Röhrl raste mit einem wilden Fiat 131 Abarth zu seinem ersten WM-Titel.

Eine steile Karriere zwischen Familienkutsche und Rallye-Weltmeister realisierte der Vierzylindertyp 131, dessen Modellbezeichnung verwirrte. War der 131 doch zwischen dem Flaggschiff 130 und dem gleichfalls größeren Fiat 132 eingeordnet, vielleicht spendierte Fiat dem Modell 131 deshalb den markanten Beinamen Mirafiori. Genau so hieß auch die größte, wie alle italienischen Werke streikgeschüttelte Fiat-Fabrik: Allein im ersten Halbjahr 1975 registrierte Fiat-Boss Giovanni Agnelli die unglaubliche Zahl von 2.100 Ausständen in seinem Imperium, die darauf zielten, besonders gefragte Baureihen zu treffen. Erfolgreich, so ging Fiats Marktanteil in Italien von gut 70 auf knapp 50 Prozent zurück, und auf dem deutschen Markt gelang es Renault, die Italiener vom Thron des Königs der Importeure zu stürzen. Hinzu kamen Qualitätsdefizite. Schlampig zusammengebaute Modelle durch unmotivierte Mitarbeiter akzeptierten nicht einmal die treuesten Fiat-Käufer. Ein Schicksal, das den Fiat 131 nur in den USA ereilte. Anfangs überzeugte der dort als Brava vermarktete Fiat fast 100.000 Käufer jährlich, dann aber stürzten die zwei- und viertürigen Limousinen sowie der 1975 nachgeschobene fünftürige Kombi in US-Qualitätsrankings auf den letzten Platz - das Ende des Amerika-Exports.

Anders in Europa. Hier vollbrachte der Mirafiori mehrere Wunder. Zunächst das Miracolo, in Deutschland als meistverkauftes Importauto seines Segments zu reüssieren. Mit Garantie gegen Korrosionsschäden, überraschend guten Platzierungen betagter Fiat 131 in Qualitätschecks, vielfältigen Karosserieformen und Motoren für alle Wünsche - vom müden 1,3-Liter-Benziner (41 kW/55 PS) über ein 55 kW/75 PS leistendes 1,6-Liter-Aggregat bis zum 1978 nachgelegten und 71 kW/96 PS freisetzenden Supermirafiori - bot der Fiat 131 mehr als andere Importbestseller à la Renault 12 und Citroen GS. Hinzu kamen günstige Preise und ab 1978 zwei Dieselmotorisierungen (2,0-Liter und 2,5-Liter-Vierzylinder), die Fachmedien als ,,Super-Diesel aus Italien" lobten. Tatsächlich glänzten die Selbstzünder schon vor Serienstart durch einen Klassensieg bei der 30.000-Kilometer-Rallye London-Sydney. Neu war auch das serienmäßige Fünfganggetriebe, das den Normverbrauch des rau laufenden Diesels auf 6,6 Liter bei konstant 100 km/h drückte. Damit konnte der Mirafiori auf dem Diesel-affinen italienischen Heimatmarkt punkten.

Anfang der 1980er - da hatte der Fiat 131 bereits zwei Facelifts hinter sich und dank furioser Abarth-Varianten die Rolle des Postercars in Jugendzimmern besetzt - resümierte Turin zufrieden, dass es auch dank dieses robusten Mittelklassemodells global aufwärts ging für die italienische Autoindustrie. Rund 20 Werke auf fünf Kontinenten montierten den 131 Mirafiori, der in Ländern wie der Türkei (als Tofas Murat 131 bzw. Dogan, Sahin oder Kartal) die Rolle eines Volksautos besetzte. Die Australier goutierten den Fiat als Super Brava, Polen schätzten ihn als Polski Fiat 131p, und die Äthiopier schickten den Wagen erst 2010 in den Ruhestand - 36 Jahre nach seiner Premiere auf dem Turiner Salon. Auch die Spanier liebten ,,ihren" Seat 131, zumal er über eigenständige Motoren verfügte und als Seat 131 Abarth die Rallye de Espana 1979 dominierte.

Der Fiat 131 und Abarth, diese Liaison begann 1976, als Lancia das Feld des Rallyesports an Fiat abtreten musste. In Kooperation zwischen Fiat, Bertone (Karosseriebau) und Abarth (Mechanik) entstanden 400 Einheiten des zweitürigen Fiat 131 Abarth Rally, davon 350 Fahrzeuge als 103 kW/140 PS starke Abarth Rally mit Straßenzulassung. Stolze 21.000 Mark kosteten die Boliden, die sogar einen Porsche 911 T in den Fahrleistungen deklassierten. Auf der Piste gewann der 131 Abarth für Fiat drei Marken-Weltmeistertitel (1977, 1978 und 1980), dazu errang der Finne Markku Alén auf dem Fiat 1978 die WRC-Fahrer-Weltmeisterschaft. Und der junge Rallye-Superstar Walter Röhrl sicherte sich 1980 seine erste Fahrer-Weltmeisterschaft mit dem Fiat 131 Abarth. Für Fiat allerdings überstrahlte Röhrls Sieg bei der legendären Rallye Monte Carlo 1980 alle anderen Erfolge: Der 22-jährige Regensburger und sein Co-Pilot Christian Geistdörfer zeigten bei der Monte unter extremen schwierigen Wetterbedingungen mit reichlich Eis und Schnee die Nervenstärke und Perfektion, die allen Rivalen fehlte. Bis heute ist es der letzte Sieg eines Fiat bei der Monte.

Röhrl hatte den WM-Titel schon in der Tasche, als Fiat das sportliche Serienmodell 131 Racing mit 85 kW/115 PS kräftigem 2,0-Liter-Benziner auflegte. So seh'n Sieger aus, konnten die Piloten dieses in Deutschland unter dem Namen 131 Sport verkauften Zweitürers singen. Zumal Fiat den Triumph des deutschen Rallye-Titans mit dem Sondermodell Walter Röhrl feierte. Dass der meist orange lackierte 131 Sport im Duell mit Hot Hatches wie dem Golf GTI hinterherfuhr, schmälerte seinen Kultstatus nicht.

Welche Relevanz der Fiat 131 heute noch hat, erklärt Christoph Pichura von der Bewertungsorganisation Classic Analytics: ,,Wer 131 sagt, der meint 131 Sport. Während die schwächeren Varianten auf dem Oldtimermarkt eher günstige Kuriositäten sind, war der im Ausland nur als 131 Racing bekannte 131 Sport schon früh ein Fall für Fans. Die nur in Deutschland erhältliche Sonderserie ,Walter Röhrl' unterscheidet sich vom normalen Sport nur durch ganz wenige optische Details, im guten Zustand kostet er mittlerweile 15.600 Euro - falls man einen findet."



Chronik:

1966: Mit dem konservativ gezeichneten und technisch ausgestatteten Mittelklassemodell Fiat 124 lanciert der Turiner Konzern ein Auto, das als Limousine in Europa bis 1975 und weltweit in Lizenzen bis 2012 verkauft wird, und das zu den auflagenstärksten Modellen weltweit zählt

1970: Die italienische Fiat-Produktion erreicht in diesem Jahr mit 1.633.088 Einheiten einen Allzeit-Rekord, davon werden 866.498 Einheiten in Italien zugelassen
1972: Fiat wird größter europäischer Autobauer vor Volkswagen. Werbeslogan ,,Fiat - jede Größe, jede Leistung, von 18 bis 180 PS". Der Fiat 131 wird entwickelt, um den Fiat 124 zu ersetzen

1974: Weltpremiere feiert der Fiat 131 Mirafiori im April auf dem Turiner Salon. Zunächst wird der Fiat 131 mit 1,3- und 1,6-Liter-Benzinern und in zwei Karosserieformen (zwei- und viertürige Limousine) ausgeliefert. In der Basis-Ausführung ist der Fiat 131 an Rechteckscheinwerfern, in der Version Special an Doppelscheinwerfern zu erkennen

1975: Im März wird der Fiat 131 um eine Kombivariante ergänzt, die den Namen Familiare trägt. In Spanien läuft der Seat 131 an, in Polen der Polski Fiat 131p. Die CKD-Produktion des Fiat 131 Mirafiori erfolgt außerdem in Argentinien, Costa Rica, Indonesien, Kolumbien, Malaysia, Marokko, Portugal, Sambia, Singapur, Thailand, Venezuela

1976: In Kooperation zwischen Fiat, Bertone (Karosseriebau) und Abarth (Mechanik) entstehen ab Januar insgesamt 400 Einheiten des zweitürigen Fiat 131 Abarth Rally (bzw. Abarth Stradale) als Homologationsserie für den Einsatz bei der Rallye-WM. Erster Sieg des 131 Abarth Rally bei der 1000-Seen-Rallye in Finnland unter Markku Alén. Produktionsanlauf in der Türkei als Murat 131, später auch als 131 Dogan, 131 Sahin und 131 Kartal (Kombi)

1977: Der Fiat 131 Abarth setzt seine Karriere fort als erfolgreiches Rallyefahrzeug der Gruppe 4. In den Jahren 1977, 1978 und 1980 sichert er Fiat die Markenwertung in der Rallye-WM

1978: Beim Turiner Salon debütiert im April der Fiat 131 Diesel mit vom Motorenbauer SOFIM gebautem 2,5-Liter-Vierzylinder, kurz darauf auch mit 2,0-Liter-Diesel. Der Selbstzünder baute so hoch, dass eine kleine Wölbung in der Motorhaube zum Kennzeichen aller 131 Diesel wird. Als Vorserienmodell wurde der 131 Diesel bereits 1977 getestet bei der Marathonrallye London-Sydney über rund 30.000 Kilometer und dies mit dem Ergebnis der Plätze eins und zwei in der Klasse der Dieselfahrzeuge sowie den Plätzen 15 und 23 im Gesamtklassement. Neben dem Fiat 131 Diesel 2.0 mit 44 kW/60 PS Leistung startet der 131 Diesel auch mit 53 kW/72 PS entwickelnder 2,5-Liter-Maschine. Erstes Facelift für den Fiat, optisch zu erkennen an großen rechteckigen Scheinwerfern (Doppelscheinwerfer für die Dieseltypen), kräftigeren Stoßfängern und am neugestalteten, schwarzen Kunststoff- Kühlergrill sowie größeren Rückleuchten. Die Kombiversion nennt sich nun 131 Panorama. Neu ist außerdem der Fiat 131 Supermirafiori als Nachfolger der einstigen leistungsstarken Fiat 124 Special T und 125 Special mit 71 kW/96 PS starker 1,6-Liter-Maschine. Sportliche Topversion der 131-Baureihe ist ab Juni der Fiat 131 Racing bzw. in Deutschland, Österreich und Großbritannien der 131 Sport (mit hinterer Starrachse wie fast alle Fiat 131) sowie mit 85 kW/115 PS aus zwei Litern Hubraum. Hinzu kommt der 103 kW/140 PS (16-Ventil-Technik, hintere Einzelradaufhängung) abgebende Fiat Abarth 131 Rally, der nur auf einigen wenigen Märkten angeboten wird. In den USA startet der Fiat 131 als Fiat Brava. Die neu gegründete Division ASA (Attività Sportive Automobilistiche) fasst die Rennabteilungen von Fiat, Lancia und Abarth zusammen. Lancia muss nunmehr dem bereits erfolgreichen Fiat 131 Abarth das sportliche Feld der Rallye-Weltmeisterschaft komplett überlassen. Insgesamt gewinnt der Fiat 131 Abarth für Fiat drei Hersteller-Weltmeistertitel (1977, 1978 und 1980), dies mit 18 absoluten Siegen, zwei Doppel- und fünf Dreifachsiegen. Die Liste der Erfolge wird ergänzt durch die WRC-Fahrer-WM 1978, die der Finne Markku Alén gewinnt, und die WRC-Fahrer-WM 1980, bei der Walter Röhrl triumphiert. Andere erfolgreiche Piloten des Fiat 131 Abarth sind die Skandinavier Salonen und Waldegaard, die Franzosen Andruet und Darniche sowie die Französin Michelle Mouton

1979: Fiat testet den 131 Ibrida mit Hybridantrieb (33-PS-Vierzylinder plus ebenso starker E-Motor)
1980: Im Herbst debütiert der Fiat 131 Racing in Deutschland mit 2,0-Liter-Motor und 115 PS Leistung, allerdings wird der Typ hierzulande wenig später in 131 Sport umbenannt. Der WM-Sieg von Walter Röhrl wird 1981 mit einer limitierten Sonderserie ,,Fiat 131 Sport Walter Röhrl" gefeiert

1981: Der finnische Rallye-Champion Markku Alén erzielt den finalen internationalen Sieg eines Fiat 131 Abarth bei der Rallye Portugal. Im März startet der facegeliftete Fiat 131 dritter Serie, erkennbar an zusätzlichen Kunststoffstoßflächen an der Karosserie, frisch gestaltetem Cockpit und serienmäßigem Fünfganggetriebe für alle Varianten des 131. Der Fiat 131 ist nun auch mit 1,4-Liter-Benziner lieferbar und in Deutschland mit LPG-Flüssiggasanlage im Angebot. Produktionsende für den Fiat 131 Sport bzw. Racing (Bezeichnung variierte je nach Markt), allerdings laufen die Abverkäufe bis 1982. Im Juni wird die durch einen Kompressor aufgeladene Version 131 Volumetrico Abarth auf einigen Märkten eingeführt, dies mit 103 kW/140 PS Leistung. Produktionsende für den Polski Fiat 131p

1983: Produktionsende für die Fiat 131 Limousine in Italien

1984: Auch für den 131 Kombi endet die Produktion in Italien nach 1.513.800 Einheiten. Nachfolger wird der Fiat Regata, eine Stufenheckversion des Fiat Ritmo. In Spanien wird der Seat 131 eingestellt und 1985 ersetzt durch den Seat Malaga

1991: Montagefertigung in Ägypten

2002: Fertigungsende in der Türkei

2006: In Äthiopien wird der Murat 131 von Holland Car gefertigt

2009: In Ägypten endet die Fertigung des 131, ein Jahr später läuft der Murat 131 in Äthiopien aus

2010: Die Lebenshilfe Gießen bekommt als Spende einen 131 Mirafiori von 1976, der in erster Hand über eine Million Kilometer sammelte

2022: Als Hommage an den Fiat 131 Abarth Rally entsteht die von Abarth auf 695 Einheiten limitierte Edition Abarth 695 Tributo 131 Rally mit 180 PS Leistung für 225 km/h Vmax
2024: Die Fiat-Clubs feiern das Jubiläum 50 Jahre Fiat 131 Mirafiori bei verschiedenen Veranstaltungen

Motorisierungen Fiat 131:

1,3-Liter-Vierzylinder-Benziner (41 kW/55 PS bzw. 48 kW/65 PS bzw. 57 kW/78 PS)

1,4-Liter-Vierzylinder-Benziner (51 kW/70 PS bzw. 55 kW/75 PS)

1,6-Liter-Vierzylinder-Benziner (55 kW/75 PS bzw. 63 kW/85 PS bzw. 71 kW/96 PS bzw. 72 kW/97 PS)

2,0-Liter-Vierzylinder-Benziner (76 kW/103 PS bzw. 83 kW/113 PS bzw. 85 kW/115 PS bzw. 103 kW/140 PS sowie 158 kW/215 PS bzw. 180 kW/240 PS für Wettbewerbseinsätze)

2,0-Liter-Vierzylinder-Diesel (44 kW/60 PS)

2,5-Liter-Vierzylinder-Diesel (53 kW/72 PS).

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